Die British Home Guard war eine Heimwehr, die in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg ab 1940 aktiv war. Dabei zeichnete sie insbesondere in den Anfangstagen zwei Dinge aus: Mangel an allem und großes Improvisationstalent.

Halb spöttisch nannte man diese Territorialverteidigungsorganisation oft „Dad´s Army”. Tatsächlich war rund die Hälfte aller Mitglieder – insgesamt rund vier Millionen – der Home Guard unter 27 Jahre alt. Unter dem Druck der befürchteten deutschen Invasion, deren Vorbereitungen ja jenseits des Ärmelkanals auf Hochtouren liefen, gewann die Home Guard, die später eine Höchststärke von 1,5 Millionen Mann erreichte, ihre besondere Bedeutung – aufgestellt wurde sie aber schon früher:

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Angehörige der Worcester Home Guard.

Am 14. Mai 1940 gab der Secretary of State for War, Anthony Eden, per Radioansprache die Gründung der „Local Defense Volunteers” bekannt und rief seine Landsleute auf, sich zu melden. Freiwillige zwischen 17 und 65 Jahren wurden gesucht, die sich bei den lokalen Polizeidienststellen melden konnten. Oft waren sie wesentlich älter als 65 oder sogar jünger als 17. Die Freiwilligen erhielten keinen Sold, man versprach ihnen aber ein Gewehr und eine Uniform, und das wirkte motivierend. Bis zum Herbst 1940 hatte man schon fast anderthalb Millionen Mann zusammen. In der Grafschaft Kent schrieben sich innerhalb von 24 Stunden nach Edens Radioansprache 10.000 Mann bei der Home Guard ein, die lokale Polizei war mit diesem Ansturm organisatorisch hoffnungslos überfordert. Nach ein paar Tagen hatte allein Brighton mehr als 1.500 Local Defense Volunteers, Worthing über 1.000.

Premierminister Winston Churchill gefiel die Bezeichnung „Local Defense Volunteers” gar nicht. Die Abkürzung „LDV” wurde von bösen Zungen mit „look, duck, vanish” (gucken, ducken, verschwinden) übersetzt oder mit „last desperate venture” (letzte verzweifelte Maßnahme).

Steyr-Puch-Pinzgauer: Von Anfang an ein Erfolg

Am 22. Juli wurde die Organisation in „Home Guard” umbenannt. Zunächst hatte sie den Charakter einer Polizeitruppe: Infiltrationen und Luftlandungen sollten gemeldet werden. Folgerichtig apostrophierte man die Home-Guard-Männer als „Parashots”. Organisatorisch gehörten sie zur Territorial Army, außer in Nordirland, dort zählten sie zunächst zur Royal Ulster Constabulary. Die Home Guard bestand hauptsächlich aus Infanterieeinheiten, es gab aber auch berittene Verbände (besonders in Devon und Cornwall). Im Themsemündungsgebiet, am Firth of Forth und im Lake District verfügte man sogar über Einheiten mit Motorbooten. In Dumfriesshire in Schottland patrouillierten in den Monaten der Invasionsfurcht 1940 Radfahrereinheiten an der Küste. Die Home Guard erfüllte Objektschutzaufgaben, und ihre aus verschiedensten Berufen kommenden Angehörigen konnten sich sehr vielseitig bei den britischen Verteidigungsanstrengungen einbringen.

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Home-Guard-Handbuch.

Mehr und mehr übernahm die Home Guard Aufgaben der regulären Armee und machte so deren Einheiten für wichtigere Dienste frei. So bemannten ihre Angehörigen auch Flugabwehrgeschütze. Der erste Abschuss eines deutschen Flugzeugs durch die Home Guard gelang 1943 in der nordenglischen Region Tyneside. Sogar schwerkalibrige Marinegeschütze zur Küstenverteidigung wurden durch die Home Guard bemannt, so die 6-inch-Kanonen beim Wish Tower bei Eastbourne im Jahre 1942.

Da auch bei der regulären Armee nach Dünkirchen Waffenknappheit herrschte, konnte die Home Guard erst in zweiter Linie adäquat bewaffnet werden. Dazu wurden neben den Standardwaffen der British Army auch alte Ordonnanzgewehre herangezogen, etwa die P-14-Rifles oder die sehr treffsicheren kanadischen Ross-Rifles, von denen die Briten 79.000 Stück einsetzten. Mit kanadischen Ross-Rifles wurden außerdem im Zweiten Weltkrieg noch die London Fire Brigade, die Metropolitan Police und die Port of London Authority Police bewaffnet.

