Als der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius Ende Februar bei seiner Amtskollegin Klaudia Tanner seinen Antrittsbesuch in Wien absolvierte – es handelte sich dabei übrigens um den ersten Besuch eines deutschen Verteidigungsministers in Österreich seit 2018 –, ging es ganz viel um die internationalen „Krisen-Hotspots” wie den Krieg in der Ukraine sowie um die European Sky Shield Initiative (Österreich plant Teilnahme). Ein wenig aber auch schon um den Luft-Boden-Marschflugkörper Taurus und die Weigerung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, das Waffensystem an die Ukraine zu liefern – die Diskussion nahm dann in den Tagen danach noch mehr Fahrt auf.

Zwischen den beiden Ressortchefs waren neben der EU-Eingreiftruppe (Rapid Deployment Capacity) und der Sicherheitslage auf dem Balkan auch die neue maritime EU-Militärmission „EUNAVFOR Aspides” im Roten Meer Thema, daran wird sich auch Österreich mit bis zu fünf Offizieren beteiligen. Weiters ging es auch um die rund 1.500 gemeinsamen Detailprojekte und Aktivitäten pro Jahr sowie mehrere gemeinsame Schlüsselprojekte. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner betonte bei der Gelegenheit, dass die Bundesrepublik und die Bundeswehr für Österreichs Bundesheer der seit Jahrzehnten wichtigste ausländische Partner sei. Pistorius verwies seinerseits auf „400 gemeinsame Ausbildungen und Übungen, die alleine heuer im Kalender stehen”. Pistorius weiter: „Das ist schon eine richtige Hausnummer.”

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Am Tisch im vierten Stock des Verteidigungsministeriums in Wien saßen auf deutscher Seite mit ihrem Minister unter anderen der deutsche Rüstungsdirektor Vizeadmiral Carsten Stawitzki sowie Botschafter Vito Cecere. Auf Seite der Gastgeber nahmen neben Verteidigungsministerin Klaudia Tanner auch Planungsdirektor Generalleutnant Bruno Hofbauer und Generalsekretär Arnold Kammel Platz.

@Georg Mader
Große Gesprächsrunde: Links die deutschen Teilnehmer, ihnen gegenüber die österreichische Delegation.

Sky Shield
Deutschland ist in der NATO, Österreich nicht. Trotzdem sei – wie in Unterhaltungen mit Angehörigen der deutschen Delegation vor dem Besprechungsraum positiv festgestellt wird – „die Kooperation der Nachbarn enger als vielen hier und drüben bewusst” ist. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner kündigte dann die baldige Unterzeichnung eines „Memorandum of Understanding” zur Kooperation bei der bodengebundenen Luftverteidigung im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) an. Ziel sei eine Unterschrift bereits beim nächsten Treffen der Verteidigungsminister. Sky Shield sei ein – unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine – von Deutschland initiiertes Projekt, allerdings kein NATO- und auch kein EU-Vorhaben, wie betont wurde. Die Teilnahme wurde als „ein wichtiger Schritt für unsere Luftverteidigung” bezeichnet. „Österreich braucht Sky Shield, gerade weil wir neutral sind”, wie Verteidigungsministerin Tanner betonte. Kaum ein Land und schon gar kein kleineres Land könne die Aufgaben alleine stemmen, eine Beschaffungskooperation wäre daher naheliegend. Diese sei „mittlerweile auch verfassungsrechtlich geprüft und niemand sieht dabei einen Zusammenhang oder gar einen Widerspruch mit unserer Neutralität”, so Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (-> siehe auch Gastkommentar von Ex-Verteidigungsminister Werner Fasslabend zum Thema).

Infoveranstaltung zu Sky Shield im Parlament

In diesem Zusammenhang sei Stelle auch darauf hingewiesen, dass seitens der Rüstungsdirektion dieser Tage parallel zu Sky Shield betreffend der bodengestützten Luftabwehr mittlerer Reichweite (GBAD-MR) die Vorhabensabsicht für die RFI-Informationseinholung an diverse Hersteller fertig wurde. Auch wenn bereits mehrfach von einer „Partnerschaft” rund um acht, der auch in der Ukraine bereits bewährten deutschen Systeme Iris-T SLM/X von Diehl Defence berichtet wurde, wird darin – und das war stets die Absicht auch abseits der ESSI-Schritte – nochmals der Markt von bis zu 16 Anbietern adressiert.

@Georg Mader
Verteidigungsminister Boris Pistorius wurde in Wien auch immer wieder auf die Weigerung des deutschen Bundeskanzlers Scholz, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, angesprochen.

