Beim russischen T-14 Armata handelt es sich angeblich um den besten Kampfpanzer der Welt – im Ukraine-Krieg spielt das System aber bislang keine Rolle. Warum das so ist? Oberst Jörg Loidolt, Kommandant des Panzerbataillons 14, im Interview mit Militär Aktuell über den T-14 Armata, das Main Ground Combat System und die Anforderungen an den Kampfpanzer der Zukunft.

@Panzerbataillon 14
Oberst Jörg Loidolt ist Kommandant des in Wels beheimateten Panzerbataillons 14.

Herr Oberst, Anfang März sorgte eine Aussage von Sergey Chemezov für Aufsehen. Der Chef der russischen staatlichen Rüstungsholding Rostec meinte, dass der T-14 Armata-Panzer „mit seiner Funktionalität allen anderen existierenden Panzern weit überlegen” sei, das Fahrzeug aber zu teuer wäre, weshalb ihn die (russische) Armee auch kaum einsetze. Was sagen Sie dazu?
Seine Konzeption und die dem System zugeschriebenen Leistungsparameter klingen in der Tat herausragend – und vorausgesetzt, das stimmt auch alles, wäre der Panzer tatsächlich allen anderen Systemen überlegen. Allerdings sieht es ganz so aus, als wäre der Panzer in der Truppe bislang nicht wirklich erprobt worden und als wäre die Stückzahl für echte Kampfeinsätze zu klein. Immerhin kommt der Armata nun über Umwege an die Front.

Inwiefern?
Es hält beispielsweise in den jetzt überarbeiteten T-72 sehr viel Armata-Technik Einzug, insbesondere mit Blick auf die aktiven Abwehrsysteme.

Auf Fotos war kürzlich zu sehen, wie entsprechende Vorrichtungen auch an einem T-90-Turm angebracht wurden.
Ja, genau. Die Russen scheinen statt einer Flottenumstellung die Technologie auf diesem Weg zu forcieren. Das dürfte schneller gehen und sie können damit mehr Fahrzeuge ausstatten. Damit sind die von den Russen derzeit aus den Fabriken ausgelieferten Fahrzeuge den ukrainischen T-72 oder T-64 überlegen, und auch deshalb ist aus russischer Perspektive die Notwendigkeit derzeit eher gering, Zeit und Geld in die Produktion des Armata zu stecken. Dazu kommt, dass die Russen keine Bergemittel und Schwerlasttransporter für den Armata haben. Wie es mit Ersatzteilen und Kriegsbrücken aussieht wissen wir nicht, und auch nicht, wie es um den Ausbildungsstand der Mechaniker steht. Zudem befürchten sie, dass im Gefecht den Ukrainern ein Exemplar in die Hände fallen könnte. Das wäre dann für Kiew ein Prestigeerfolg, vor allem aber könnten die Ukraine und westliche Armeen einen solchen Panzer genau analysieren und technische Details auswerten. Da ist es aus Sicht Russlands besser, dass ihn niemand zu Gesicht bekommt.

@Archiv
Bislang war der Armata nur bei Paraden zu sehen – in der Ukraine kam der moderne Kampfpanzer noch zu keinen Kampfeinsätzen.

Zu Gesicht bekommen haben wir den Armata in der Vergangenheit zumindest bei offiziellen Paraden, darüber hinaus ist aber nur wenig bekannt. Am ehesten können wir noch Aussagen zum Grundkonzept treffen, mit Schutzraum hinter der Frontalpanzerung. Dort ist Platz für drei Besatzungsmitglieder, der Turm ist ferngesteuert, der Motor ist klassisch hinten, auch die Antriebsrollen sind hinten. Was gefällt Ihnen an dem Konzept, was gefällt Ihnen nicht?
Das Konzept ist natürlich bestechend. Man bekommt eine großkalibrige Kanone mit einem automatischen Lader. Bei einem Gewicht von rund 30 Kilogramm pro Geschoss ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber Panzern, in denen noch händisch nachgeladen werden muss. Auch der Schutz der Besatzung ist genial geregelt – im schwer gepanzerten Bug, abgeteilt von den anderen. Das gefällt mir schon gut. Ein Problem sehe ich bei der digitalen Rundumsicht.

Weil es beim Armata keine Möglichkeit mehr gibt, dass der Kommandant herausschaut und sie Situation überblickt?
Genau, und ob das auf lange Sicht wirklich gescheit ist, wage ich zumindest zu bezweifeln. Wenn man sich voll auf digitale Kameras verlässt, würde es ja theoretisch genügen, den Turm mit einer 120-Millimeter-Farbpatrone zu treffen. Es wäre interessant, wie viel die Besatzung dann noch sieht.

Soldaten der „Siebenten” beim US Ranger-Kurs

Das klingt alles danach, als würden Sie nicht damit rechnen, dass der Armata kurz- bis mittelfristig eine Rolle am Gefechtsfeld spielen wird?
Nein, und man hat auch von der ebenfalls vielgenannten Landdrohne in der Ukraine noch nicht viel gesehen. Einerseits scheint auf russischer Seite viel in Entwicklung zu sein, andererseits dürften diese Projekte aber noch weit weg von der Feldverwendbarkeit sein. Da baut man aktuell lieber drei bis vier T-72-Upgrades, als Geld in einen neuen Armata zu stecken.