In der Anfangszeit der Home Guard konnte man sich aber noch glücklich schätzen, mit solchen Gewehren ausgerüstet zu sein. Eine Einheit in Lancashire war mit antiken Gewehren ausgestattet, die vorher dem Zoo von Manchester gehört hatten: alten Snider-Rifles, die zuletzt an der „North-West-Frontier” um 1890 zum Kriegseinsatz gekommen waren. Ein Platoon in Hertfordshire besaß nur ein einziges Gewehr, und das war ein deutsches. Es hatte einem deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs gehört und war in Ostafrika erbeutet worden. Selbst König George VI spendierte der Home Guard etliche seiner geschätzten Schrotflinten. Ganz wehrlos machte sich Seine Majestät aber nicht: auf einem improvisierten Schießstand hinter dem Buckingham Palace trainierte er fleißig mit Familienmitgliedern und Dienerschaft im Pistolen- und Gewehrschießen.

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Home Guard in Dover.

Viele Bürger der USA beließen es zu dieser Zeit nicht bei Sympathiebekundungen, es entstand das „Commitee for the Defense of British Homes”, welches Geld- und Sachspenden (private Jagd- und Sportwaffen) für die britischen Streitkräfte sammelte. Vieles, gerade wenn es mit den britischen Standardkalibern nicht kompatibel war, ging an die Home Guard. Das „Commitee for the Defense of British Homes” wurde von dem Forscher und Abenteurer Charles Suydam Cutting angeführt. Die National Rifle Association schickte beispielsweise mehr als 7.000 Schusswaffen nach Großbritannien.

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Home Guard-Leute in den schottischen Highlands mit Lewis MG.

Es ging manchmal recht unbürokratisch zu in jenen Tagen. Als der Golfer und Geschäftsmann Charles Sweeney in London eine Kompanie für die Home Guard aufstellte, aus US-Bürgern wohlgemerkt, machte er sich Gedanken über die Bewaffnung dieser „1st American Motorised Squadron”. Er telegraphierte seinem Vater in New York, der die Firma Thompson dazu brachte, 100 Thompson-Maschinenpistolen samt 100.000 Schuss zu spendieren. Ein anderer amerikanischer Spender schickte dem 34th County of London Battalion, Home Guard, eine Kiste mit vierzig alten Colt-Browning-Maschinengewehren.

Die Ulster Home Guard bemannte im Oktober 1940 einen Fliegerabwehrgürtel rings um Belfast, der mit 50 Hotchkiss-LMGs verstärkt wurde. Die Home Guard verfügte im März 1942 insgesamt über 125 Hotchkiss-LMGs, im November 1942 über 323.

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Parade der Home Guard im walisischen Pontypool.

Mit der Zulieferung amerikanischer P-17-Rifles im amerikanischen Armeekaliber .30-06 konnte der anfänglichen Waffenknappheit Abhilfe geschaffen werden, rund 500.000 P-17 wurden 1940 geliefert, dazu kamen später noch rund 64.000 Springfield 1903 – nebst 38.000 Garand M1. Standardkaliber bei der Home Guard wurde also .30-06. Die Home Guard gab sogar im Mai und Juni 1941 rund 80.000 Gewehre im britischen Ordonnanzkaliber .303 – Ross, P14, Enfield – an die reguläre Armee ab. Im April 1942 waren nur noch rund 4.200 Enfield No 1 und 2.400 P14 bei der Home Guard im Einsatz, neben 19.500 Ross-Rifles. Dazu kamen noch rund 30.000 Schrotflinten (im Juli 1940 waren es noch mehr als 56.000 gewesen), aber die Standardpatrone der Home Guard war die .30-06 und mit den amerikanischen Gewehren war die Home Guard sogar besser bewaffnet als ihre Kameraden von der regulären Armee.

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Reguläre Soldaten und Home Guard-Leute bei einer Übung in der Nähe von Dover.

Als leichtes Maschinengewehr nutzten viele Einheiten der Home Guard das Browning–BAR, von dem zwischen August 1940 und November 1942 24.000 Stück an die Home Guard gingen. Mit der Massenproduktion der Sten-MP im Jahre 1943 erhielt dann auch die Home Guard diese Maschinenpistole. Die vorher gebräuchlichen Thompson-MPs, von der die Home Guard im Frühjahr 1942 mehr als 41.000 Stück besessen hatte, gingen an die regulären Truppen. 1943 kamen dann auch Enfield No 4 in Zulauf.

