Die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Spanien hatten sich erst vergangenen November nach jahrelangen intensiven Verhandlungen – das Grundsatzvorhaben war schon von 2019 – darauf geeinigt, Gelder für ein Industrieabkommen zur Entwicklung eines flugfähigen Demonstrationsmodells des künftigen Kampfflugzeugsystems der 6. Generation FCAS (französisch: SCAF) bis 2027/2028 freizugeben. Die Entwicklungskosten für diese Programmphase 1b sind mit rund 3,5 Milliarden Euro budgetiert. Auf Basis des Demonstrationsmodells soll dann getestet werden, ob sich das Projekt technologisch zur Serienreife realisieren lässt, was mit weiteren Kosten von wohl mehr als 100 Milliarden Euro verbunden sein dürfte. Falls eine Umsetzung realisierbar ist, soll das Muster in Kombination mit seinen loyalen Flügelmänner-Drohnen ab 2040 Rafále und Eurofighter ersetzen.

Für Dassault nur drittwichtigstes Projekt
Soweit jedenfalls der Plan – denn nun stören (erneut) kritische Stimmen die multinationale Zusammenarbeit. Dassault Aviation-Chef Eric Trappier hatte bereits vor mehr als zwei Jahren seine Ernüchterung über die Anlaufschwierigkeiten des trinationalen Projekts zum Ausdruck gebracht. Als Präsident der UIMM (Union des Industries et Métiers de Métallurgie, der Lobby der französischen Stahlindustrie) betonte Trappier nun am 29. August in seiner Rede auf der jährlichen Sommertagung des französischen Industrieverbands MEDEF, dass für sein Unternehmen aktuell die Weiterentwicklung des Kampfjets Rafále zum Standard F5 oberste Priorität habe. Zudem stehe auf der Prioritätenliste auch das vollständig finanzierte Programm zur Entwicklung des Tarnkappen-UCAV nEURON für den gemeinsamen Betrieb mit Rafále F-5 und die Realisierung einer Combat Cloud gemeinsam mit Thales vor dem SCAF-Vorhaben. Die Abkürzung steht beim französischen Hersteller übrigens für „Système de Combat Aérien Futur”,  um das französisch-deutsch-spanische Programm vom britisch-italienischen Future Combat Air System Tempest zu unterscheiden, welches aber durch den Eintritt Japans ohnehin in Global Combat Air umbenannt wurde.

@Georg Mader
Dassault will seinen Rafále in den kommenden Jahren auf F-5- und dann sogar F-6-Standard weiterentwickeln.

Zwar sei laut Trappier die zukünftige Kampfflugzeug-Generation weiter „fest im Visier von Dassault”, seine Prioritätenreihung dürfte in der Zentrale des deutschen Programmpartners Airbus Defence & Space aber wohl trotzdem die Alarmglocken haben läuten lassen. Verstärkt wurden diese Alarmglocken wohl noch durch ein Statement des Chefs des Projektkommandanten Dassault im Interview mit „BFM-Business”: „Ob es 2040 tatsächlich erste Lieferungen geben wird? Nun, das wird die Zukunft zeigen. Die Würfel sind noch nicht gefallen. Wir sind kurz-, mittel- und sehr langfristig dabei, wollen aber eine echte Führungsrolle übernehmen. Das muss anerkannt werden. Wenn das von den anderen Partnern nicht anerkannt wird, wird es nicht funktionieren.” Angesichts der zunehmenden Anspannungen zwischen den Hauptakteuren könnte die Aussage auch dahingehend gedeutet werden, dass Frankreich beim SCAR einen Alleingang überlegt. Wirklich überraschend käme das nicht: In den 1990er-Jahren hat Frankreich beim Eurofighter-Projekt ähnlich agiert – heraus kam die nun spät auch im Export sehr erfolgreiche Rafále-Familie.

