Eben erst hat die US-Armee das FARA-Hubschrauberprogramm gestrichen und nun scheint mit der Eurodrone ein weiteres größeres – und in dem Fall sogar bereits unbemanntes – Rüstungsprojekt gefährdet. Hintergrund sind wohl auch hier aktuelle Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg, die eine Realisierung als wenig sinnvoll erscheinen lassen. Darüber hinaus spielen aber auch technische und finanzielle Gründe eine Rolle.

So gibt es im soeben vorgelegten 18. Rüstungsbericht des deutschen Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) zu dem – neben dem bemannten Kampfflugzeugsystem FCAS – zweiten größeren deutsch-französischen Rüstungsprogramm (wie beim FCAS ist auch noch Spanien mit an Bord) am Luftsektor durchaus bemerkenswerte Passagen. Demnach wurde der für vergangenen September geplante Projekt-Meilenstein PDR zeitlich verfehlt, in dieser sogenannten Preliminary Design Review hätte geprüft werden sollen, ob die technische Auslegung für die geplanten Aufgaben machbar und sinnvoll ist. Aktuell sei „noch nicht bei allen Subsystemen die erforderliche technologische Reife zum Einstieg in den formellen PDR-Prozess gegeben”, heißt es in dem Bericht als Begründung. Folge dessen scheint man sich im BMVg nun Sorgen zu machen, dass der für diesen September anstehende nächste Meilenstein CDR (Critical Design Review, also die Detailplanung) ebenfalls verfehlt werden könnte. Und es folgt ein eindeutiger Hinweis: „Beim CDR handelt es sich um den ersten ‚Abbruchmeilenstein’ des Vertrages.” Wird die geplanten Ziele bis dahin nicht erreicht, könnte das bereits das Aus für das gesamte Projekt bedeuten.

@Georg Mader
Enthüllung vor mittlerweile sechs Jahren: Auf der ILA 2018 wurde ein 1:1 Modell des MALE-RPAS vorgestellt.

Auf der ILA 2018 war ein 1:1-Plastikmodell der Eurodrone zu sehen, bis zur Unterzeichnung zum offiziellen Programmstart zwischen Airbus Defence and Space und der europäischen Rüstungsbeschaffungsbehörde OCCAR dauerte es aber noch bis zum 24. Februar 2022 (zufällig der Tag des Beginns des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine). Zwar wird im Bericht festgehalten, dass die Preissteigerung im Vergleich zum 17. Rüstungsbericht nicht tatsächlich (wie angeführt) 35 Prozent betrage, sondern dabei auch (nach einer Vorgabe für die Bewirtschaftung des „Sondervermögens Bundeswehr”) die vertraglich vereinbarte „Preisgleitklausel” bis zum Ende des Leistungszeitraumes im Jahr 2035 einberechnet wurde. Als Begründung für Verzögerungen wird allerdings auf „noch bestehende Abstimmungsprobleme” zwischen dem Projektführer Airbus Defence and Space und Dassault (beim FCAS sind die Rollen getauscht) verwiesen, weitere Verzögerungen seien „in Hinkunft zu vermeiden”, wie es heißt. Airbus solle versuchen, die bestehenden Probleme bezüglich der Zuarbeiten von Dassault „umfänglich und zeitnah” zu lösen.

Natürlich versucht die deutsche Industrie, etwaig dräuendes Unheil abzuwenden, immerhin geht es laut Airbus Defence & Space-Chef Michael Schöllhorn bei dem Projekt auch um rund 7.000 Arbeitsplätze. Man räumt aber trotzdem ein, dass es Änderungsbedarf beim Zeitplan für die erwähnten Meilensteine gibt, so sei im vergangenen Oktober OCCAR darüber informiert worden, dass mehr Zeit für die PDR benötigt werde. „Das steht im Zusammenhang mit Design-Spezifikationen, die mehr Zeit in Anspruch nehmen als ursprünglich geplant”, heißt es.

@Airbus
Kompakt sieht anders aus: Die Eurodrone kommt mit stattlichen 16 Metern Länge und 26 Metern Spannweite daher.

Im Gegensatz zum FCAS ist am Eurodrone-Programm auch der italienische Konzern Leonardo beteiligt, von dort sollen die Missionssysteme samt neuen Sensoren, Radar und dem Multi Purpose Mission Computer (MPMC) kommen. Die beiden für eine erfolgreiche Entwicklung erforderlichen Begleitverträge „Demonstratorstudie für einen signalerfassenden Aufklärungsbehälter” und „Machbarkeitsstudie und Risikomitigation Detect-and-Avoid-Radar” wurden im Dezember 2022 beziehungsweise im Juni 2023 gezeichnet.

