Die Regierung in Helsinki hat am 10. Dezember das Logistik-Kommando der finnischen Streitkräfte authorisiert, einen Beschaffungsvertrag mit den USA und mit Hersteller Lockheed-Martin (LM) über die Lieferung von 64 Stück des Kampfjets F-35A im (voraussichtlichen) Wert von rund 8,3 Milliarden Euro zu unterzeichnen. Somit hat – mit Blick auf eine weiter gefasste Zukunft – der 5.-Generation-Jet wie schon zuletzt in der Schweiz (Militär Aktuell berichtete) alle seine Kontrahenten der 4. Generation geschlagen.
Offiziell waren die Schlüsselkriterien für die HX-Entscheidung: Militärische Fähigkeiten, Versorgungssicherheit, industrielle Zusammenarbeit, Beschaffungs- und Lebenszykluskosten sowie sicherheits- und verteidigungspolitische Implikationen.
Eine Überraschung ist die Entscheidung für den F-35A nur auf den ersten Blick, denn gefühlt war der F-35A immer der, den es im Rennen um den lukrativen Auftrag zu schlagen galt. Trotzdem sah es lange Zeit so aus, als könnte in Finnland ein anderes Muster zum Zug kommen. So verfestigt sich nach den jüngsten Exporterfolgen des F-35A der Eindruck, dass der „Joint Strike Fighter” trotz vieler Probleme (Militär Aktuell berichtete) das führende Luftmuster der kommenden Jahrzehnte sein könnte. Der Stealth-Jäger wurde wegen vieler persistenter Mängel und Kostenüberschreitungen durch parallele Entwicklung und Produktion und einen vielleicht anstehenden verschleißbedingt nötigen Triebwerksersatz viel geschmäht. Der Triumph im traditionell eher konservativen Finnland dürfte nun die Behauptung des Herstellers unterstreichen, dass das Flugzeug allen Widrigkeiten zum Trotz „gut reift”.
Finnland ist das EU-Land mit der längsten Landesgrenze zu Russland. Daher umfasst die Beschaffung neben den 64 Jets unter anderem eine umfangreiche und vielseitige, auf die skandinavisch-baltischen Einsatzbedingungen sowie das strategische Umfeld Finnlands zugeschnittene und – im Vergleich beispielsweise zur Schweiz – durchaus üppige Bewaffnung, die erforderlichen Ausbildungs- und Instandhaltungslösungen sowie Wartungsdienste erst einmal bis Ende 2030, wie es in der offiziellen Mitteilung heißt.
Historische oder politische Logiken „stechen” nicht mehr
Viele Fachleute setzten in Finnland auf die „logische” Nachfolge durch die Super Hornet/Growler-Kombination oder die nachbarschaftliche schwedische Gripen E-Lösung. Aber die langfristige Perspektive der Gesamtlebensdauer dürfte für Helsinki den Ausschlag gegen das Vorzeigeprodukt des ebenfalls Nicht-NATO-Mitglieds Schweden gegeben haben, obwohl die Luftwaffenkontakte samt gemeinsamer Übungen und Nutzung der Lufträume des jeweils anderen seit Jahrzehnten sehr eng sind. Daran konnte auch die von Saab vorgeschlagene gemeinsame Nutzung von Gripen-E samt zwei Saab Global-Eye AEW&C-Plattformen nichts ändern. Dem F/A-18E/F hat im Entscheid sicherlich geschadet, dass die US-Marine als größter Kunde im Budgetvoranschlag für das Haushaltsjahr 2021 entgegen früherer Pläne bis 2024 nun keine Super Hornet mehr abnimmt und stattdessen mehr Mittel für das Next Generation Air Dominance (NGAD)-Programm bereitstellen möchte. Abseits dessen steht für Boeings Fighter nur mehr die Abarbeitung des Auftrags in Kuwait und eine – siehe deutsches Regierungsprogramm – in nächster Zeit anstehende Beschaffung für die deutsche Luftwaffe für nukleare Teilhabe und SEAD/DEAD an.