Westbalkan
Zurück zum Treffen in Wien, wo Pistorius mit Blick auf den Westbalkan das Engagement des Bundesheeres bei Auslandseinsätzen hervorhob, vor allem eben auch auf dem Balkan. Nach dem Ende des deutschen Engagements in Mali seien aktuell sogar mehr Österreicher in solchen Missionen als deutsche Soldaten, so Pistorius. Er erzählte auch von seiner Balkan-Reise nach Pristina, Sarajewo und Belgrad vor einigen Wochen und wie er gespürt habe, „wie angespannt die Situation” dort sei. Es gebe nicht zu leugnende „Spannungen beziehungsweise Spaltungskräfte”. Als Treiber dafür sei übrigens Russland zu nennen, so der deutsche Verteidigungsminister. Moskau versuche die europäische Sicherheitsordnung zu destabilisieren und über Desinformationskampagnen die Spannungen auch in dieser Region für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Dem müsse man sich gemeinsam entgegenstellen, so Pistorius. „Die Zukunft der Westbalkanstaaten kann nur in der EU liegen.” Pistorius sprach sich daher auch dafür aus, die geplante EU-Eingreiftruppe als Reserve für den Westbalkan vorzusehen, um bei einer möglichen Eskalation dort bereitstehen zu können. Das unterstützt auch Ministerin Tanner, speziell im Hinblick auf Bosnien. Pistorius wiederum bestätigte den Ersatz einer österreichischen KFOR-Kompanie durch eine deutsche.

@Georg Mader
Die österreichische Delegation mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Generalsekretär Arnold Kammel und Planungs-Chef Generalleutnant Bruno Hofbauer.

Rotes Meer
Die Angriffe der jemenitischen Huthi-Miliz mit iranischen Seezielwaffen auf Handelsschiffe gleich welcher Nation, betreffen laut Ministerin Tanner auch die Exportnation Österreich. Ihr Gast erklärte die zeitgerechte Vorbereitung der Ausrüstung der modernen neuen deutschen Fregatte der Klasse-124 „Hessen”, die kurz nach dem „EUNAVFOR Aspides”-Beschluss am 19. Februar mit 240 Mann und Frau Besatzung in die Krisenregion entsandt wurde. Die Mission soll mit Unterstützung der weitreichenden Luftverteidigungsfähigkeiten zum Schutz von Schiffen nur Einsätze gegen Flugkörper aller Art auf See, aber nicht an Land im Jemen umfassen, wie er erläuterte. Seine Gastgeberin bestätigte dazu die Entsendung von zwei österreichischen Stabsoffizieren ins „Aspides”-Hauptquartier nach Larissa, sie sollen sich dort in den Bereichen Logistik und Informations- und Kommunikationstechnologie einbringen.

@Georg Mader
Die deutsche Delegation mit Verteidigungsminister Boris Pisturius und unter anderen auch Rüstungschef Vizeadmiral Carsten Stawitzki (vorne links).

Ukraine-Krieg
Deutliche Wort fand Minister Pistorius dann beim Thema Ukraine-Krieg. „Dort findet ein völkerrechtswidriger, unprovozierter und imperialistischer Angriffskrieg statt, der gegen alles verstößt, was die internationale regelbasierte Ordnung ausmacht. Täglich sterben Hunderte Ukrainer in diesem Existenzkampf”, so Pistoria, „aber auch im Kampf für jene regelbasierte Ordnung. In jener hatten wir uns verständigt, dass es keine Grenzverschiebungen mit militärischen Mitteln mehr gibt. Dieser Grundsatz wird seit mehr als zwei Jahren massiv gebrochen. Der russische Präsident Wladimir Putin zeigt aber keine Bereitschaft zu – vielerorts geforderten – Friedensverhandlungen, er kann diesen Krieg beenden, das sollte er schleunigst tun. Und deshalb sehen wir als Europäer es als unsere Pflicht, der Ukraine in jeder denkbaren Möglichkeit zu helfen!” Und das würden die Deutschen – wie er betonte als zweitgrößter Hilfesteller nach den USA – auch weiterhin tun. Auch Österreich tue dazu, was es eben im Rahmen seiner sicherheitspolitischen Ausrichtung tun könne, was dann auch seine Gastgeberin nochmals unterstrich, mit Blick auf humanitäre Hilfslieferungen und die Aufnahme von rund 90.000 ukrainischen Flüchtlingen.

