Nach den umstrittenen Parlamentswahlen hat Pakistan mit Shehbaz Sharif zwar einen alten neuen Premierminister. Trotzdem steht das Land vor einer ungewissen Zukunft – die Probleme sind vielfältig. Eine Analyse von IFK-Experte Markus Gauster.

Am 8. Februar fanden Parlamentswahlen in Pakistan statt. Bei diesen konnten die (zwangsweise) als unabhängig kandidierenden Vertreter der Partei des ehemaligen Premierministers Imran Khan (PTI) überraschenderweise die meisten (35 Prozent) der Sitze für sich reklamieren. Das allmächtige militärische Establishment befürwortete jedoch vorerst eine Koalition zwischen den Parteien von Shehbaz Sharif (PML) und Bilawal Bhutto (PPP), die zusammen angeblich auf 49 Prozent der Sitze kamen. 

Pakistanische Soldaten – ©Picturedesk
Grenzkonflikt: Pakistan und Indien stehen sich seit Jahrzehnten feindlich gegenüber – dabei kam es auch immer wieder zu offen kriegerischen Handlungen.

Die Wahlen waren von systematischen Manipulationsvorwürfen überschattet, wonach die Partei Imran Khans die absolute Mehrheit (mehr als 50 Prozent der Sitze) erreicht hätte. Dieser Umstand verstärkt die seit seiner Gründung 1947 bestehenden Instabilitäten Pakistans erneut. Dass sich die als korrupt eingestuften Eliten auf den Günstling Sharif als Premierminister einigten, ist eher von untergeordneter Bedeutung. Das Militär und der Geheimdienst ISI hätten sich vielmehr erwartet, den nach wie vor starken Einfluss Imran Khans durch seine Verhaftung zurückdrängen zu können. Genau das Gegenteil war der Fall. 

Die EU hatte diesmal nur eine kleine Wahlexpertenmission entsandt. Damit setzte sie ein Zeichen gegen die massive Einmischung der realen Machthaber in die Wahlen. Für die Mehrheit der Bevölkerung Pakistans hat sich das militärische Establishment längst disqualifiziert. Bestätigt wird das durch den „Democracy Index”, wonach der Staat vom Status eines „hybriden Regimes” auf ein „autoritäres Regime” heruntergestuft worden ist.

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Feudale Strukturen
Das fünftgrößte Land der Welt (rund 240 Millionen Einwohner) ist von der Landwirtschaft geprägt, die mehr als 40 Prozent der Bevölkerung beschäftigt. Die Zivilgesellschaft ist vielschichtig und bemerkenswert resilient. Die Parteienlandschaft ist facettenreich, wobei der Widerstand gegen das militärische Establishment und das Feudalsystem nicht unterschätzt werden sollte. Das Land wird von nur etwa 20 Clans beziehungsweise Großgrundbesitzern geführt, welche die Erträge unter sich aufteilen und die Bauern dabei in einem Abhängigkeitsverhältnis halten. An diesen Strukturen wird eisern festgehalten, was die Armut verstärkt. 

Kontrollverlust möglich
Es könnte durchaus erneut zu einer Militärdiktatur (wie zuletzt von 1999 bis 2008) kommen, sollte ein Kontrollverlust drohen. Das wäre der Fall, wenn beispielsweise Anhänger von Imran Khan wieder zu Massendemonstrationen aufrufen oder die pakistanischen Taliban verstärkt Anschläge verüben. Hunger und Wut können jederzeit systemrelevante Proteste anfachen. Der Klimawandel hat zu wiederholten Ernteausfällen geführt und könnte Aufstände begünstigen. 

Die laufenden Kriege Russland–Ukraine und Israel–Palästina sorgen dafür, dass Pakistan aus europäischer Sicht in puncto Sicherheitsrelevanz und Investitionsmöglichkeiten unterbewertet ist. Pakistan gilt mit mehr als 160 Sprengköpfen allerdings bei weitem als die fragilste Atommacht, wobei der Erzrivale Indien über ein ähnliches Nukleararsenal verfügt. Dazu kommen Sezessionsbestrebungen insbesondere in der Provinz Belutschistan und in den paschtunischen Stammesgebieten, interne Rivalitäten wie beispielsweise Punjabis gegen Paschtunen sowie der gleichsam bankrotte Staatshaushalt und die grassierende Stagflation. 