Stück- versus Betriebs- und Lebenszykluskosten
Angesichts der nahenden HX-Entscheidung genehmigte die finnische Regierung im September eine Erhöhung ihres Verteidigungsbeschaffungsbudgets für 2022, um die mit dem Kauf der neuen Kampfflugzeuge verbundenen Vorkosten zu decken. Der aktuelle Zuschlag sieht nun Stückkosten von 73,49 Millionen Euro pro finnischem Flugzeug vor, damit wäre der (nackte) Stückpreis des F-35 auch gegenüber US-Lots nochmals gesunken. Umstrittener als jener sind aber die jährlichen Betriebskosten sowie die immer wichtiger werdenden Lebenszykluskosten. Während der Ausschreibung hieß es, die Betriebskosten sollten zehn Prozent des Friedensbudgets der Streitkräfte nicht überschreiten, das heißt sie sollten unter 250 Millionen Euro jährlich liegen. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch nicht klar, wie die finnischen Bewerter die Betriebskosten gewichtet haben. Im Vergleich zu ähnlichen Zahlen aus Norwegen (praktischer Betreiber) und der Schweiz (theoretische Hochrechnung) scheint es jedoch einige Fragezeichen über die Berechnung zu geben, die möglicherweise – wie in der Schweiz – den Kauf einer kleineren Anzahl von Jets oder die Reduzierung der Flugstunden zugunsten mehr Simulator-Trainings beinhaltete.
Die Frage der Betriebskosten war jedenfalls seit langem Gegenstand intensiver Diskussionen in Finnland und stellt eine wachsende Sorge bestehender und potenziell zukünftiger F-35-Betreiber dar, einschließlich sogar ab 2027 für den Block-4 ein neues und hitzebeständig-langlebigeres Triebwerk fordernde Kongress- beziehungsweise Ausschussmitglieder in den USA. Und damit beispielsweise für künftige Kunden genau ab 2027, wie die Schweizer und die Finnen. Im November besuchte deshalb ein hochrangiger Vertreter des Schweizer Verteidigungsministeriums Finnland, offenbar um die F-35-Kosten mit dem Leiter der Abteilung für Ressourcenpolitik im finnischen Verteidigungsministerium, Raimo Jyväsjärvi, zu besprechen.
Ein weiterer, zu berücksichtigender Faktor ist, dass – als wesentlicher Unterschied zwischen den finnischen und vielen anderen europäischen Luftstreitkräften – Finnland plant, die Ausbildung relativ früh von den USA zurück nach Finnland zu verlagern. Grund dafür sind gute Erfahrungen, die man mit der aktuellen und kostengünstigen Proptrainer-Hawk-Einsatzmuster-Pipeline gemacht hat. Piloten zu Hause zu halten, anstatt dafür zu bezahlen, dass sie teils samt Angehörigen jahrelang im Ausland leben, erweist sich in der Regel als billiger. Ganz abgesehen von den in Finnland meist wehrpflichtigen Mechanikern. Auch wird das gesamte derzeitige Basisnetz – samt Straßenabschnitten – weiterhin in Betrieb bleiben und um das Bremsen bei schlechten (winterlichen) Bedingungen zu gewährleisten, wird das finnische Flugzeug wie die F-35 in Norwegen mit einem extra Bremsfallschirm ausgestattet. Das bedeutet, dass die nötige Modernisierung der Infrastruktur in den offiziellen Dokumenten detailliert aufgeschlüsselt wurde, mit 409 Millionen Euro für Gebäude und 75 Millionen Euro für Upgrades der Kommando-/Kommunikations- und IKT-Systeme. Dazu gehören auch die „berüchtigten” Upgrades der Cybersicherheit im Einklang mit den US-Anforderungen.
Allein die schiere Stückzahl überrascht
Helsinki kauft sich mit dem F-35 eine multinationale militärische und industrielle Anstrengung ein, die wohl am stärksten sicherzustellen scheint, dass das Muster weit über die Mitte dieses Jahrhunderts hinaus in einem tatsächlich weltweiten Verbund im Dienst aber auch (über)lebensfähig bleibt. Schon durch die alte Hornet bestand eine etablierte industrielle Beziehung beispielsweise über die Firma VALMET zu den Vereinigten Staaten. Und punkto Vertiefung jener industrielle Koperation ist eines festzuhalten: LM lieferte offenbar im „Best and Final Offer” (BAFO) eine einzigartige und maßgeschneiderte Lösung für Finnland, um, wie es in deren BAFO heißt, „viele Möglichkeiten für die finnische Verteidigungsindustrie im Zusammenhang mit der direkten Herstellung und Wartung der F-35 zu bieten, die zuvor nicht angeboten wurden.” Das soll nicht nur eine feste Zusage für eine Reihe von Komponenten und Unterbaugruppen für die finnischen F-35 beinhalten, sondern (selbst deutlich weitreichenderes als für die meisten anderen Länder) auch die Zusage, dass 400 vordere Rümpfe für die globale F-35-Flotte in Finnland montiert werden. Da sticht wieder die Logik der nackten Zahlen der heutigen sowie künftigen Verbreitung des Musters, Diskussionen in US-Ausschüssen hin oder her.
