Im Fall der Türkei hat sich der Poker von Präsident Recep Tayyip Erdoğan um seine Zustimmung zu Schwedens NATO-Beitritt in Form von zusätzlichen F-16/70 und V-Kits ausgezahlt. Und auch Viktor Orbáns „Ja” wird mit neuen Kampfjets belohnt: Ungarn erhält im Gegenzug vier gebrauchte Saab Gripen C, die vor der Übergabe auf den Standard MS20-II angeglichen werden und über ein neues Radar und Meteor-Fähigkeiten verfügen sollen.
Als Orbán in seiner Rede zur Lage der Nation am vergangenen Samstag sagte, dass die Debatte über den Beitritt Schwedens zur NATO zu Ende gehe, beschrieb er einen „großen Durchbruch” in seinen Beziehungen zum schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson, der dann auch gestern zu einem Besuch in Budapest eintraf. Orban fügte hinzu, dass die positive Entscheidung bereits in der ersten Sitzung des Parlaments, die am 26. Februar beginnen wird, ratifiziert werden könnte. Und Kristersson sagte seinerseits am vergangenen Montag in Warschau, dass es „einen starken Willen auf der ungarischen Seite” zu geben scheint, den Beitritt Schwedens zur NATO tatsächlich abzuschließen.
Today we opened a new phase of cooperation between Hungary and Sweden with @SwedishPM Ulf Kristersson. Thank you for your visit, Prime Minister! 🇭🇺🇸🇪 pic.twitter.com/tygr5OcxUP
— Orbán Viktor (@PM_ViktorOrban) February 23, 2024
Nach Informationen diverser ungarischer Medien gingen dem „starken Willen” und dem „Durchbruch” in den vergangenen Wochen intensive Verhandlungen zwischen der schwedischen und der ungarischen Regierung voraus. Beim Besuch von Kristersson unterschrieb er dann zusammen mit Orbán ein Rüstungs- und Verteidigungsabkommen, das auch die bereits erwähnten vier weiteren Gripen C-Kampfflugzeuge beinhaltet. Ungarn fliegt bereits seit 2006 insgesamt 14 Maschinen des Typs.
Gripen C/D werden von Saab seit zehn Jahren nicht mehr gebaut, aktuell produziert der schwedische Hersteller insgesamt 60 Gripen E für Schweden und 36 Gripen E/F für Brasilien. Der ungarische Regierungskommissar für Verteidigungsentwicklung, Gaspar Maróth, erklärte dazu, dass die militärischen Pläne die Einrichtung eines ganzen weiteren Kampfgeschwaders innerhalb der ungarischen Armee vorsehen, aber dazu noch keine Entscheidung im Detail getroffen wurden.
Seit zwei Jahren „angeteasert”
Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky verriet bereits im Dezember 2022, dass 2024 vier neue Gripen eintreffen könnten. Der Verteidigungsminister sprach damals zusammen mit dem Staatssekretär für internationale Kommunikation und Beziehungen, Zoltán Kovács, im englischsprachigen Podcast „Die kühne Wahrheit über Ungarn” über die Entwicklung der ungarischen Streitkräfte. Damals sagte Szalay-Bobrovniczky, dass man in eine neue Phase der militärischen Entwicklung eingetreten sei und vieles davon auf die Lehren aus dem damals bereits zehn Monate dauernden und für Ungarn benachbarten Russland-Ukraine-Krieg zurückzuführen ist.
Hauptziel der Pläne sei die Abschreckung, Ungarn möchte also einem potenziellen Aggressor gegenüber Stärke und Entschlossenheit demonstrieren. Die angestrebte Zahl ungarischen Soldaten lag damals bei 37.500, nun ist in den kommenden Jahren sogar eine Verdoppelung denkbar.
Im Rahmen ihres Gesprächs verwiesen Szalay-Bobrovniczky und Kovács mehrmals auf eine Tabelle, in der die geplanten Militärbeschaffungen aufgelistet waren. Gleich ganz oben fanden sich damals weitere Gripen-Kampfjets, auf Nachfragen antwortete das Verteidigungsministerium bislang allerdings stets kryptisch. Demnach läuft der der aktuelle Vertrag über die logistische Unterstützung der geleasten 14 Flugzeuge bis 2026, anschließend gehen die Flugzeuge der seit 1. Jänner 2023 MH vitéz Szentgyörgyi Dezső 101. Fliegerbrigade Puma am Militärflugplatz Kecskemét (nach Szentgyörgyi Dezső benannt, dem erfolgreichsten ungarischen Jagdflieger mit 29 Abschüssen im Zweiten Weltkrieg) dauerhaft in den Besitz Ungarns über.