Erstflug erst 2027
Das deutsche BMVg plant für die Bundeswehr (Luftwaffe) 21 Eurodrons zu kaufen. Sie würden dann sieben komplette Systeme mit jeweils zwei mobilen Bodenleitstellen bilden und könnten bis zu 18 Stunden in der Luft sein. Das System würde währenddessen von einem Piloten gesteuert und überwacht, während ein Nutzlastbetreiber die Aufklärungsdaten verarbeitet. Es sollen insgesamt 16 Bodenstationen kommen, zwei davon dürften vorerst in Reserve gehalten werden. Der Erstflug des European MALE-RPAS-Prototypen (medium-altitude long-endurance, remotely piloted air system) sollte – aus heutiger Sicht – im Jänner 2027 erfolgen. Die Auslieferung des ersten Luftfahrzeuges und einer Bodenkontrollstation für Deutschland ist bis dato für April 2030 geplant. Vorausgesetzt natürlich, dass bis dahin nicht der oben erwähnte technische „Abbruchmeilenstein” zum Tragen kommt, oder man – wie in den USA bei FARA – angesichts der sich rasch ändernden Realitäten zu neuen Beurteilungen oder finanziellen Prioritäten gelangt.

Zu groß, zu schwer, zu unflexibel, zu langwierig?
Zwischen den beteiligten deutschen und französischen Konzernen gibt es – wie wiederholt berichtet – immer wieder kleinere und größere „Reibereien”. Kritiker und Analysten monieren zudem nun, dass das zweimotorige MALE-Gerät schon jetzt, weit vor seinem Erstflug, aus der Zeit gefallen sei. Die Abmessungen seien mit 16 x 26 Metern zu groß und das Gewicht mit bis zu zwölf Tonnen (und bis zu 2,3 Tonnen Zuladung an Aufklärungstechnik oder Waffen – das ist etwa doppelt so viel wie beim US-Pendant MQ-9 Reaper) zu hoch, um über künftigen Gefechtsfeldern oder Konfliktregionen überlebensfähig zu sein.

„Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben“

Dazu kommt: Sowohl die Drohnenkriegsführung, als auch die Abwehr unbemannter Systeme entwickeln sich derzeit rasant. Erfahrungen aus dem Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien 2020 und ganz aktuell aus dem Ukraine-Krieg zeigen, dass für luftgestützte Aufklärung und Überwachung in die Tiefe des Einsatzgebietes, ebenso wie für die Wirkung gegen stationäre und bewegliche Ziele, mehr als nur ein paar Systeme benötigt werden – auch weil Verluste kaum zu vermeiden sind. Zudem benötigt es –stattdessen oder ergänzend – vor allem viele kleinere und dadurch flexibler einsetzbare Drohnen, die Aufklärungsergebnisse liefern und sich – und das zunehmend KI-unterstützt – auch gleich selbst auf feindliche Ziele stürzen können.

Ebenfalls ein Problem für das Eurodrone-Projekt: In den vergangenen Jahren haben sich vor allem die USA und Israel zu führenden Herstellernationen im Drohnenbereich entwickelt, Systeme von dort decken praktisch den gesamten westlichen Markt ab. Und im günstigeren Regal reüssieren aktuell vor allem türkische Drohnen. Von dort kommen die „Toyotas der Drohnen”, wie es von Baykar Technologies heißt, die sich auch nicht so finanzkräftige Länder leisten können. Die Aussichten, die Eurodrone auch exportieren zu können, sind damit überschaubar sein.

@IRMT
Mithilfe eines Sevim Khorad-Luftverteidigungssystems gelang dem Iran 2019 der Abschuss einer US-amerikanischen RQ-4A Block 10 Global Hawk.