Ein weiteres Thema ganz weit weg vom (künftigen) „Impact” von Stealth war in diesem auch industriellen Zusammenhang die zugesagte Versorgungssicherheit. Finnland will in der Lage sein, das System auch dann in der Luft zu halten, wenn einmal die Grenzen geschlossen und die normalen laufenden Zyklen zum Hersteller unterbrochen sind. Sprich wenn keine C-130 oder C-17 mehr grüne Kisten bringen (können). Es sollte explizit sichergestellt werden, dass Finnland über eine einheimische Instandhaltungs- und Reparaturkapazität für mehr als 100 Komponenten (einschließlich kritischer Teile des Rumpfes und des Triebwerks) verfügt, die unter jenes Abkommen über industrielle Zusammenarbeit fallen. Es wird laut LM darüber hinaus auch erhebliche Lagerbestände an Komponenten geben, die nicht auf der Liste der Artikel stehen, die Finnland organisch reparieren und überholen kann. Und die finnische Wartungskapazität soll auch Teil der GSS (der globalen Supportlösung) sein, was bedeutet, dass sie zur Wartung von Teilen für den globalen Ersatzteilpool des F-35 verwendet wird. Auch da konnte in diesem Maßstab offenbar keiner der anderen Anbieter mit.
Viel mehr Bewaffnung als in vergleichbaren Beschaffungen
Was die Bewaffnung des ausgewählten Systems betrifft, war jene von Zusammensetzung und Anzahl her deutlich wichtiger und höher gewertet als in den Beschaffungen anderer Länder (wie beispielsweise der Schweiz). Sie sollte der finnischen Luftwaffe ernsthafte neue Fähigkeiten bringen, wie etwa die Fähigkeit, bewegliche und mobile Ziele an Land und auf See zu treffen. Vor diesem Hintergrund beinhaltet das „Erstpaket”, welches gleichzeitig mit dem Kampfflugzeugvertrag unterzeichnet wird, AIM-120C-8 AMRAAMs und AIM-9X Sidewinders. Später wird das Paket höchstwahrscheinlich JSM in den gemeinsamen Luft-Boden- und Anti-Schiff-Rollen sowie den schweren Marschflugkörper AGM-158B2 Joint Air-to-Surface Standoff Missiles-Extended Range (JASSM-ER), die Laser-/GPS-gesteuerten Lenkbomben GBU-54 und GBU-56 LJDAM in der 250- und 1.000-kg-Klasse sowie die GBU-39 SDB- und GBU-53/B StormBreaker SDB II-Bomben mit kleinem Durchmesser umfassen. Im F-35-Paket, das von der US-amerikanischen Defense Security Cooperation Agency (DSCA) für Finnland dem US-Kongress vorgelegt wurde, werden unter anderem 100 AGM-154C-1 Joint Standoff Weapons (JSOW), 200 jener AGM-158B-2 JASSM-ER zur robusten Reduzierung und Zerstörung eines feindlichen A2/AD-Netzwerks, sowie 120 Lenkbomben-Kits für die GBU-31 Joint Direct Attack Munition (JDAM) aufgelistet. Wie auch schon bei anderen US-Genehmigungen erwähnt, sind das Maximalpakete, die dann oft nicht „ausgeschöpft” werden. So lag diese „all inklusive” auch bei 11,1 Milliarden Euro, während die Kosten in Finnland mit 8,9 Milliarden Euro (10 Millliarden US-Dollar) „gedeckelt” waren.