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Exporte als  Raison d’état
Gemäß der – im Gegensatz zu Deutschland – enormen Bedeutung von Rüstungsexporten für das Land bis direkt in den Elysée, wies Trappier dann auch auf die vielen Rafále-Verträge hin, die Dassault in den vergangenen Jahren unterzeichnet hat: „Unsere Auftragsbücher sind bis 2032 gefüllt und dabei haben wir die Verbuchung neuer Aufträge noch gar nicht abgeschlossen. Der ‚Rafále-Moment’ wird also noch einige Zeit andauern. Unser Angebot entspricht den Bedürfnissen der Militärs, und die Geopolitik spricht in jenen Ländern für Frankreich, die weder amerikanische noch russische Flugzeuge kaufen wollen.”

„Unsere Auftragsbücher sind bis 2032 gefüllt und dabei haben wir die Verbuchung neuer Aufträge noch gar nicht abgeschlossen.“

Dassault-Chef Eric Trappier

Erst im Sommer kündigte Indien seine Absicht an, 26 Rafále-M für seinen neuen Flugzeugträger kaufen zu wollen, während Indonesien weitere 18 (auf dann insgesamt 42) Maschinen bestellt hat, wodurch sich der Gesamtexportumsatz bis heute auf 311 Flugzeuge (neben Indien und Indonesien noch Ägypten, Katar, Griechenland, Kroatien und VAE) erhöhte. Das ist doppelt so viel wie beim Eurofighter (151), dem Saab Gripen (inklusive 102 langfristig geleaster) und Boeings Super Hornet (48). „Diese Länder werden das Muster voraussichtlich für Jahrzehnte betreiben und das bedingt für dessen Kompetenzerhalt für die nähere Zukunft die Zusammenarbeit mit diesen Kunden bei der Entwicklung des F-5-Standards bis 2030 und sogar eines F-6-Standards gegen Ende der 2030er Jahre”, so Trappier. Und Exporte sind – freilich in weit fernerer Zukunft – auch beim SCAF sehr wohl Thema.

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Parallele Entwicklungen zu Airbus-Anteilen
Bereits im Juni berichteten Branchenkollegen von der Pariser Messe in Le Bourget (beispielsweise hier) darüber, dass Frankreich offenbar neue Initiativen im Bereich der Subsysteme des FCAS gestartet hat, die denjenigen entsprechen, die gemäß den Vereinbarungen eigentlich in der Verantwortung der Partner Deutschland oder Spanien liegen. Und auch im Juli während des RIAT in Fairford, wurden in den Chalets ähnliche Entwicklungen kolportiert:

  • Frankreich hat demnach seinen ersten Hyperschallwaffen-/gleitertest durchgeführt (Véhicule Manœuvrant Expérimental oder kurz V-MaX) und nun bekannt gegeben, dass es Grundlagenforschung für ein echtes Hyperschall-Kampfflugzeug (Projekt ESPADON) betreibt, von dem es sagt, dass die Entwicklungen Teil einer SCAF-Fähigkeit sein könnten. Es handelt sich dabei aber um ein rein französisches Programm, keine Rede von „die Tür steht immer offen” oder ähnlichen Aussagen aus der Vergangenheit.
  • Im Rahmen des Staatsbesuchs des indischen Premierministers Narendra Modi in Frankreich anlässlich der Parade zum Nationalfeiertag am 14. Juli wurde zwischen den beiden Regierungen eine Vereinbarung über eine „Zusammenarbeit im Bereich fortschrittlicher Luftfahrttechnologien” und bei der „gemeinsamen Entwicklung eines neuen Luftkampfsystems” geschlossen.
  • Frankreichs Rüstungsforschungsagentur DGA hat zudem ein aktives (kein Blue Sky Thinking) Programm über eine Reihe von „Einweg-loyalen Flügelmännern” gestartet, die aus Transport- und Marinepatrouillenflugzeugen gestartet würden. Für jene sei das Zusammenwirken mit Rafále aber auch SCAF ein wesentlicher Treiber – nur wäre dieses ganze Begleitdrohnen-Business eigentlich Sache von Airbus.
  • Ohne das bekannte Stealth-Nurflügler-UCAV nEURON zu erwähnen, sagte Frankreichs Chef des Luftwaffenstabs den Senatoren in einer Beweisaufnahme im Juli, dass die Luftwaffe eine rein französisch-MALE UAV/UCAV teste und evaluiere. Er nannte keinen Namen, aber in einer Unterhaltung mit Militär Aktuell in Paris wurde klar, dass es sich dabei um die sicher größte europäische Drohne Aarok von Turgis & Gaillard Aarok handelt, die auch bereits geflogen wurde. Der Hersteller war bisher außerhalb Frankreichs kaum irgendwo auf dem Radar, obwohl er bereits die ganzen Bordfahrzeuge für die französischen Träger herstellte.
@Georg Mader
Aarok Drohne von Turgis & Gaillard Aarok.