Ist damit Masse statt Klasse immer noch ein valides Siegerkonzept, so wie es im Zweiten Weltkrieg war?
Es scheint so zu sein, wie damals mit dem Sherman und dem T-34. Da gibt es ja oft die Diskussion, welcher der beiden Panzer der bessere war. Tatsächlich hatten sie einen großen gemeinsamen Vorteil.

Nämlich?
Sie waren schnell in großen Mengen produzierbar, womit sie unter dem Strich auch den moderneren deutschen Panzern überlegen waren. Masse ist eben eine Klasse für sich – das zeigt sich auch jetzt wieder beim T-72 und wohl auch deshalb sieht Russland aktuell keine Notwendigkeit, die Entwicklung beim Armata vollends voranzutreiben. Warum sollten sie großartig neuestes Gerät einsetzen, wenn in der Ukraine in Wahrheit ein Grabenkrieg der grausamsten Art tobt. Dort gibt ja keine großartigen Panzerbewegungen. Und um auf Ihre Frage vom Beginn zurückzukommen: Ich weiß, nicht, ob der Armata zu teuer für den Krieg ist. Ich glaube, er ist einfach noch nicht kriegsbereit.

@Archiv
Innovative Architektur: Blick auf einige Fahrzeugdetails.

Erwarten Sie eine Einführung des Armata in größerer Stückzahl nach einem Kriegsende in der Ukraine? Könnte Russland das verloren gegangene Gerät mit topmodernem Gerät ersetzen?
Die Russen haben noch so viele T-72, die sie noch herrichten können. Ich sehe die Notwendigkeit derzeit nicht, warum sie unbedingt auf ein anderes Pferd setzen sollten. Sie haben auch so den westlichen Staaten gezeigt, dass sie ein innovatives Fahrzeug entwickeln können – und bei Bedarf können sie ihn auch jederzeit in größerer Stückzahl produzieren, während der Westen nun voll auf den Leopard 2 in der Version A8 setzt. Das wird das neue Standardfahrzeug werden.

Und was ist mit dem vielzitierten Main Ground Combat System?
Schwer zu sagen. Aber wenn man sieht, dass Deutschland und Ungarn (-> Bericht) neue Leoparden bekommen, Norwegen (-> Bericht) und Italien ebenso, und das Bundesheer eine Kampfwertsteigerung seiner Panzer durchführt, möglicherweise auch noch Tschechien und die Slowakei Leopard 2 beschaffen und Polen Black Panther aus Südkorea bekommen, sehe ich derzeit keine Notwendigkeit – und auch keinen Markt – für das Main Ground Combat System.

Seit M1 Abrams und Leopard 2 auf den Markt kamen, wurde bei Kampfflugzeugen die vierte und fünfte Generation erreicht. Es wurde damit seit mehr als 40 Jahren kein grundsätzlich neues Hauptkampffahrzeug für die Landstreitkräfte entwickelt. Welche Attribute bräuchte ein neues System und was müsste es mitbringen, um einen Ersatz von Leopard 2 und M1 Abrams zu rechtfertigen?
Aus meiner Sicht geht es sicher mehr in die Digitalisierung und Spezialisierung. Beim MGCS gibt es ja auch die Vision, dass das Konzept auf vier unterschiedlichen Fahrzeugen aufbaut – einem klassischen Kampfpanzer, einem Fliegerabwehrpanzer, einem Pionierpanzer und einem Steilfeuerwagen. Davon sind die drei letztgenannten unbemannt und nur der Kampfpanzer bemannt und der steuert die anderen drei. Es gibt aber auch unabhängig davon aktuell viele interessante Konzepte und Entwicklungen. Nehmen wir beispielsweise den KF-51 von Rheinmetall mit Leopard-Wanne und 130-Millimeter-Kanone und Autolader. Auf dem dadurch freiwerdenden Platz kann der Kompaniekommandant oder ein Drohnenoperator sitzen. Auch die Integration von Drohnen und Loitering Ammunition in das Fahrzeug ist sicher wichtig. Und die Drohnenabwehr insgesamt muss anders gedacht werden. Es braucht eine Drohnenabwehr aller Truppen.

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Potenzial für eine neue Plattform wäre also da?
Definitiv, aber absehbar ist eine entsprechende Entwicklung aus meiner Sicht derzeit nicht – auch aus ökonomischen Gründen. Krauss-Maffei Wegmann (KMW, mittlerweile Teil der KNDS-Gruppe) hat sich schließlich gerade erst auf den A8 festgelegt und Rheinmetall wird dafür weiter die Kanonen liefern. Und das wird es dann gewesen sein. In meiner Dienstzeit, und da sprechen wir über die nächsten 15 Jahre, wird es meiner Meinung nach in Europa keinen wirklich neuen Kampfpanzer geben …

… außer Russland setzt nach dem Armata noch einen Entwicklungsschritt oben drauf?
Das würde natürlich einiges ändern, aber auch damit rechne ich eher nicht. Russland hat immer noch 10.000 T-72 auf Halde und bevor sie mit etwas ganze Neuem kommen, werden sie zuerst diese Fahrzeuge sanieren und ins Gefecht schicken.

Quelle@Archiv, Panzerbataillon 14