Das gesamte Waffenpaket beläuft sich auf rund 1,58 Milliarden Euro, von denen 754,6 Millionen Euro für jene im ersten Schritt zu erwerbenden Luft-Luft-Raketen und 823,8 Millionen Euro für die spätere Beschaffung bis zirka 2030 bestimmt sind (und die – sehr vorausschauend – bezogen auf die endgültige Stückzahl auch als finanzielle Reserve genutzt würde, falls Teile des Vertrags neu verhandelt werden müssen oder technische Risiken auftauchen sollten, die man heute noch nicht kennt). Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich die große Anzahl und Palette der enthaltenen Waffen positiv auf die Bewertung auswirkte. Ebenso dass F-35 die größte interne Treibstoffmenge aufweist, und daher eben keine Zusatzstanks, aber dank der verbauten Sensorik auch keine externen Zielbeleuchtungs-Pods benötigt, die beide Waffenstationen belegen würden. Ein Teil derselben Waffen ist übrigens bereits für die finnische Legacy Hornet verfügbar und war auch im Super Hornet-Angebot enthalten.
Fanal für die Europäer
Nach dem Aus für die französischen U-Boote und die NRH-90 Hubschrauber von Airbus in Australien oder die – ob der Kosten noch spannend werdende – F-35-Entscheidung in der Schweiz, ist der nordische Zuschlag an die Amerikaner ein weiteres Fanal für die europäische Rüstungsindustrie. Für Brasilien oder die Emirate mögen die sicherlich ausgezeichneten aber nicht so lange in die Zukunft projizierenden heutigen Muster der Generation 4++ noch gut sein, die moderneren europäischen Luftwaffen greifen aber lieber schon zur nächsten Generation, sofern ihnen das nicht – wie einst in Österreich oder nun in Deutschland – politisch-ideologisch unmöglich ist.
Resultat: Es haben mehr europäische Länder (neun, davon sechs EU-Mitglieder) den F-35 bestellt als den Eurofighter (fünf Länder), Rafále (drei) oder den Gripen (drei, davon haben zwei „nur” gemietet). In Europa sind insgesamt 420 Stück des F-35 bestellt, das reicht fast an die 487 Eurofighter (aller Tranchen) heran und liegt schon über den 332 Gripen (-C bis -E) und 216 Rafále. Auf der Grundlage öffentlicher norwegischer Daten zu den Lebenszykluskosten werden für die genannten Stückzahlen insgesamt 39,8 Milliarden Euro für Betrieb und Erhalt von F-35 an die Amerikaner fließen, das sind etwa fünf Jahre der gesamten europäischen Ausgaben für die Beschaffung von Verteidigungsgütern. Fazit: Die Entwicklung eines 5.-Generation-Kampfjets wurde in Europa komplett verschlafen, mit der Entwicklung der 6. Generation (FCAS und Tempest) viel zu spät begonnen. Darauf kann ein „Fronststaat” wie Finnland nicht warten.
Erhellende KI-basierende Wirkungssimulation
Apropos „Frontstaat”: Vor diesem Hintergrund interessant ist die Arbeit, die sich der ausgezeichnete finnische Militärluftfahrt-Blogger „Corporal Frisk” angetan hat. Auf Basis der – in einer teuren Profi-Version auch von Boeing und Lockheed genutzten beziehungsweise empfohlenen – taktischen Spielimulations-Software „Command: Modern Operations (CMO)” hat er ein fiktives Strike-Szenario in einigen Jahren zwischen Finnland und einem begrenzten russischen Vorgehen in Karelien aus dem Raum Vyborg heraus erstellt. Auf Basis der Charakteristika und Waffendaten der vier HX-Kandidaten aus offenen Quellen (inklusive Unterstützung durch AWACS) sowie moderner russischer Systeme wie Su-57, S-400 oder dem Lenkwaffen-Kreuzer „Gorschkow” hat er dann die künstliche Intelligenz des Programms arbeiten lassen – mit durchaus ernüchternden Ergebnissen (siehe Bericht).
So kamen die dank Stealth-Bauweise schwer(er) erkennbaren F-35 im Vergleich zu Gripen E und F/A-18E/F mit weniger Verlusten näher an ihre Ziele (fünf Brücken), hatten dort dann aber eine zu geringe Waffenlast und Zielwirkung. Am besten schnitt in dem Szenario ein künftiger Eurofighter T4 mit Storm Shadow (beziehungsweise KEPD-Taurus) und Meteor in der Begleitschutzrolle ab. Offensichtlich wurde dabei übrigens die gern verdrängte Realität, dass im Ernstfall beide Seiten innerhalb weniger Stunden mehrere Jahresbudgets an Munition verbraucht hätten und über keine nennenswerten Bestände an modernen Luft-Luft- und Luft-Boden-Flugkörpern sowie -Lenkwaffen mehr verfügen würden.
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