2018 kündigte Wladimir Putin in seiner 14. Rede an die Nation eine ganze Reihe neuer hyperschneller Wirk- und Trägerwaffen mit großem Zerstörungspotenzial an. Aber was ist aus den vermeintlichen „Wunderwaffen” geworden? Wie weit ist ihre Entwicklung? Wie realistisch ist ein Einsatz? Eine Spurensuche.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Bezeichnung „Wunderwaffe” ist historisch natürlich konnotiert. Neue Waffen mit bislang ungekanntem Zerstörungspotenzial sollten schon dem mit dem Rücken zur Wand stehenden Naziregime doch noch zum Sieg verhelfen. Eine ganze Nation klammerte sich damals an die vermeintlich kriegsentscheidende Wirkung von Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Superbomben – vergeblich, wie wir heute wissen. Russland befindet sich zwar keineswegs wie damals Deutschland mit dem fatalen Ausgang eines Angriffskrieges konfrontiert, die erhoffte Wirkung ist aber ähnlich: Nachdem Moskau im konventionellen Wettrüsten mit den USA (siehe beispielsweise Stealthflugzeuge) ins Hintertreffen geraten ist, sollen neue Wunderwaffen die Kräfteverhältnisse wieder etwas ausgeglichener gestalten oder nach Möglichkeit in Richtung Moskau drehen.

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Am 26. Dezember 2018 verfolgte Präsident Putin im Moskauer Kontrollzentrum gemeinsam mit Verteidigungsminister Schhoigu und Generalstabschef Gerasimov den ersten Teststart von Avangard. Der Hyperschallgleiter wurde in Dombarowskij im Südural gestartet und soll ein Zielgebiet im 6.000 Kilometer entfernten Kamtschatka getroffen haben.

So weit, so nachvollziehbar. Überraschend war die Art und Weise der Ankündigung der neuen Systeme, die Russlands Präsident Wladimir Putin wählte. In seiner 14. Rede an die Nation überschlug sich der Staatschef nämlich förmlich vor Superlativen und dabei ließ er keinen Zweifel, wem die neuen Systeme in erster Linie gelten. Die Superwaffen sollen schneller, treffsicherer und zerstörerischer sein als bisher bekannte Systeme und dabei alle amerikanischen Abwehrsysteme umgehen und überwinden können, so Putin. Neben der mehrfachen Schallgeschwindigkeit (modern Hypersonic) strich der russische Staatschef zudem die hohe Steuerungsfähigkeit der Waffen (auch in der Endphase) hervor. Damit ließe sich im Vergleich zur ballistischen Parabelkurve einer Mittel- oder Langstreckenrakete vom Apogäum (Gipfelpunkt) aus kein End- und Einschlagpunkt der Rakete sowie deren Sprengköpfe mehr vorausberechnen. In Kombination mit den Geschwindigkeiten der Waffen, den dadurch deutlich verkürzten Entscheidungsintervallen und der zur Berechnung erforderlichen enormen Rechnerleistung würde das jede Raketenabwehr unter Druck setzen und möglicherweise sogar verunmöglichen – in jedem Fall würden die Reaktionszeiten drastisch reduziert.

Während im TV hinter Putin auf einer Grafik eine Sarmat-Rakete Gefechtsköpfe auf Florida regnen ließ, rief Putin in seiner Rede unter Anspielung auf seine erste Amtszeit und unter kräftigem Applaus: „Niemand wollte mit uns reden, jahrelang. Niemand wollte uns zuhören. Hört uns jetzt zu – ganz genau!“ Wir haben genau das getan und uns unter Einbeziehung westlicher Aufklärungsergebnisse, offener Quellen und unter Berücksichtigung russischer RT- und Sputnik-Propaganda einen Überblick über Russlands neue Wunderwaffen verschafft.

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Futuristischer Ausblick: Auch Ronald Reagans Strategic Defense Initiative in den 1980er-Jahren basierte auf fantastischen Grafiken, die in der späteren UdSSR aber durchaus „Wirkung” zeigten. Im Gegensatz zu damals scheint aber eine Realisierung von einigen angekündigten russischen „Wunderwaffen” deutlich wahrscheinlicher als damals Reagans Weltraum-Laserkanonen.

Beginnen wir unsere Spurensuche mit dem System Kinschal (Dolch), der wohl am weitesten gediehenen Wunderwaffe Putins. Dabei handelt es sich um einen 7,71 Meter langen luftgestützten Mehrfachschall-Ableger der bekannten ballistischen Boden-Boden Rakete 9K720 Iskander, von der angeblich auch bereits 20 Stück ausgeliefert wurden. Kürzlich flogen jedenfalls zwei mit Kinschal bestückte MiG-31K über den Roten Platz, mehrere Videos belegen zudem Tests der Luftwaffe mit dem neuen System im Süden Russlands. Diese erste von einem Kampfjet aus startbare ballistische Rakete soll bis Mach-10 (12.000 km/h) beschleunigen, zu Ausweichmanövern fähig sein und konventionell oder nuklear bestückt bis zu 2.000 Kilometer weit reichen. Wenn die Frage der Endphasenlenkung auf ein bewegliches Ziel gelöst wird, könnten – wie bei der chinesischen DF-21D – auch Flugzeugträger oder andere strategische Schwergewichte ins Visier rücken.

Im Unterschied zur „echten” Rakete Kinschal ist 3M22 Tsirkon ein Hochauftriebs-Marschflugkörper mit einem hochverdichtete Luft atmenden Staustrahltriebwerk. Gestartet mittels Boostern, wird dieser Scramjet erst im Überschall aktiv und erlaubt dann Geschwindigkeiten bis zu Mach-8. Seit 2012 im Test – mehrfach konnten die Machzahlen erreicht, aber nicht gehalten werden – ist Tsirkon für die bis 2020 einzurüstende Bewaffnung der beiden modernisierten Kreuzer Admiral Nachimow und Pjotr Weliki sowie ab 2021 für die U-Boote der Kazan-Klasse vorgesehen.

