Das Amt für Rüstung und Wehrtechnik ist kompliziert, vielseitig, geheimnisvoll und Weltklasse. Ein Truppenbesuch bei den technischen Experten für alles, was nicht fliegt (und was fliegt, fliegt auch nur wegen ihnen) – von Hard Facts in Wien bis zur Science-Fiction in Zwölfaxing.
Wenn Amtsdirektor Bernhard Goritschnig grinst und sagt: „Wir sind der dritte Geheimdienst”, dann scherzt er natürlich – aber auch nur halb. Was der Referent für Projektsteuerung und Öffentlichkeitsarbeit des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) meint, ist klar: Das ARWT operiert im Hintergrund, kaum jemand sieht, was es macht, und kaum einer weiß, was es macht. Aber wenn es das nicht machen würde, würde gar nichts mehr gehen im Heer. Jeder braucht das ARWT, aber keiner kennt es.
Nicht, dass das Amt sich verstecken würde: Ganz offen und eindeutig steht da, am Eingang zum Amtsgebäude in der Wiener Vorgartenstraße: „Amt für Rüstung und Wehrtechnik”. Auch die Sicherheitsrichtlinien sind nicht wahnsinnig geheimdienstlich, der Empfang ist herzlich, mit festem Händedruck empfängt Brigadier Michael Janisch seine Gäste. Der studierte Sozialwissenschafter leitet das ARWT seit zweieinhalb Jahren, als Geheimdienst würde er es natürlich nie bezeichnen, er formuliert es lieber so: „Wir sind das technisch-naturwissenschaftliche Kompetenzzentrum des Bundesministeriums für Landesverteidigung.” Und dann beginnt Janisch zu erzählen, unter anderem spricht er von der Grundlagenforschung an autonomen Versorgungsnetzwerken, von Schallphysiologie, vom Unterschied zwischen Physik und technischer Physik, von Maschinenbau, Biotechnologie und Sprengstofftests, und er könnte mühelos noch den ganzen Tag lang und noch ein paar Tage mehr so weitererzählen, so vielfältig ist seine Dienststelle.
Ganz grob umfasst sie vier Großbereiche (Waffen- und Munitionstechnik, Fahrzeug- und Pioniertechnik, Elektrotechnik und Optronik, Produktdokumentation), zwölf Fachabteilungen (von der Werkstofftechnik über die Messtechnik bis zur Materialkatalogisierung), Hunderte Aufgaben und Einsatzgebiete, die auch noch x-fach miteinander verwoben sind. Amtsdirektor Goritschnig veranschaulicht die Komplexität des Amtes mit dem Bild eines Bundesheersoldaten in voller Kampfmontur. Es gibt nichts auf diesem Bild, was nicht durch die verschiedenen Abteilungen des ARWT gegangen wäre, und meistens haben sogar drei, vier oder mehr Abteilungen an jedem Einzelteil kooperiert. Goritschnig: „Wir haben nicht nur geprüft, ob das Sturmgewehr unseren Ansprüchen genügt. Wir haben auch die chemische Struktur des Uniformstoffes getestet, die Flugeigenschaften der verwendeten Munition berechnet, den Lichtbrechfaktor der Schutzbrille gemessen, das Verhältnis von Splitterschutz und Gesamtgewicht in der Splitterweste definiert – und so weiter und so weiter.” Und immer so weiter.
Die knapp 300 Mitarbeiter unter Brigadier Janischs Kommando – darunter übrigens rund 50 Akademiker, mehr als 50 HTL-Absolventen und 100 Techniker, zu fast 90 Prozent Zivilangehörige – bilden das militärtechnologische Fundament und Rückgrat des Bundesheeres. Egal um welches Rüstungsgut es sich handelt, ob um Betriebsmittel oder Defibrillatoren, Radpanzer oder Pionierbrücken – das ARWT ist als direkt der Sektion III (Bereitstellung) nachgeordnete Dienststelle von Beginn an an der Beschaffung und Anlieferung beteiligt, liefert technisches Know-how, erstellt in Abstimmung mit der Systemabteilung und der Strukturplanung militärische Pflichtenhefte für Ausschreibungen, definiert technische Leistungsanforderungen und nimmt als weisungsfreie Prüfstelle auch die fertigen Produkte vom Hersteller ab: Wenn das ARWT befindet, dass ein Produkt technische Mängel aufweist oder nicht den Ausschreibungskriterien entspricht, wird es nicht in die Truppe übernommen. Punkt. Brigadier Janisch: „Militärgüter sind grundsätzlich Manufakturgüter. In unserem Bereich wird kaum etwas am Fließband in Großserie her-gestellt, sondern fast ausschließlich in Einzelstücken oder Kleinstserie. Außerdem handelt es sich um hochkomplexe Systeme, zum Teil werden auch Systeme verschiedener Hersteller integriert. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein solches Produkt gleich im ersten Anlauf fehlerfrei angeliefert wird.” Dann heißt es nachbessern, verfeinern, weitermessen und tüfteln. „Fad wird uns nicht”, sagt Brigadier Janisch.