Straßensituation nach einem Terroranschlag in Pakistan – ©Picturedesk
Aufgrund der innenpolitischen Turbulenzen stieg die Zahl der terroristischen Anschläge im vergangenen Jahr in Pakistan auf mehr als 650.

Alte und neue Fronten für Pakistans Außenpolitik
Pakistan befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise und ist zunehmend isoliert. Mit der Machtübernahme der Taliban und dem Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan 2021 sind neue Fronten und vermehrte Unsicherheiten erkennbar. 

Front 1: Afghanistan und der Terrorismus
Die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan (AFPAK) sind von steigender Rivalität gekennzeichnet, wobei die sozioökonomischen Dynamiken eng miteinander verknüpft sind. 2023 wurden in Pakistan deutlich mehr Anschläge (über 650) als in Afghanistan verzeichnet. Die Abschiebung Tausender Afghanen wird von Pakistan als Mittel gegen die Taliban eingesetzt, um die Infiltrierung von Terroristen (beispielsweise die Tehrik-e Taliban Pakistan/TTP) von Af­ghanistan nach Pakistan zu verhindern. Es ist nicht zu erwarten, dass die Taliban gegen die TTP vorgehen, sondern diese weiterhin auf afghanischem Boden gewähren lassen. Dieser Umstand stellt für Pakistan eine Bedrohung im Hinblick auf das für die TTP vorteilhafte Kraft-Zeit-Raum-Kalkül dar, um Anschläge gegen Pakistan durchzuführen. 

Front 2: Konflikt mit Indien
Pakistans Konflikt mit Indien um das Territorium von Kaschmir hat sich nach mehreren Kriegen zu einem niederschwelligen Konflikt mit gelegentlichen Scharmützeln entwickelt. Derzeit sind die Kontrahenten um eine „kontrollierte Konfrontation“ bemüht. Die Friedensmission UNMOGIP beobachtet Waffenstillstandsverletzungen entlang der Line of Control seit 1949. Eine Intensivierung der Beziehungen zwischen den Taliban und Indien stellt die absolute rote Linie für Pakistan dar. In diesem Fall wären selbst offene militärische Operationen der pakistanischen Armee in Afghanistan möglich.

Front 3: Scharmützel zwischen Pakistan und Iran
Die militärische Eskalation zwischen Pakistan und Iran im Grenzgebiet der Provinz Belutschistan im Jänner macht die Nervosität beider Länder in puncto Terrorismus, interkonfessionellen Disputen und Unabhängigkeitsbestrebungen in der Region deutlich. Iran sieht sich in der stärkeren Position und nutzt die Instabilitäten in Pakistan. Für beide Länder wird es schwerer, ihre Grenzen effektiv zu sichern sowie Schmuggel- und Migrationsrouten zu schließen. Die Beziehungen bleiben belastet. 

@Militär Aktuell
Ausblick: Östliche Wirtschaftsbündnisse als Rettungsanker?
Die Finanz- und Wirtschaftskrise in Pakistan setzt sich weiter fort. Das Land wird zudem immer abhängiger von ausländischen Mächten (China, Saudi-Arabien, USA und insbesondere von Krediten des Internationalen Währungsfonds). Die etablierte Partnerschaft mit China im Rahmen des China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) und die mögliche Aufnahme in die BRICS-Staatengruppe (in der sich der Erzrivale Indien befindet) könnte sich trotz vieler Herausforderungen langfristig positiv für Pakistan auswirken. 

Durch einen möglichen Vollbeitritt in die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) steigen zudem Pakistans Chancen, seine Wirtschaft zu stärken und an den internationalen Handel angebunden zu werden. Diese Entwicklung dürfte sich nicht vor 2030 konkretisieren und bedingt die – eher unrealistische – Aufgabe der Privilegien für das militärische Establishment. China verfügt dabei über entsprechende Hebel und Stabilitätsinteressen sowohl im Hinblick auf Afghanistan als auch auf Pakistan. 

Einstweilen werden Versuche, das Regime durch Anschläge weiter zu destabilisieren, zunehmen. Das Militär hat infolge der Wahlen jedenfalls deutlich an Legitimität und Einfluss verloren.

Quelle©Picturedesk