Am 5. Dezember 2023 fand auf Einladung des Hausherren, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, im Parlament eine Informationsveranstaltung zur Sky Shield Initiative statt. Die Veranstaltung fand regen Zuspruch von Politik, Fachpublikum, Medien und Bürgern und Wolfgang Sobotka brachte in den Einleitungsworten seinen Wunsch nach einer sachlichen Diskussion zum Ausdruck.
Erster Vortragender war dann der Kommandant der Luftstreitkräfte. Brigadier Gerfried Promberger gab einen Überblick über den Auftrag der Luftstreitkräfte des Bundesheeres, das Luftraumüberwachungssystem Goldhaube, die Anzahl an Flugbewegungen über Österreich sowie die noch zur Verfügung stehenden Kapazitäten der bodengebundenen Luftabwehr.
Mit zwölf Feuereinheiten zu je zwei 35-Millimeter-Zwillingsfliegerabwehrkanonen plus zugehörigem Skyguard-Radar sowie 24 Startgeräten für Mistral-Fliegerabwehrlenkwaffen und drei zugehörigen Aufklärungs- und Zielzuweisungsradargeräten RAC 3D verfügt das Bundesheer nur noch über Mittel um ein einziges Schutzobjekt gegen Tiefflugangriffe zu schützen. Als Beispiel wie spontan Gefahren auftreten können ging Brigadier Promberger auf den Vorfall in Zagreb am 10. März 2022 ein. Damals schlug eine unbemannte Tupolew M-141 Drohne, fehlgeleitet aus dem Ukraine-Krieg, mitten in einem Park in Zagreb einen sechs Meter tiefen Krater. Damit wurde auch illustriert, dass Bedrohungen nicht immer absichtlich gegen ein Land gerichtet sein müssen, sondern aus technischen Fehlfunktionen oder schlicht altem Gerät resultieren können.
Danach wurden die Projekte zur Modernisierung und Neuaufstellung der bodengebundenen Luftabwehr im Einzelnen vorstellt. Im Rahmen der Vorhabensabsicht „Rohrwaffensysteme” wird es bereits am 12. Dezember zur Präsentation der Modernisierung des 35-Millimeter-Luftabwehrsystems durch Rheinmetall Air Defence im Bundesministerium für Landesverteidigung kommen.
Die Vorhabensabsicht „Fähigkeitsträger VSHORAD und qualifizierte Drohnenabwehr” umfasst kinetische und elektronische Kampfmittel im Nächstbereich. Die Vorhabensabsicht „Fähigkeitsträger MRAD/SHORAD” wurde mit 30. November genehmigt und beinhaltet zwei Luftabwehr-Lenkwaffensysteme sowie zugehörige Radargeräte für die Kurzstrecke bis 15 Kilometer sowie die Mittelstrecke für Entfernungen bis 50 Kilometer. Geplant ist außerdem ein „Luftabwehr-Pandur” unter dem Titel „Fähigkeitsträger Begleitschutzbatterie VSHORAD”.
All die vorher genannten Maßnahmen sind im „Aufbauplan ÖBH 2032+” auch budgetär berücksichtigt. Und hier soll auch die „European Sky Shield Initiative” (ESSI) greifen, an der sich 19 Staaten unter Führung Deutschlands beteiligen wollen. ESSI soll eine „360-Grad-Lösung” von der gemeinsamen Beschaffung der Waffensysteme bis zur Ausbildung des Personals in einer länderübergreifenden Anstrengung der beteiligten Saaten bieten und so eine deutliche Kostenreduktion erzielen. Brigadier Promberger erwähnte die Ausbildungsstätten Todendorf, Gusum, Kalkar in Deutschland und das Testgelände NAMFI auf Kreta.