Mit den Regierungen wechselten die Vorlieben
Am 21. März 2006 flog der erste ungarische Gripen regulär in Ungarn. Es handelte sich dabei um die größte militärische Beschaffung der ungarischen Streitkräfte seit dem Regimewechsel und um ein klares Zeichen dafür, dass Ungarn mit der sowjetischen Technologie brach. Aber die Vorgeschichte war eine lange. Trotz der ernsten wirtschaftlichen Lage unterzeichnete die Regierung im September 1995 eine Absichtserklärung mit dem schwedischen Industriekonzern Wallenberg (zu dem Saab gehört) über die geplante Einführung des Gripen. Dies war aber noch kein Vertrag und die neu gebildete erste Orbán-Regierung erklärte im Sommer 1998, dass die wirtschaftliche Lage des Landes den Kauf neuer Flugzeuge nicht zulasse, man lieber gebrauchte Kampfjets beschaffen möchte – allerdings ohne Angabe eines bestimmten Typs.
So spekulierte die Presse lange, für welchen Flugzeugtyp (zur Wahl standen unter anderen Mirage 2000-5, F/A-18 und F-16) sich die Regierung letztlich entscheiden würde. In dieser Zeit wurde auch die Modernisierung beziehungsweise „Westernisierung” der MiG-29A/UB im Zuge einer russisch-deutschen Zusammenarbeit (MAPS-Projekt) in Betracht gezogen. Im Oktober 2000 schließlich forderte das Verteidigungsministerium 14 NATO-Länder formell auf, Angebote für gebrauchte Kampfflugzeuge abzugeben. Das größte kam aus den Niederlanden, wo 200 F-16MLU – inzwischen sind die meisten zwischen Chile und jüngst Ukraine aufgeteilt – nicht mehr benötigt wurden.
Das niederländische Angebot wurde vom Verteidigungsministerium genehmigt, und auf der Grundlage eines professionellen Konsens wurde der Kauf modernisierter F-16MLU empfohlen. Das nationale Sicherheitskabinett kündigte dann aber doch den Kauf neuer JAS-39A/B Gripen anstelle von zwei Staffeln mit 24 F-16 an. Im Jahr 2002 fixierte die neue sozialistische Regierung schließlich das Leasing des maßgeschneiderten JAS-39 EBS HU (Export Basic Standard for Hungary). Jener hat den Rumpf der Luft-Luft-betankungsfähigen C/D-Version, sonst aber viele andere Komponenten der ersten A/B-Version.
Im Sommer 2003 wurden die älteren JAS-39A an das Saab-Werk in Linköping geliefert um als Basis für die HU-Version demontiert zu werden. Ende 2004 wurde schließlich die erste Maschine fertiggestellt und am 25. Januar 2005 in Linköping feierlich enthüllt. Erstflug war am 16. Februar und ab Oktober folgte das erste zweisitzige Flugzeug. Das Flugprogramm war detaillierter als bei der normalen Serie C/D, da sich mehrere Bordsysteme und Ausrüstungen der ungarischen Flugzeuge unterschieden (IFF-System, Kommunikationsausrüstung, Bewaffnungsaufhängungen, …) und dementsprechend auch das Softwarepaket der Computersysteme. Der erste ungarische Soldat, der nach Simulatorvorbereitung und Trainingsflug allein an Bord eines (zweisitzigen) Gripen ging, war Major Tamás Fekete am 23. März 2005. Die Ausbildung des technischen Personals begann Mitte April 2005, 19 ungarische Soldaten erwarben das entsprechende technische Wissen im südschwedischen Halmstad.
Gripen MS20
Am 12. Jänner 2022 wurde durch Saab das Fähigkeitsentwicklungspaket der ungarischen Gripen auf den Standard MS20 Block-2 bekanntgegeben. Das stellt einen bedeutenden Technologiesprung zur Leistungsspitze der vierten Kampfjet-Generation dar. Dank der Modernisierung werden die ungarischen Flugzeuge modernere Kommunikations- und Radarsysteme (wie NATO-Mode-5-Feindidentifikationssystem – IFF, Link 16-Funktionalität sowie Bordradar PS-05/A Mk. 4) erhalten und mit einer Reihe moderner Waffensysteme kompatibel sein. Die Beschaffung neuer Iris-T-Raketen von Diehl Defence ist bereits unter Vertrag, aber auch die Beschaffung von GBU-49-Lenkbomben und Meteor-Langstrecken-Luftkampfraketen sei im Gange, sagte Gáspár Maróth im Jänner 2022. Derzeit setzt der Gripen in Ungarn AIM-9L und AIM-120-C5-Luft-Luft-Flugkörper ein, sowie lasergelenkte GBU-12-Bomben, Mk. 82-Freifallbomben und elektrooptische selbstlenkende AGM-65-Raketen gegen Bodenziele.
Die Zeitung „Magyar Nemzet” erinnert anlässlich der Aufstockung der Gripen-Flotte an weitere Rüstungskooperationen mit Schweden. Dabei werden weitere Jagdbomber erwähnt, zuletzt entschied sich die ungarische Armee aber auch für die rund 50 Millionen Euro schwere Beschaffung der rückstoßfreien Panzer- beziehungsweise Bunkerfaust Carl Gustaf M4. Und man erinnert daran, dass auch die Entwicklung der elektronischen Aufklärungs- und Kampffähigkeiten der ungarischen Streitkräfte im Gange sei und die schwedische Rüstungsindustrie etliche dieser Geräte herstelle, ebenso luft- und bodengestützte Aufklärungs- und Zielverfolgungssysteme.
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