Vertreter der US Armee haben über Jahre hinweg immer wieder betont, dass das FARA-Programm (Future Attack Reconnaissance Aircraft) eine der obersten Modernisierungsprioritäten im Rahmen der mehrstufigen Future Vertical Lift (FVL) Initiative sei. Nun wurde das gemeinsam mit Lockheed Martin und seiner Hubschrauber-Tochter Sikorsky sowie Bell-Textron verfolgte Programm in einer nur auf den ersten Blick überraschenden Erklärung gestrichen.

Um den Zuschlag hatten sich Lockheed Martin mit dem Sikorsky Raider-X und Bell-Textron mit dem Modell-360 Invictus beworben. Beide Unternehmen wurden im Jahr 2020 damit beauftragt, Prototypen zu entwickeln. Sikorsky ging wie beim Defiant mit einem Koaxialrotor und Pusher-Propeller ins Rennen, Bell setzte auf ein eher traditionelles Helikopterdesign. Beide Modelle sollten den Plänen zufolge mit Hellfire-Raketen bestückt werden und über eine 20-Millimeter-Kanone unter dem Kinn verfügen, beim Invictus waren zudem außen liegende Klappsitze für Spezialeinsatzkräfte ähnlich wie am MH-6 Little Bird geplant. Der Erstflug für das Muster war noch ausständig, während ein X-97 Raider-Prototyp bereits rund 140 Stunden in der Luft war.

Bell-Textron war Ende 2022 beim im Rahmen von FVLf ebenfalls vergebenen größeren FLARA (Future Long-Range Assault Aircraft) mit dem V-280 Valor gegen Sikorskys SB-1 Defiant-X für einen künftigen Black Hawk-Ersatz erfolgreich. Dessen Abrundung nach unten als Ersatz für die OH-58D und die erwähnten MH-6 in der bewaffneten Aufklärungsrolle (Scout-Helicopter) fällt aber nun völlig weg. Derzeit übernehmen AH-64 Apache diese Aufgabe, obwohl es sich dabei um einen Angriffshubschrauber handelt, der nicht primär für Aufklärungszwecke gedacht ist.

Deutlich weniger Überlebenschancen
Hauptgrund für die nun bekanntgegebene Neu- und Umorientierung ist – wenig überraschend – der Ukraine-Krieg und das ernüchternde Schicksal von Drehflüglern über dem dortigen Gefechtsfeld. Gleich zu Beginn und im weiteren Verlauf des Krieges fielen auf beiden Seiten Dutzende Hubschrauber nicht mehr zeitgemäßer Taktik und Einsatzverfahren sowie in Folge der dichten bodengebundenen Luftabwehr aller Art zum Opfer. Dabei „erwischte” es auch durchaus moderne Typen wie Ka-52 oder Mi-28. Dass sich die operationellen Bedingungen und Überlebensaussichten seit dem FARA-Programmbeginn 2018 also stark verschoben oder verschärft haben, wird auch von offizieller Seite als Begründung für die Streichung des Programms genannt.

@Sikorsky
X-97 Raider: So sah Sikorsky seine Helikopter-Zukunft. Das Muster brachte es bereits auf rund 140 Flugstunden.

Unbemannt schlägt bemannt
Die Überprüfung von FARA im Lichte der technologischen Entwicklungen und Budgetprognosen habe gezeigt, dass die erhöhten Fähigkeiten durch den Einsatz unbemannter und weltraumgestützter Mittel kostengünstiger und effektiver dauerhaft erreicht würden, heißt es von Seiten der US Armee. Während die Army plant, den erwähnten Kipprotorflügler Bell V-280 Valor wie geplant weiterzuführen, sagt der Stabschef der Armee, General Randy George, in seiner für die beiden Hersteller bitteren Erläuterung, ganz konkret: „Wir lernen auf dem modernen Schlachtfeld – insbesondere in der Ukraine –, dass sich die bemannte Luftaufklärung grundlegend verändert hat. Sensoren und Waffen, die auf einer Vielzahl von unbemannten Systemen und im Weltraum montiert sind, sind allgegenwärtiger, weitreichender, kostengünstiger und vor allem viel rascher verfügbar als je zuvor. Ich bin zuversichtlich, dass die Armee für die Joint Force sowohl auf dem vorrangigen Kriegsschauplatz als auch rund um den Globus mehr abliefern kann, indem sie Innovation, Beschaffung und Einsatz moderner unbemannter Luftfahrzeugsysteme beschleunigt, einschließlich des Future Tactical Unmanned Aircraft System, Launched Effects (FTUAS-ALE) sowie von kommerziellen kleinen unbemannten Flugzeugsystemen. Unsere Gegner haben eine robuste Anti-Access/Area Denial (A2AD) etabliert, aber wir werden in dieser Hinsicht die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen, um die unbemannte Aufklärungsfähigkeit zu erweitern und zu beschleunigen.”

„Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben“

Zahlreiche Nebeneffekte
Als die obersten Beschaffungsbeamten der US Armee eine umfassende Überholung der Heeres-Luftfahrt ankündigten, wurde auch deutlich, dass neben der Beendigung von FARA auch geplant ist, die gesamte unbemannte Drohnenflotte der gegenwärtigen Modelle Shadow und Raven abzustoßen. Laut Doug Bush, dem Beschaffungschef der Teilstreitkraft, wird nun auch nicht mehr daran gedacht, die bestehende Black Hawk UH-60L-Flotte durch Victor-Modelle zu ersetzen, stattdessen sollen deutlich mehr UH-60M (Mike) beschafft werden. Auch Österreich will die gegenwärtig neueste produzierte Black Hawk-Variante beschaffen und damit seine AB212-Flotte ersetzen, wie Rüstungsdirektor Generalmajor Harald Vodosek und die Brigadiere Jörg Freistätter und Josef Juster von der Direktion 5 Beschaffung kürzlich im großen Militär Aktuell-Interview bestätigten.

@US Army
Deutliche Unterschiede: Die beiden FARA-Entwürfe unterscheiden sich im direkten Vergleich fundamental. Beim Raider-X (links) ist der Rumpf deutlich breiter gedacht, Bell wollte den 360 Invictus mit außenliegenden Sitzen für Spezialeinsatzkräfte versehen.

Bislang hatte die US Armee rund zwei Milliarden Euro in das FARA-Programm investiert, für die kommenden fünf Jahre war ein Budget von weiteren fünf Milliarden Euro vorgesehen.

Diese Mittel sollen nun in neue Block-II-Helikopter des schweren Transporthubschraubers CH-47F Chinook und die Entwicklung hin zur Serienreife des erwähnten Bell V-280 Valor als Black Hawk-Nachfolger (FLARA) fließen. Besonders aber sind nun (viel) mehr der im obigen Interview erwähnten neu gebauten UH-60M geplant, nachdem ein 2014 vergebener Vertrag zum Umbau von 760 UH-60L der Nationalgarde zu UH-60V (Victor ist das Northrop-Grumman-Pendant zum Ace Cockpit, mit dem das Bundesheer aktuell seine bestehende Black Hawk-Flotte aus neun Maschinen plus drei weitere geplante gebrauchte Maschinen ausstattet) nach Software-Stabilitätsproblemen und Kostensteigerungen nach nur 60 Stück nun ebenfalls vorzeitig beendet wird.

Das US Verteidigungsministerium hatte ursprünglich einen Rahmenvertrag für 120 Festbestellungen und 135 Optionen für Mikes von 2022 bis 2026, mit letzter Lieferung bis Mitte 2027. Da sich nun aber die Frage stellt, wie die Nationalgarde zu mehr Hubschraubern kommen soll, ist aktuell ein neuer Rahmenvertrag mit Sikorsky in Verhandlung. Bis zu einem Abschluss gilt allerdings noch der aktuelle Vertrag, weshalb das US-Verteidigungsministerium gewillt sein könnte, alle aktuell noch verfügbaren Mike-Optionen an sich zu ziehen. Aktuellen Planungen zufolge gehen von den 135 Optionen bereits 40 Maschinen nach Australien, zudem gibt es derzeit Anfragen von Griechenland (für 35 Maschinen), Brasilien (16) und Kroatien (acht) sowie zahlreiche potenzielle weitere Interessenten – darunter auch Österreich. Um am Ende des Tages trotzdem alles unter einen Hut zu bringen ist nun wohl Flexibilität gefragt – auf beiden Seiten.

Unabhängig davon besteht aktuell allerdings auch noch die (Rest)Möglichkeit, dass die Entscheidung der US Armee zum Stopp des FARA-Programms durch den Kongress blockiert wird, so haben Kongressmitglieder aus Connecticut (in Hartford ist der Hauptstandort von Sikorsky) einen Ablehnungsantrag zu der Entscheidung angekündigt.

@Revell
Der RAH-66 Comanche wurde zumindest als Modellbausatz realisiert.

Schon mehrmals teuer gescheitert
Die Entscheidung beendet nun höchstwahrscheinlich bereits den dritten (teuren) Versuch der US Armee zur Entwicklung eines neuen bewaffneten Aufklärungshubschraubers. 2004 war bereits das von Boeing/Sikorsky betriebene RAH-66 Comanche-Programm gestrichen worden, nachdem das Konsortium in 21 Jahren (!) und Investitionen von knapp neun Milliarden Euro zwei – für damals sehr futuristisch anmutende – Prototypen entwickelt hatte. Angesichts der massiven Hubschrauberverluste im Irak-Krieg erhielt Bell dann 2005 mit seinem robusteren Modell-407 den Zuschlag für das Armed Reconnaissance Helikopter-Programm, es winkte ein Vertrag über den Bau von 368 Hubschraubern, wobei der Gesamtbedarf der US Armee gar auf 512 Maschinen ermittelt wurde.

Als dann allerdings eine Gesamtkostenüberschreitung von rund 70 Prozent von rund acht auf etwa 14 Milliarden Euro prognostiziert wurde, obwohl sich das Projekt erst in der Prototypen-Phase des sogenannten ARH-70 befand, wurde es 2008 ebenfalls abgebrochen. Damit gab es für den (inzwischen ausgeschiedenen und teils nach Kroatien weitergegebenen) OH-58D Kiowa Warrior bis heute keinen Ersatz und wie nun klar ist, wird auch FARA diese Lücke nicht schließen können – den Aufgabenbereich werden in Zukunft Drohnen abdecken.

Hier geht es zu weiteren Berichten rund um Lockheed Martin, hier zu weiteren Sikorsky-Meldungen und hier zu weiteren Meldungen rund um Bell-Textron.

Quelle@US Army, Revell, Bell-Textron, Sikorsky