Es geht bei ESSI ausschließlich um möglichst kosteneffiziente Beschaffungs- und Ausbildungsmaßnahmen und nicht um die Beteiligung an operativen Maßnahmen. Die Teilnahme an einem Militärischen Bündnis oder fremde Stützpunkte auf österreichischem Territorium sind ausgeschlossen. Anmerkung des Autors: Auch bei den teilnehmen NATO-Staaten ist ESSI keine operative Organisation! Die NATO-Staaten haben ihre gemeinsamen Anstrengungen zur Luftraumüberwachung und Raketenabwehr im Rahmen der „NATO Integrated Air and Missile Defence System” (NATINAMDS) gebündelt. ESSI ist keine NATO-Initiative, wird NATINAMDS nicht ersetzen, nicht ergänzen oder auch nur zum Teil ablösen.
Gesondert ging Brigadier Promberger auf den Ministerratsbeschluss zur Beschaffung von Langstrecken Luftabwehr-Lenkwaffensysteme vom 15. November ein. Mit den Planungen für dieses Vorhaben wird gerade erst begonnen. Die Bandbreite der Systeme, die hier zur Auswahl stehen, reicht von Patriot bis Arrow III. Brigadier Promberger erwähnte außerdem die bereits stattfindenden und mögliche weitere Beiträge zum Austausch von Luft- und Weltraumlagedaten mit Nachbarländern.
Als zweiter Vortragender kam der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, Walter Obwexer, aufs Podium. Der Universitätsprofessor brachte vorab die neutralitätsrechtlichen Rahmenbedingungen in Erinnerung und ordnete danach die Sky Shield Initiative neutraltätsrechtlich ein. Obwexer ging zuerst auf die Verpflichtungen des Neutralitätsgesetzes vom 26. Oktober 1955 ein. Diese sind im Kern die „dauernde Neutralität” wie sie im Völkerrecht definiert ist:
- Keine Teilnahme an einem Krieg und die Gleichbehandlung von Kriegsparteien.
- Die Bündnisfreiheit: Kein Beitritt zu einem Militärbündnis und keine Bindungen die in einen Krieg verwickeln könnten.
- Das Stützpunktverbot: Keine Errichtung von Stützpunkten fremder Staaten in Österreich und österreichischer Stützpunkte auf fremden Hoheitsgebieten.
- Die bewaffnete Neutralität: Die Unversehrtheit des Staatsgebiets gegen Angriffe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen.
Weiters führte Obwexer Auswirkungen der EU-Migliedschaft, rechtlich festgelegt im Art. 23j B-VG, aus. Dies betrifft insbesondere GASP-Maßnahmen bei denen man sich, durch die irische Klausel, gegebenenfalls auch konstruktiv enthalten kann. Obwexer strich heraus, dass es sich bei ESSI nicht um eine EU-Initiative handelt und somit uneingeschränkt das Neutralitätsgesetz von 1955 gilt. Eine Kooperation bei gemeinsamer Planung, Beschaffung, Wartung von Kriegsmaterial sowie gemeinsame Schulung und Übung als auch Informationsaustausch stehen nicht im Widerspruch zur dauernden Neutralität. Eine gegenseitige Beistandpflicht beabsichtigt ESSI nicht und wäre auch nicht zulässig. Die Befehlsgewalt zum Abschuss von Flugobjekten im österreichischen Luftraum muss bei Österreich bleiben (§3 Wehrgesetz. Befehlsgewalt liegt beim jeweiligen Bundesminister und wird ausgeübt durch die jeweiligen Kommandanten). Eine Übertragung des Kommandos beispielsweise an den NATO Oberbefehlshaber würde gegen die Stützpunktfreiheit verstoßen.
Abschließend sah Obwexer die ESSI in der derzeitigen Ausgestaltung mit der dauernden Neutralität vereinbar. Für den Kriegsfall ist eine Suspendierungsmöglichkeit erforderlich.
Den abschließenden Vortrag hielt der Politikberater und Analyst beim Internationalen Institut für Strategische Studien, Franz-Stefan Gady. Gady wies auf die sich ändernde globale Sicherheitsordnung hin, die sich von einer unipolar geprägten zu einer multipolaren wandelt. Die Welt befindet sich aktuell in einer Phase der politischen und militärischen Fehleinschätzungen. Und Gady betonte insbesondere auch die wieder zunehmende Bedeutung der militärischen Abschreckung in diesem Umfeld. Wenn die Raketen im Lager verrotten sollten, dann hat man alles richtig gemacht.