Beim Transit durch dänische Gewässer verlor das russische Atom-U-Boot „Orjol” den Antrieb. Obwohl das technische Problem behoben werden konnte, bleiben viele Fragen offen.
Der Vorfall ereignete sich am 30. Juli in den dänischen Hoheitsgewässern in der Nähe von der Stadt Aarhus. Laut dem norwegischen Onlinemagazin Barents Observer trat ein Problem mit dem Antriebssystem des Atom-U-Boots K-266 „Orjol” (russisch Adler) auf, als das Schiff die engste Stelle der dänischen Meerenge etwa drei Seemeilen von Sejerø verlassen hatte. Das U-Boot befand sich zu jener Zeit gemeinsam mit dem Marineschlepper „Altay” und dem Zerstörer „Vizeadmiral Kulakow” auf dem Weg von St. Petersburg in Richtung Halbinsel Kola. Zuvor hatten die Schiffe am 25. Juli an der Seeparade zum 325. Jahrestag der 1696 unter Zar Peter I. gegründeten Kriegsmarine teilgenommen.
Den genauen Verlauf des Vorfalls schilderte die dänische Marine auf ihrer Facebook-Seite. Demnach merkte die Crew des dänischen Patrouillenschiffs HDMS „Diana”, dass etwas nicht stimmt, als sie Matrosen des russischen U-Bootes in Schwimmwesten auf dem Vorderdeck entdeckte. Wenige Momente später näherte sich dem U-Boot der russische Schlepper „Altay” mit Seilen, um es zum Abschleppen vorzubereiten. Laut Berichten der dänischen Marine bot die Crew des dänischen Schiffs ihre Hilfe an, welche die Russen jedoch ablehnten. Schließlich gelang es der Besatzung der „Orjol” den Antrieb zu starten und die Fahrt wiederaufzunehmen. Eskortiert durch das dänische Patrouillenschiff, segelte „Orjol” anschließend in Richtung Skagerak, dem zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden gelegenen Teil der Nordsee.
Projekt 949AM
„Orjol” ist Teil des russischen Projektes 949AM „Antej” zu nuklearbetriebenen U-Booten, die mit taktischen Raketen ausgestattet sind. Die Bezeichnung der NATO für die Klasse von U-Booten ist Oscar-II. Die U-Boote der Oscar-II-Klasse haben eine Länge von 155 Metern und eine Masse von 24.000 Tonnen. Sie erreichen eine Tauchtiefe von 600 Metern und eine Geschwindigkeit von 32 Knoten unter Wasser. Die U-Boote haben zwei Dampfturbinen und werden von zwei Kernreaktoren angetrieben. Der Heimathafen der „Orjol” ist Saosjorsk in der Oblast Murmansk.
Laut dem U-Boot-Experten HI Sutton (siehe Bericht) kann die Oscar-II-Klasse seit ihrem Upgrade statt 24 mit bis zu 72 Marschflugkörper der Typen P-800 Oniks, 3M14K Kalibr und 3M22 Zircon ausgestattet werden. Die Oniks ist eine Überschallrakete und kann sowohl Kriegsschiffe als auch Landziele angreifen. Die 3M14K Kalibr können gegen Landziele eingesetzt werden und sind etwa mit den Tomahawks der US Marine vergleichbar.
Eine Reihe von Defekten und Unfällen
Es bleibt unklar, warum das U-Boot „Orjol” in den dänischen Gewässern den Antrieb verloren hatte. Technische Probleme wurden bei der „Orjol” auch früher verzeichnet; 2015 kam es bei Reparaturarbeiten auf dem U-Boot zu einem Brand im Reparaturdock der Werft in der Stadt Sewerodwinsk am Weißen Meer. Das russische Verteidigungsministerium hat sich zu dem Vorfall vom 30. Juli bislang nicht geäußert, was Raum für Spekulationen öffnet. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist, ob bei dem Vorfall Radioaktivität entwichen ist. Angesichts der Tatsache, dass die russische U-Boot-Flotte immer wieder technische Probleme und Unfälle verzeichnete, drängt sich die Frage auf, wie sicher ihre Boote sind. Vor allem die Arktis-Anrainerstaaten zeigen sich alarmiert, dass bei einem Unfall eines Atom-U-Bootes der russischen Nordmeerflotte radioaktive Strahlung freigesetzt werden könnte. Die mangelnde Transparenz bei der Aufklärung über die Hintergründe der Vorfälle seitens der russischen Führung und der verschleierte Charakter der Übungen der U-Boote nährt deren Sorge zusätzlich.
Der jüngste Unfall ereignete sich vor zwei Jahren an Bord des Atom-U-Boots vom Typ AS-31, bekannt unter dem Namen „Loscharik”, bei dem 14 Besatzungsmitglieder durch Rauchvergiftung ums Leben kamen. Im Endbericht des russischen Verteidigungsministeriums ist ein Brand im Batterieraum als Unfallursache aufgeführt. Das Feuer soll durch einen Kurzschluss in der Schaltzentrale ausgelöst worden sein, und Kabel oder Öl in Brand gesetzt haben. Durch das Belüftungssystem soll sich der Rauch auf die anderen Bereiche des U-Boots ausgebreitet haben. Die Hintergründe der Mission, auf der sich das U-Boot zu jenem Zeitpunkt befand, sind allerdings bis heute ein Geheimnis. Die Tatsache, dass sich an Bord ranghohe Offiziere des russischen Militärs befanden, wird von Experten als Indiz dafür gesehen, dass es sich dabei nicht um eine Routineübung gehandelt hat. „Loscharik” soll nach Einschätzung von Experten für streng geheime Missionen eingesetzt werden, wie das Sammeln von Informationen über unterirdische Infrastruktur anderer Staaten, die Störung von Unterseekabeln, oder die Installation von Infrastruktur wie Abhörsensoren.
Ein anderes Beispiel für einen fatalen Unfall ist jener aus dem Jahr 2008, zu dem es an Bord des atomgetriebenen Jagd-U-Bootes „Nerpa” (russisch Robbe) der russischen Pazifik-Flotte im Japanischen Meer gekommen ist. Grund war nach offiziellen Angaben das Feuerlöschsystem, das aus ungeklärten Gründen von alleine anging und das tödliche Gas Freon ausströmte, das bei einem Brand der Luft den Sauerstoff entzieht. 20 Seeleute starben dabei an einer Gasvergiftung, 22 weitere wurden verletzt.
Die bislang größte Katastrophe der russischen U-Boot-Flotte ereignete sich am 12. August 2000 in der Barentssee, bei der alle 118 Besatzungsmitglieder starben. Auf dem hochmodernen Atom-U-Boot K-141 „Kursk”, das wie die „Orjol” zur Oscar-II-Klasse gehört, kam es zu einer Explosion eines Torpedos im Bug. Das Feuer führte zur Explosion der Sprengköpfe, die ein Loch in den Rumpf des U-Bootes riss und die „Kursk” auf den Grund der Barentssee sinken ließ. Der Film „Kursk” aus dem Jahr 2018 zeichnet die dramatischen Szenen nach, die sich in dem U-Boot abgespielt haben könnten.