Die Verteidigungsministerin im großen Militär Aktuell Interview: Klaudia Tanner über den Ukraine-Krieg und dessen Folgen, notwendige Investitionen ins Bundesheer, den großen Personalbedarf der kommenden Jahre und die Teilnahme Österreichs an der European Sky Shield Initiative.
Frau Minister, in der Ukraine herrscht nun seit mehr als eineinhalb Jahren Krieg. Was bedeutet das für Rest-Europa? Wie steht es um die Sicherheitslage am Kontinent?
Ich bewerte das so, wie unsere jeden Tag in den Medien vorkommenden Offiziere das auch bewerten: Unsere Welt wurde in den vergangenen Jahren nicht sicherer, gerade auch mit Blick auf die Ukraine, wo ein Ende des Abnützungskriegs aktuell leider nicht in Sicht scheint. Zuletzt wurde auch die Lage auf dem Westbalkan unsicherer und zwischen Armenien und Aserbaidschan kam es um Bergkarabach wieder zu Kämpfen. Die Sicherheitslage ist also insgesamt deutlich instabiler als noch vor ein paar Jahren.
Sie haben die in den heimischen, aber auch in internationalen Medien sehr gefragten Ukraine-Experten des Bundesheeres erwähnt. Wie groß ist der damit verbundene Imagegewinn für das Heer?
Wir haben die Entscheidung, uns in diesem Bereich zu positionieren, schon mit Kriegsbeginn getroffen, wobei wir anfangs geglaubt haben, mit drei Experten das Auslangen finden zu können. Das Interesse der Medien war dann aber derart groß, dass wir unser Team rasch vergrößert haben und natürlich sind wir unglaublich stolz auf das viele und sehr positive Feedback, das unsere hervorragenden Experten bekommen. Und ja, das färbt natürlich positiv auf das Image des Bundesheeres ab.
Eine Folge des Ukraine-Krieges ist auch das deutlich gestiegene Verteidigungsbudget. Oder wäre eine ähnliche Mittelaufstockung auch so möglich gewesen?
Es war unabdingbar, dass das Budget aufgestockt wird, da die Sicherheitslage auch schon vor dem Kriegsausbruch angespannt und unübersehbar war, dass Einsätze des Bundesheeres in immer mehr Bereichen gefordert sind. Denken wir an die vielen Assistenzeinsätze nach Unwetterereignissen und die Einsätze zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Deshalb konnten wir auch schon vor dem Krieg das Budget drei Mal erhöhen, aber Sie haben natürlich recht: Erst mit dem russischen Angriff war eine derart starke Erhöhung realisierbar – einen ähnlichen Schritt haben ja auch viele andere europäische Staaten gesetzt. Allerdings haben wir es geschafft, diese Budgetaufstockung mit dem Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz auch gesetzlich abzusichern und dem Heer damit über die Legislaturperiode hinaus Planungssicherheit zu garantieren.
Diese Planungssicherheit ist vor allem für Großbeschaffungen unbedingt notwendig, oder?
Definitiv, und wir sind da auch gut unterwegs. Wir setzen unseren Aufbauplan konsequent um und konnten zuletzt vor allem im Bereich Schutz und Wirkung für unsere Soldatinnen und Soldaten einiges weiterbringen. Beispielsweise haben wir die Ausgabe der neuen Uniformen beschleunigt, das modifizierte Sturmgewehr ist in Teilen bereits bei der Truppe und wir investieren in Kommunikationsausrüstung. Beim großen Bereich der Mobilität konnten wir nunmehr 36 Leonardo AW169-Hubschrauber anstelle der ursprünglich geplanten 18 Stück beschaffen, wir werden eine weitere Black Hawk-Staffel ankaufen, wir investieren in die Lebensdauerverlängerung unserer Kampfpanzer und Schützenpanzer und wir leiten endlich die Nachbeschaffung für die Saab 105OE ein, die wir mit Ende 2020 leider ausscheiden mussten. Dafür haben wir bereits die nötigen Budgetmittel und es werden möglicherweise sogar noch heuer die Grundlagen für eine Entscheidung finalisiert. Ganz aktuell haben wir zudem die Nachfolge unserer Hercules-Transportflugzeuge entschieden.
Die Wahl fiel auf die C-390M von Embraer.
Wir haben uns mehrere in Frage kommende Muster angesehen und dabei erfüllte die C-390M als einziges alle unsere Ansprüche. Nachdem sich die Niederlande kürzlich ebenfalls für dieses Modell entschieden haben und daran genau dieselben Anforderungen stellen wie wir und wir wie schon bei den AW169-Hubschraubern nach internationalen Partnern gesucht haben, bietet sich eine gemeinsame Beschaffung geradezu an.