Russland: Hyperschallrakete Zirkon erreicht Mach 8

Die Interkontinentalrakete Sarmat RS-28 (NATO: SS-X-30) ist Russlands neuestes schweres Raketensystem und Nachfolger der SS-18 Satan. Sie soll die USA über beide Pole aus angreifen können und – neben einem Schwarm von Täuschkörperköpfen – bis zu 24 Hyperschall-Gleiter wie den seit 2016 getesteten Yu-74 tragen. Alternativ soll sie 20 einzeln programmierbare und bis zu Mach-15 (7 km/s) schnelle Gefechtsköpfe des Projekts-4202 tragen können, die bei Tests von vielen Menschen mit Meteoriten verwechselt wurden.

Ähnlich das Konzept von Avangard: Dieser Mach-20 (!) schnelle Gleiter wird von einer Startrakete in die äußere Atmosphäre gebracht und soll dort mit abrupten Kursänderungen jedes Abfangen verunmöglichen. Im Einsatzfall soll das auf bis zu 2.000 Grad erhitzte System ähnlich wie ein Meteorit auf sein Ziel stürzen, so Putin. Laut dem russischen Staatschef und anderen Offiziellen wie Verteidigungsminister Sergei Kuschugetowitsch Schoigu hat die Serienfertigung dieses Systems bereits begonnen.

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Seit dem Frühjahr 2018 sind laut mehreren Quellen bereits zehn Kh-47M2 Kinschal-Raketen auf MiG-31K im Militärbezirk Süd (Schwarzmeerregion) im Dienst, zehn weitere erhielt kürzlich der Militärbezirk Baltikum. Zusammen mit zehn Stück für die Pazifikflotte und bis zu vier Stück für einen Teil der rund 60 Überschallbomber Tu-22M3 ist mit einem Endbestand von 100 bis 150 Stück zu rechnen.

Unter der Bezeichnung Poseidon (früher Status-6, NATO: Kanyon) verbirgt sich eine atomwaffenfähige Unterwasserdrohne, die erstmals beim diesen April vom Stapel gelaufenen Nuklear-U-Kreuzer Project 09852 Belgorod zum Einsatz kommen soll. Erste Seetests von Boot und Waffensystem starten im kommenden Jahr, mit einer Einsatzfähigkeit ist aber wohl frühestens 2021 zu rechnen. 2015 wurden erste Skizzen von Poseidon vermeintlich unachtsam auf dem Bildschirm eines Tablets enthüllt, im November erfolgte bereits der elfte Test des 24 Meter langen torpedoartigen Geräts – Resultat unbekannt. Poseidon soll in einer Kavitationsblase um sich herum 200 km/h erreichen und das dank Nuklearbatterie über Tausende Kilometer weit. Mit einer A- oder H-Bombe bestückt, könnte die Waffe einen Mega-Tsunami mit bis zu 500 Meter hohen Wellen vor Küsten-städten auslösen und damit zu einem neuen furchtbaren Faktor in der strategischen Kriegsführung werden.

Ebenso doppelt nuklear bestückt soll mit 9M730 Burewestnik (NATO: SSC-X-9 Skyfall) schließlich auch die bislang am wenigsten erforschte, aber zugleich revolutionärste von Putins Waffen sein. Dabei handelt es sich um einen aus einem Kanister (also wohl von See oder Land aus) gestarteten Marschflugkörper mit Ausklappflügeln, hoher Manövrierfähigkeit und niedriger Flughöhe, der sich allerdings noch in einer frühen Testphase befindet. Sein Antrieb aus Radionuklidbatterien würde dem System jedenfalls eine praktisch unbegrenzte Reichweite erlauben, potenzielle Gegner könnten damit auch aus unerwarteter Himmelsrichtung angegriffen werden. US-Experten beurteilen die operativ-technische Machbarkeit des Marschflugkörpers mit Atomantrieb aufgrund zahlreicher Nachteile jedoch als „Irrsinn“. Die vier bislang stattgefundenen Testflüge sollen dementsprechend laut US-Diensten nicht weiter als 22 Meilen gekommen sein.

Fazit: Egal ob sich die Systeme noch in einer frühen Testphase befinden, von den Experten anderer Militärs als „Irrsinn“ bezeichnet werden und eine tatsächliche Realisierung unwahrscheinlich erscheint oder sogar als ausgeschlossen gilt – Poseidon, Avangard, Sarmat und Co haben in jedem Fall geschafft, dass international die Scheinwerfer auf Moskaus Rüstungsprogramme wieder heller leuchten. Wie in längst vergessen
geglaubten kalten Zeiten wird nun wieder mehr Wert auf Aufklärung und Spionage gelegt. Es gilt herauszufinden, wie weit die Entwicklung der Waffensysteme tatsächlich gediehen ist, welche Einsatzmöglichkeiten sie bieten und vor allem: wie sie effektiv bekämpft werden können. Denn: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, aber auch ein Grundsatz in jeder kriegerischen Auseinandersetzung. Wenn daher auch nur eine kleine Möglichkeit darauf besteht, in einem Konflikt selbst Millionen Todesopfer hinnehmen zu müssen, werden wohl die meisten Staatschefs einer Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Und spätestens wenn das geschieht, haben die neuen Wunderwaffen ihre Wirkung auch ganz ohne einen tatsächlichen Einsatz getan.

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