Anteil der Soldatinnen beim Bundesheer steigt

Beim Themenbereich wurde Pistorius dann von den fragestellenden heimischen Medien zu aktuellen Diskussionen auf internationaler Ebene befragt – etwa zu der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron jüngst losgetretenen Debatte über eine mögliche Entsendung von Bodentruppen. Pistorius schloss bezugnehmend darauf eine Entsendung von deutschen Bodentruppen kategorisch aus. „Boots on the Ground ist keine Option für die Bundesrepublik Deutschland, ja das schließe ich aus. Ich weiß nicht, was da der Antrieb war”, so der deutsche Minister. Er glaube auch nicht, dass Bodentruppen „im vorrangigsten Interesse der Ukrainer” seien. Die Gastgeberin pflichtete ihm bei und sprach von einem „besorgniserregenden Signal” aus Frankreich, ebenso von einem „Approval” des tschechischen Präsidenten, Tschechen das Kämpfen in der Ukraine zu gestatten. Auch die NATO beteuert, keinerlei Pläne dieser Art zu schmieden, deren Generalsekretär hatte schon Stunden danach versucht, die Debatte wieder einzufangen und öffentlich erklärt, die NATO plane natürlich keine Truppen-Entsendung.

@Georg Mader
Angenehme Gesprächsatmosphäre: Die beiden Minister schienen sich auch abseits der offiziellen Gespräche gut zu verstehen.

Taurus-Streit
Daran anschließend kam das Thema auf den deutschen Kanzler Olaf Scholz und dessen „Nein” zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein”, sagte Scholz am Tag vor dem Besuch auf einer Chefredakteurs-Konferenz der Nachrichtenagentur dpa. „Auch nicht in Deutschland”, fügte er hinzu. In Folge kreisten auch in Wien mehrere Fragen der heimischen Medienvertreter darum, ob Deutschland mit den Taurus überhaupt Soldaten in die Ukraine schicken müsse. Denn die Meinungen gehen ob eines nötigen Engagements deutscher Militärangehöriger durchaus auseinander, auch was eine mögliche Reduktion der Reichweite der Waffe beträfe, oder ob die Arbeiten auch von Firmenangehörigen erledigt werden können. Jedenfalls lehnt Kanzler Scholz die Abgabe auch jetzt noch kategorisch ab, was beispielsweise CDU-Abgeordneter und Bundestagsabgeordneter Oberst a.D. Roderich Kiesewetter damit kritisch begründet, dass die Scholz-Regierung – immer noch – eine „wie immer geartete Eskalation befürchte, wenn diese so effektiven deutschen Waffen mit ihrem Penetrator beispielsweise die Kertsch-Brücke zerstören könnten”. Damit konfrontiert versuchte Minister Pistorius in Wien in mehreren – sichtlich immer knapperen – Antworten die Debatte von Taurus wegzulenken. Der Kanzler habe alles dazu gesagt, die Ukraine habe „zurzeit andere Prioritäten. Wichtig ist es, die Produktionskapazitäten in Europa hochzufahren bei Luftverteidigung und speziell Artilleriemunition. Alles andere hilft jetzt nicht weiter, wir müssen uns auf die richtigen Prioritäten konzentrieren.”

Glock zeigt Neuheiten – und Überraschungen

Streckung der Garantien von EF Tranche-1
Militär Aktuell warf anschließend eine Frage ein, welche zurück auf die bilaterale Ebene führte: Auf jene bestätigte der deutsche Ressortchef, dass auch die deutsche Luftwaffe die Musterzulassungsfrist (Lebensdauer) seiner ersten Tranche-1 des Eurofighters (dort wegen der Umrüstung von T2 und T3 auf AESA-Radar) nochmals strecken müsse und der Betrieb der Maschinen – ebenso wie in Österreich bis über 2030 hinaus – nötig sei. Dazu wolle man als größter Eurofighter-Nutzer „den österreichischen Partner gerne von Seiten der Amtsseite nach Kräften unterstützen und helfen, auch wenn das zuvorderst natürlich eine Sache der Industrie ist. Aber die nötige Nutzungsdauerverlängerung steht außer Frage und muss kommen, man tut seitens meines Ressorts alles, um das auch für Österreich zu ermöglichen.” Rund um diesen Themenkreis war vielleicht die Präsenz auch des deutschen Rüstungsdirektors hilfreich beziehungsweise auch nicht zufällig. Die Frau Bundesminister ergänzte diesbezüglich die nach wie vor bestehende Absicht, die 15 österreichischen Eurofighter mit Fähigkeiten beispielsweise zur Nachtidentifizierung aufzuwerten. Das sei vor allem eine industrielle Thematik, allerdings sei diese natürlich mit der RRestnutzungsdauer „kausal verknüpft”, so Ministerin Tanner abschließend.

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Quelle@Georg Mader