Strebt man dabei ein Government-to-Government-Geschäft an oder verhandelt das Ressort gemeinsam mit den Niederlanden direkt mit dem Hersteller?
Alles, was im Bereich Government to Government möglich ist, werden wir auch entsprechend realisieren, das ist immer das Ziel. Daher setzen wir auch alles daran, dass wir im Beschaffungsvorgang, den die Niederlande durchführen, mit dabei sind.
„Wir haben uns mehrere in Frage kommende Muster angesehen und dabei erfüllte die C-390M als einziges alle unsere Ansprüche.“
Lässt sich mit der Beschaffung auch Wertschöpfung in Österreich generieren?
Das muss im rechtlichen Rahmen und dort, wo es geht, immer das Ziel sein und ist beispielsweise beim Pandur Evolution von General Dynamics European Land Systems-Steyr auch vorbildlich gelungen. Da sind deutlich mehr als 200 österreichische Unternehmen Teil der Wertschöpfungskette. Das wird in ähnlicher Dimension natürlich nicht bei allen Beschaffungen möglich sein, aber Embraer unterhält beispielsweise Beziehungen zum oberösterreichischen Luftfahrtzulieferer FACC und auch bei den bis zu 1.375 bei Rheinmetall MAN gekauften Lkw ist die nationale Wertschöpfung groß. Die Fahrzeuge werden in Wien gefertigt, im Werk arbeiten 1.400 Menschen und wir helfen mit unserer Bestellung dabei, den Standort abzusichern und möglicherweise sogar neue Arbeitsplätze zu schaffen. Damit schaffen wir auch in der Bevölkerung Verständnis für die Ausgaben des Bundesheeres.
Apropos: Als Anfang der 2000er-Jahre die Eurofighter beschafft wurden, war der Aufschrei im Land groß. Die Kritik lautete, dass das Geld in anderen Bereichen notwendiger gebraucht werde, die Eurofighter nur ein teures „Spielzeug” wären. Nun werden insgesamt rund 600 Millionen Euro in die neuen C-390M-Transportflugzeuge investiert, die neuen Leonardo-Hubschrauber schlagen mit 873 Millionen Euro zu Buche, die geplante Beschaffung der Trainingsjets wird auch nicht günstig und die Rede ist sogar vom Ankauf bewaffnungsfähiger Drohnen. Von einem Aufschrei wie damals ist aktuell trotzdem nichts zu bemerken …
… was ganz gut zeigt, dass die Mehrheit der Österreicher spürt, dass die Lage in den vergangenen Jahren unsicherer geworden ist und wir das Bundesheer einfach auf unterschiedlichste Art und Weise brauchen. Diese Sichtweise ist auch im gestiegenen Standing des Bundesheeres in der Bevölkerung abzulesen – das Vertrauen in das Bundesheer ist im Vergleich zum letzten Ranking um satte 20 Prozentpunkte gestiegen. Das ist mehr als bemerkenswert, aber natürlich können sich Stimmungen schnell wieder ändern und daher müssen wir auch immer wieder neu argumentieren und erklären, wie das Bundesheer zur Sicherheit Österreichs beiträgt. Es mag Sicherheit zwar nicht alles sein, aber ohne Sicherheit ist alles nichts und das Bundesheer ist für die Sicherheit im Land ein ganz entscheidender Player.
„Die Mehrheit der
Österreicher spürt, dass
wir das Bundesheer auf
unterschiedlichste Art
und Weise brauchen.“
Diskussionen gab es zuletzt um die Pläne zum Aufbau der bodengebundenen Luftabwehr und die geplante Teilnahme Österreichs an der European Sky Shield Initiative.
Manche haben versucht, die Thematik als politisches Kampfthema aufzubauen, dabei ist neben Österreich auch die neutrale Schweiz mit an Bord. Wir reden hier von einem zusätzlichen Schutzschild, das hat mit der Frage der militärischen Neutralität überhaupt nichts zu tun und das sieht auch kein ernstzunehmender Verfassungsexperte so. Derartige Meldungen zeigen allerdings recht deutlich, wer sich tatsächlich um die Sicherheit Österreichs Gedanken macht oder wer dies nur vorgibt zu tun.
Sie haben im Sommer eine Absichtserklärung zu Österreichs Beitritt an der European Sky Shield Initiative unterzeichnet. Wie geht es nun weiter?