Wie sehr die Arbeit des Amtes in den Hightech-Bereich hineinragt, zeigt ein Besuch in der Versuchswerkstätte der Abteilung Fahrzeug- und Gerätetechnik des ARWT in der Burstyn-Kaserne in Zwölfaxing. Sie sieht nicht aus wie eine Formel-1-Box, ist aber de facto eine. Stolz präsentiert Fachinspektor Wilhelm Moser, nur zum Beispiel, ein Bremsscheibensystem, das direkt hier vor Ort, in Kooperation mit Wissenschaftern der TU Wien, für den Radpanzer Pandur maßgefertigt wurde, mit drastisch verbesserter Hitze- und Verschleißbeständigkeit, wesentlich höherem Bremsmoment, völlig neuen Werkstoffen und einem neuartigen System für den Luftdurchsatz in der Bremsscheibe. Fazit: „Uns ist es bisher nicht gelungen, diese Bremse zu zerstören“. Kein Wunder, dass unter anderem die belgische Armee schon ganz heiß ist auf das neue Eisen.
Besonders stolz sind die Zwölfaxinger Ingenieure auch auf den Puch G Sandviper. Ein Exemplar steht noch in der großen Werkstatthalle, Abteilungsleiter Oberst Bernhard Peschak erläutert: „Nachdem der Einsatz des Bundesheeres im Tschad 2007 beschlossen wurde (Anm.: Das Vorkommando war ab 30. Jänner 2008 vor Ort), blieben uns knapp vier Monate, um ein adäquates Fahrzeug für den Einsatz in der Wüste bereitzustellen.” Das ARWT lief auf Hochtouren: In kürzester Zeit wurde das wüstentaugliche Gerät geplant, gezeichnet, berechnet und in Kleinserie von 20 Stück gebaut – nahezu ohne Outsourcing, allein von den zugegebenermaßen völlig überarbeiteten Technikern und Ingenieuren des ARWT sowie dienstzugeteiltem Fachpersonal der Streitkräfte. „Das war schon am Limit”, sagt Oberst Peschak – aber auch etwas, auf das man gründlich stolz sein kann: „In der Privatwirtschaft bekommst du auf diesem technischen Level in vier Monaten höchstens ein erstes Angebot und vielleicht noch einen Vertrag geliefert.”
Und dann öffnet Peschak die Tür zum Hof und zeigt uns die Zukunft: Science-Fiction am Parkplatz einer niederösterreichischen Kaserne. Im Hof steht der X58 SafeCon (Anm.: Der Projektname lautet Safe Convoying), ein selbstfahrender, autonomer Transportlastwagen als voll funktionsfähiger Prototyp. Was von außen wie ein gewöhnlicher Lkw aussieht, ist tatsächlich Hightech, wie sie nicht einmal Google hinbekommt – das ARWT aber (in Kooperation mit TU und Technikum Wien, Austrian Institute of Technology und privaten Kooperationspartnern) sehr wohl: Mit mehreren Stereokameras, darunter auch Wärmebildkameras für den Nachteinsatz, erstellt der X58 ein 3D-Modell seiner Umgebung und kann, ohne jegliche Fernsteuerung oder andere Signale von außen wie Funk oder GPS, völlig autonom Einsätze fahren. Drei Jahre Forschung stecken in dem Gerät, Software im Wert von zig Millionen und ein unendliches Potenzial: ob zum unbemannten Einsatz in vermintem Gebiet, zur sicheren Versorgung lawinengefährdeter Gebiete oder schlicht zur Landschaftspflege im Artillerie-Zielgebiet des TÜPl Allentsteig. Ausländische Armeen haben übrigens schon reges Interesse an der Technologie gezeigt, die Automobilindustrie sowieso. Oberst Peschak lächelt mit erkennbarem Ingenieursstolz. Es geht halt nichts über das Amt für Rüstung und Wehrtechnik. Und ohne schon gar nichts.
Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Oberst Bernhard Peschak, Leiter der Abteilung Fahrzeug- und Gerätetechnik des ARWT. Hier geht es zu unseren anderen Truppenbesuchen.