Aufgeworfene Fragen
Was bedeutet das nun? Da ist zugegeben viel rüstungs- und industriepolitische Kaffeesudleserei dabei, aber warum sollte Frankreich und dessen Industrie versuchen, eine langfristige Weiterentwicklungs-Partnerschaft mit Rafále-Kunden aufbauen, wenn SCAF die einzige Option wäre? Warum sollte Frankreich zustimmen, ein neues Kampfflugzeug mit Indien zu entwickeln, anstatt beispielsweise zu versuchen, Indien – ja, samt seiner „byzantinischen Abläufe” – in den SCAF aufzunehmen? UCAVs/loyale Flügelmänner im SCAF liegen in der Verantwortung von Airbus Defence & Space, aber trotzdem investiert das Team Frankreich nun mehrere hundert Millionen Euro in die Entwicklung solcher Fähigkeiten. Wie hoch wird da die Wahrscheinlichkeit sein, dass diese Entwicklungen in einigen Jahren wieder eingestellt und verworfen werden? Und wenn widrigenfalls die deutschen Entwicklungen doch noch zu etwas gut sein sollten, was ist dann mit dem erbrachten Aufwand und den Mitteln bei Airbus und Hensoldt? Glaubt man vielleicht, dass einen die Typhoon-Partner Italien und Großbritannien doch noch in den Konkurrenten Tempest hineinbringen würden? Das Projekt schreitet im Vergleich mit großen Stiefeln vorwärts und der Eintritt Japans in „Global Combat Air” bedeutet, dass alles, was Berlin in finanziellem Bezug und Innovationen einbringen kann/könnte, wohl gegen irrelevant gehen könnte. Zudem sind auch hier ferne Exporte Teil der Konzeption und man erinnert sich an deutsche Exportverbote für so ziemlich jedes Verteidigungssystem (wie beispielsweise weitere Eurofighter für Riadh) in den Nahen Osten – eine Ausnahme bilden dort nur deutsche Panzer und Schützenpanzer.

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Fazit
Aktuell scheint Deutschland politisch und industriell noch nicht zu sehen, dass das Land zunehmend an den Rand des zukünftigen Kampfflugzeugprogramms gedrängt wird. Die „Mathematik” der Durchführbarkeit des Programms sowohl für Tempest als auch für SCAF bewegt sich aber grundlegend und schneller werdend gegen Deutschland und damit gegen Airbus Defence & Space. Sowohl ein französischer Alleingang als auch Tempest/Global Combat Air können auf Partner verweisen, die über Ressourcen und Abnahmemärkte verfügen, die dazu führen könnten, dass Deutschland (und erst Spanien an dritter Stelle) weniger benötigt wird oder sogar aktiv unerwünscht ist. Und das gepaart mit einem sich bereits abzeichnenden (innen)politischen Momentum, welches den 100 Milliarden-Schockmoment der Scholz’schen Zeitenwende bezogen auf die Verteidigungsanstrengungen bereits wieder verblassen lässt.

Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um Dassault Aviation und hier zu weiteren Meldungen rund um Airbus Defence and Space.

Quelle@Georg Mader