Der nächste Schritt wird die Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding zur gemeinsamen Beschaffung des Luftverteidigungssystems Iris-T sein und im November wird es dann die nächste Runde der Airchiefs geben. Wir gehen hier also sehr rasch in die richtige Richtung.
So rasch, dass das vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz ausgegebene Ziel realistisch erscheint, den Schutzschirm bis 2025 voll aufzuspannen?
Der Zeitplan ist ambitioniert, aber eine erste Ausbaustufe werden wir bis dahin sicherlich erreichen. Der Endausbau, wo es dann ergänzend zur Mid Range auch um größere Reichweiten geht, wird aber sicherlich länger dauern.
Um das Thema Beschaffungen abzuschließen: Wann beginnen Sie sich Gedanken über die Nachfolge der Eurofighter zu machen?
Diese Gedanken machen wir uns längst, auch wenn das Thema noch nicht absolute Priorität hat. Wir können die Flotte bis 2035 betreiben und wir investieren jetzt in den Selbstschutz und die Nachtidentifizierbarkeit. Zudem prüfen wir ein Angebot der deutschen Bundeswehr für den Ankauf zusätzliche Zweisitzer und danach werden wir uns natürlich Gedanken über die Zeit nach 2035 machen.
Kommen wir zum Thema Personal: Schön, wenn modernes Gerät bestellt werden kann und auf dem Kasernenhof steht. Irgendwer muss die Fahrzeuge dann aber auch bedienen. Wie groß ist der entsprechende Personalbedarf?
Der Bedarf ist riesig und daher wird das Thema Personalgewinnung in den kommenden Jahren auch absolut prioritär sein. Wir haben dabei den Vorteil, dass jedes Jahr viele Tausend Grundwehrdiener zu uns kommen, die wir hier von den Vorteilen einer Karriere beim Bundesheer überzeugen können …
… was aber in vielen Fällen mehr schlecht als recht gelingt.
Das ist leider richtig und hier sehen wir absolut Bedarf zur Besserung. Die Anhebung des Solds für Grundwehrdiener – im Übrigen die erste Anhebung seit zehn Jahren – ist dahingehend ein erster Schritt. Wir müssen den jungen Menschen nun aber auch verstärkt zeigen, welch tolle Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten sie bei uns haben. Und ja, auch dabei geht es dann wieder um eine adäquate Bezahlung. Wir konnten hier bereits Fortschritte erzielen, im Rahmen der nächsten Dienstrechtsnovelle müssen aber weitere folgen. Dabei müssen wir uns auch überlegen, wie wir mit Blick auf das Gehalt im öffentlichen Dienst mit der Privatwirtschaft mithalten können.
Ist ergänzend dazu auch an eine Personalgewinnungsoffensive gedacht?
Wir fahren diese Offensive bereits – mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen. Wir haben beispielsweise den freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen und einen eigenen Lehrgang für IKT-Offiziere an der Militärakademie ins Leben gerufen. Wir bieten Interessierten die Möglichkeit eines Medizinstudiums mit der Verpflichtung, dann eine Zeit beim Heer zu bleiben. Wir konnten mit diesem Schuljahr die geistige Landesverteidigung in den Lehrplänen der Schulen verankern und wir nutzen alle Veranstaltungen im Ressort immer auch für die Personalgewinnung. Zudem bemerken wir, dass auch das neue Gerät für Interesse sorgt. Bei der Fliegerwerft beispielsweise, die sich um die neuen Leonardo-Hubschrauber kümmert, herrscht gerade großer Zulauf. Neues Gerät zieht auch neues Personal an.
„Wir müssen jungen Menschen verstärkt zeigen, welch tolle Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten sie bei uns haben.“
Oft kann neues Personal gewonnen werden, zugleich gehen aber gut ausgebildete Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Gründen verloren. Wie wollen Sie diese Drop-out-Quote senken?
Das ist ein entscheidender Punkt, die Behaltequote ist leider in manchen Bereichen wirklich nicht gut. Wir müssen daher jedem einzelnen Fall nachgehen, um uns zu verbessern, und dafür braucht es Maßnahmen in vielen Bereichen bis hin zur Kinderbetreuung in den Kasernen. Wir stehen bei der Personalakquise in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft, aber natürlich auch mit anderen Ressorts, der Bedarf ist im gesamten öffentlichen Dienst groß. Ich bin aber zuversichtlich, dass uns auch da eine gute Lösung gelingen wird und wir am Ende des Tages ausreichend Personal für uns begeistern können.
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