In den späteren Kriegsjahren gehörten 75-Millimeter-Feldkanonen auf Pak-Lafette ebenso zum Arsenal wie 20-Millimeter-Maschinenkanonen von Hispano-Suiza. In der Anfangszeit musste man sich dagegen mit schnell konstruierten Notlösungen behelfen wie dem Spigot-Mortar oder der Smith-Gun, die die Bedienungsmannschaft genauso gefährdete wie das intendierte Ziel.

@Archiv Seehase
Home Guard-Mitglieder mit einer Smith Gun.

Waffen waren aber nicht das einzige logistische Problem, es mussten auch Uniformen für die Home-Guard beschafft werden, Stiefel, Helme und weitere Ausrüstung. Zunächst behalf man sich mit Arbeitsanzügen der britischen Armee, dann kamen auch richtige Uniformen. Häufig waren Einheiten der Home Guard Regimentern der regulären Truppe angegliedert und trugen deren Uniformen und Abzeichen.

@Preston Isaac
Mützenabzeichen der Home Guard.

Im Dezember 1941 wurde eine nationale Dienstpflicht für alle Briten zwischen 18 und 60 Jahren eingeführt. Es galt nun eine allgemeine Wehrpflicht für Männer bis 51 Jahre, in manchen Bezirken abzuleisten bei der Home Guard. Austritt (wie in den ersten Monaten) war nun nicht mehr möglich und es galt nun eine Dienstzeit von mindestens 48 Stunden pro Monat. Seit Mai 1914 wurde Verdienstausfall für bei der Home Guard Dienende gezahlt (maximal 0,50 Pfund pro Tag). Pensionen für im Dienst Verwundete wurden eingeführt und Hinterbliebenenrenten für die Angehörigen im Dienst Getöteter. Nur wer eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 60 Stunden nachweisen konnte, war vom Dienst in der Home Guard freigestellt.

Zur Home Guard gehörten auch das Battalion 201 (in Schottland) das Battalion 202 (in Nordengland) und das Battalion 203 (in Südengland). Das waren die sogenannten „Auxiliary Units”, deren Angehörige zwar die Home Guard-Uniform trugen, aber ganz anders bewaffnet und ausgebildet waren. Diese Leute patrouillierten küstennahe, dünnbesiedelte Regionen Großbritanniens (von denen es erstaunlich viele gibt), legten Verstecke an und verhielten sich tunlichst unauffällig. Im Falle einer deutschen Invasion sollten sie als Guerillas kämpfen (allerdings in Uniform), sich von vorrückenden deutschen Truppen überrollen lassen, um dann das Verkehrsnetz im Rücken der deutschen Front lahmzulegen. Dafür hatten sie Unmengen an Sprengmitteln. Zu den Waffen zählten vor allem Pistolen, amerikanische Revolver im Kaliber .38, Maschinenpistolen und Kleinkalibergewehre mit Zielfernrohr, etwa die Winchester M74.

@Archiv Seehase
Home Guard-Leute mit einem Northover Projector.

660 mit Zielfernrohren und Schalldämpfern ausgerüstete Winchester-M74-Halbautomaten im Kaliber .22lr gingen an die „Auxiliary Units”. Ansonsten waren bei der Home Guard Kleinkalibergewehre vor allem als kostengünstige Trainingswaffen im Einsatz. In den Auxiliary Units waren besonders viele Farmer anzutreffen, etliche Jäger (und Wilderer) ebenfalls. Erster Kommandeur war der Schotte Colonel Colin Gubbins, der nicht nur erhebliche Kampferfahrung hatte, sondern selbst passionierter Jäger und Schütze war. Als die erwartetet deutsche Invasion im Laufe des Krieges immer unwahrscheinlicher wurde, gingen viele Mitglieder der Auxiliary Units zum Special Air Service. Im November 1944 wurden die Auxiliary Units, die rund 3.500 Mitglieder gezählt hatten, aufgelöst.

Ein fahrender Bunker, schwer und massig: Der Bison

Was die geistigen Einflüsse der Home Guard angeht, ist bislang viel von den Ideen britischer Teilnehmer am Spanischen Bürgerkrieg geschrieben worden. Am prominentesten war hier Captain Tom Wintringham, der in Spanien ein Bataillon britischer Freiwilliger kommandiert hatte. Sein politischer und publizistischer Beitrag zur Aufstellung der Home Guard war sehr wichtig. Er war allerdings ein Außenseiter im britischen Offizierskorps.