Gefährdete Großsysteme
Aktuell gibt es einige Beispiele hochfliegender MALE- und sogar HALE-Drohnen (High Altitude Long Endurance), welche gegnerischen Maßnahmen zum Opfer fielen, weil die andere Seite sich – auch abseits jeder Luftfahrtregeln – nicht über die Schulter schauen lassen wollte. Am 14. März 2023 haben zwei russische Kampfjets vom Typ Su-27 beispielsweise eine US-amerikanische MQ-9 Reaper (Sensenmann) über dem Schwarzen Meer mit dem absichtlichen Ablassen von Treibstoff und absichtlichen Kollisionen zum Absturz gebracht. Schon am 19. Juni 2019 ging eine RQ-4A Block 10 Global Hawk der US-Marine verloren. Die Drohne war zunächst über den Golf von Oman in Richtung der iranischen Hafenstadt Tschabahar im Südosten des Landes geflogen, habe auf dem Rückweg aber – so der Iran – iranischen Luftraum verletzt (was die USA natürlich bestreiten) und wurde daraufhin über Hormuz mittels mobilen, rund 25 Kilometer hoch reichenden Luftabwehrraketen vom Typ Sevom Khordad (ein Derivat von Buk-M2 mit phased-array Radar) abgeschossen. Und bereits 2011 gelang es den iranischen Revolutionsgarden (IRGC) eine US-Spionagedrohne RQ-170 Sentinel im Westen Afghanistans mit einem Cyberangriff unter ihre Kontrolle zu bringen und zur Landung zu zwingen. Sie wurde in Folge im Iran in Serie nachgebaut – wie übrigens auch Nordkorea jüngst einen exakten Zwilling der vom Iran 2019 abgeschossenen und in großen Teilen geborgenen Global Hawk präsentierte.

@IRNA
Aufnahme der Überreste der vom Iran abgeschossenen RQ-4A Block 10 Global Hawk, davon stammt der nordkoreanische Klon Saetbyol-4.

Negativbeispiele Euro Hawk und Talarion
Zwei große Drohnenprojekte, welche Deutschland entweder alleine oder mit Partnern startete, sind in den vergangenen Jahren bereits gescheitert. Es waren dies die HALE-Aufklärungsdrohne Euro Hawk (auf Basis der erwähnten Global Hawk von Northrop-Grumman) und das Cassidian-Projekt Talarion.

Konkrete Überlegungen eine SIGINT-Aufklärungsdrohne zu beschaffen, wurden in der Bundeswehr bereits im Jahr 2000 unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping angestellt. In den folgenden Jahren gelangte man zu dem Ansatz, die zur Aufklärung notwendige Technologie von EADS entwickeln zu lassen, die Trägerdrohne aber im Ausland zu kaufen.  Das entsprechende Euro Hawk-Vorhaben litt aber von Beginn weg an der Vorgabe, verlässliche Schutzelemente zur Vermeidung etwaiger Kollisionen mit zivilen Flugzeugen vorzusehen. 2013 stellte sich heraus, dass die Zulassung für den Flug im intensiv genutzten deutschen Luftraum (zu) hohe Zusatzkosten von rund 600 Millionen Euro verursachen würde. Ein entsprechendes Budget war dafür nicht vorgesehen, das Projekt wurde eingestellt. Zwar konnte die SIGINT-Ausrüstung „gerettet” werden, rund 300 Millionen Euro waren trotzdem unwiederbringlich verloren. Die eine – 2011 per 24-Stunden-Rekord-Nonstop-Flug von Palmdale nach Manching eingeflogene – Maschine steht im Luftwaffenmuseum Berlin-Gatow. Das Talarion-Projekt wurde dann noch im selben Jahr eingestellt, nachdem das System nicht vor 2018 einsatzfähig gewesen wäre, die Bundeswehr aber bereits 2014 eine Drohne brauchte.

@EADS
Talarion-Aus: Die Cassidian-Drohne für mittlere Höhen (MALE) wurde 2011 eingestellt.

Zum Zuge kamen dann bereits am Markt verfügbare Systeme wie die geleasten israelischen Heron TP. Seit Ende 2022 vefügt das israelische Drohnensystem über eine Musterzulassung für den Betrieb in Deutschland. Und der Haushaltsausschuss des Bundestages hat am 8. November 2023 der vierten Änderung des Betreibervertrags mit Airbus Defence & Space Airborne Solutions zugestimmt, mit der der Demonstrationsbetrieb mit der Drohne Heron TP in Deutschland ermöglicht wird. Zudem soll Informationssicherheit hergestellt und die Lagerhaltung der Ersatzteile nach Deutschland verlegt werden. Das Volumen ist mit 59,2 Millionen Euro angegeben und beinhaltet Verpflichtungen bis 2025. Es bleibt abzuwarten, ob das Eurodrone-Projekt zu dem Zeitpunkt noch auf Schiene ist.

Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um Airbus Defence and Space.

Quelle@Airbus, EADS, Georg Mader, IRMT, IRNA