@Archiv Seehase
Improvisierter Panzerwagen der Home Guard.

Heute weniger bekannt ist der Beitrag der „Legion of Frontiersmen”, einer Vereinigung britischer Patrioten. Um die Jahrhundertwende gegründet, setzte sie sich die Verteidigung des Empires zum Ziel und widmete sich der Wehrertüchtigung. Sie hatte Ableger in den verschiedenen Dominions und enge Beziehungen zur Royal Canadian Mounted Police. Bis in die 1930er-Jahre war sie auf vielen öffentlichen Veranstaltungen präsent, ihre Mitglieder waren uniformiert und brachten sich häufig bei karitativen Projekten ein. Ab 1935 wurde es etwas ruhiger um die „Legion of Frontiersmen”. Mit der Gründung der Home Guard trat sie zwar als Organisation völlig in den Hintergrund, ihre Mitglieder meldeten sich aber sehr zahlreich zur Home Guard. Die war auch so etwas wie eine Personalreserve der regulären Streitkräfte, viele ihrer Angehörigen meldeten sich freiwillig, andere wurden eingezogen. Am 3. Dezember 1944 wurde die Home Guard inaktiviert, am 31. Dezember 1945 aufgelöst. Die von Privatleuten gespendeten Waffen, alle waren fein säuberlich registriert worden, gingen an die Eigentümer zurück.

@Preston Isaac
Swift-Training-Rifle der Home Guard.

Von Verlusten durch Unfälle ganz abgesehen, verlor die Home Guard 1.206 Mitglieder durch Kampfhandlungen (Bomben und Bordwaffenbeschuss durch deutsche Flieger). Die Angehörigen der Home Guard erhielten ein vom britischen König autorisiertes Zertifikat mit folgendem Text:

„In the years when our Country was in mortal danger, (name) who served (dates) gave generously of his time and powers to make himself ready for her defence by force of arms and with his life if need be. George R.I.“

Ein Kradmelder der Home Guard hieß George Formby, er diente im Range eines Corporals bei der Blackpool Home Guard und war eigentlich Filmschauspieler. In der 1943 produzierten britischen Filmkomödie „Get Cracking” schafft es der von George Formby dargestellte Lance Corporal der Home Guard namens George Singleton, für seine Einheit einen Panzer zu bauen. Tatsächlich dürfte der Besitz eines veritablen Panzers für viele Home Guard-Einheiten der größte Tagtraum von allen gewesen sein. Die gab es bei der Home Guard nicht. Man hatte aber „Tubby Tankbuster”. Offiziell hieß das merkwürdige Fahrzeug „Car, 4-wheeled, Light Reconnaissance, Dodge”. Die Truppe nannte ihn aber etwas spöttisch „Malcolm Campbell´s Armoured Car”. Das lag daran, dass er tatsächlich von keinem geringeren als Sir Malcolm Campbell, dem neunfachen Geschwindigkeitsweltrekordhalter zu Lande und zu Wasser, entworfen worden war.

Ein Name aus der Geschichte: Malcolm Campbell

Mit acht Tonnen Gewicht war der Wagen alles andere als „light”. Eine mit dem „Malcolm Campbell´s Armoured Car” ausgestattete Panzereinheit rüstete drei dieser Fahrzeuge – von denen insgesamt 70 Stück gebaut wurden – mit Maschinengewehren aus einem abgeschossenen deutschen He-111-Bomber aus. Einen „Malcolm Campbell´s Armoured Car” verschaffte sich 1942 die Home Guard in Hampshire. Es war eine 57-Millimeter-Kanone aufmontiert, die im Ersten Weltkrieg zur Bewaffnung eines Panzers gehört hatte. Der Wagen erhielt die angeberische Bezeichnung „Tubby Tankbuster”. Dieser hatte zunächst einen gepanzerten Aufbau, den man später aber teilweise entfernte, um die 57-Millimeter-Kanone montieren zu können. Damit konnte man nach vorne und nach hinten schießen, aber nicht zur Seite. Als man genau das einmal bei einem Probeschießen bei Hengistbury Head ausprobierte, fiel der Panzerwagen um. Von 1940 bis 1941 bewachte die Somerford (Hampshire) Home Guard damit das „Army´s Air Defense Experimental Establishment”. Es blieb „Tubby Tankbuster” wohl der stärkste Kampfwagen im Arsenal der Home Guard – solange man damit nicht zur Seite schoss.

Quelle@Archiv Seehase, Preston Isaac, Home Office