Über militärdiplomatische Kanäle hatte Militär Aktuell kürzlich die Gelegenheit, den Kommandeur einer ukrainischen Hubschrauberstaffel zu seinen Erfahrungen und zu aktuellen täglichen Herausforderungen auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine zu befragen. Aus Sicherheitsgründen wurde ersucht, den vollen Namen des Offiziers geheim zu halten.

Herr Oberstleutnant, die ukrainischen Hubschrauberbesatzungen wurden 2022 nach Beginn des russischen Angriffs vor allem durch ihre Versorgungsflüge ins eingeschlossene Mariupol und in weiterer Folge dann auch zum Asowstal-Stahlwerk bekannt. Wie stellen sich die damaligen Ereignisse aus heutiger Perspektive dar?
In der sogenannten „Operation Korridor” wurden in unseren Reihen einige Helden geboren, manche davon haben mittlerweile leider das ultimative Opfer bringen müssen. Die angesprochenen Evakuierungsflüge von Verwundeten und Versorgungsflüge mit Munition, Ausrüstung und Medikamenten in den Kessel spielten sich allesamt zwischen März und Mai 2022 ab. Oft herrschte in diesen Tagen mieses Wetter, die Hubschrauber flogen in sehr niedrigen Höhen, meist nur zehn bis 20 Meter hoch. Das erschwerte dem Feind die Bekämpfung, allerdings stellten Stromleitungen und Bäume ständige Gefahren dar. Insgesamt flogen 45 Besatzungen mit 15 Hubschraubern paarweise oder zu viert fast 30 Rettungseinsätze. Dabei gelang es alleine aus dem Stahlwerk Asowstal beinahe 100 Schwerverwundete auszufliegen. Leider verloren wir durch Feindfeuer und Unfälle aber auch drei Mi-8-Helikopter mit ihren Besatzungen. Ähnlich heikle Einsätze gibt es für uns aber nach wie vor, zuletzt und aktuell beispielsweise bei Robotyne oder Avdijiwka.

@UkrAF
Die Ukrainer verfügen in ihrer Drehflügler-Flotte auch über solche Helikopter vom Typ Mi-24/P.

Was ist in typischen Missionen der gefährlichste Teil?
Typisch ist dabei fast nichts, aber in der Regel steigt das Risiko auf dem Rückflug. Wenn unser Einsatz für die Russen „schmerzhaft” war, dann sind deren Abwehrkräfte im gesamten Gebiet alarmiert und die Gefährdung durch feindliches Feuer nimmt dramatisch zu. Zugleich sind unsere Besatzungen eher erschöpft und oft sind in solchen Situationen auch die mitgeführten Gegenmaßnahmen nur mehr begrenzt verfügbar oder überhaupt schon verbraucht. Betroffen sind auf unserer Seite meist Mi-8 und Mi-17, die Verluste von Mi-24/P-Kampfhubschraubern sind im Vergleich dazu mehr als nur überschaubar. Anders sieht es „beim Aggressor” aus, der fast nur Kampfhubschrauber an unsere Luftabwehr verliert. Besonders Ka-52, es sollen schon 30 Maschinen verloren gegangen sein.

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Wie schützt die ukrainische Luftwaffe ihre Luftfahrzeuge am Boden? Und auf welchen Ebenen werden Täuschungen eingesetzt, um die Aufklärung von und Attacken auf das Gerät möglichst zu verhindern?
Gute Frage, aber Sie haben recht: Unsere Helikopter sind dann am gefährdetsten, wenn sie am Boden stehen. Deshalb wechseln wir auch ständig unsere Einsatzbasen. Dabei kommt uns das Gerät zugute, Hubschrauber lassen sich schließlich von jedem Standort aus nutzen, der für eine vorübergehende Stationierung geeignet ist. Das müssen keine befestigte Basen sein, es reicht, wenn es gelingt, Waffen, Treibstoff und andere Leit- und Kommunikationsgeräte zum oft vorgeschobenen, aber in jedem Fall verborgenen und teils auch getarnten Stützpunkt zu bringen. Wir schaffen es in der Regel, dass der Standort den Russen unbekannt bleibt – zumindest solange wir dort sind. Das ist – je nach Frontlage –aber meist nicht allzu lange.

@Ukrinform
Um Russland die Bekämpfung zu erschweren, lassen die Ukrainer ihre Helikopter von unterschiedlichsten Basen und Standorten aus operieren.

Auf beiden Seiten kommt es seit Beginn des Krieges auch zu Abschüssen durch eigene Kräfte. Wie soll sichergestellt werden, dass das nicht passiert – die Maschinen kommen schließlich auch in unmittelbarer Nähe des oder sogar über dem Gefechtsfeld zum Einsatz.
Um dieses „Friendly Fire” zu vermeiden, setzen wir vor allem auf nationale „Freund-Feind”-Erkennungssysteme, die aber in den eigenen Infanteriebrigaden aus technischen Gründen nicht flächig eingesetzt werden können. Die Brigaden sind oft mit ausländischen MANPADS-Luftabwehrsystemen ausgestattet, diese lassen sich aber nicht mit unseren Erkennungssystemen verbinden. Daher setzen wir bei unseren Maschinen auch auf visuelle Erkennungszeichen, also größere Markierungen. Zudem warnen wir die eigenen Kräfte mithilfe herkömmlicher Kommunikations- und zunehmend auch automatisierter Gefechtsmanagementsysteme, die unsere Kräfte ansteigend beginnen zu nutzen.

Können Sie darüber mehr erzählen? Beispielsweise, wie sich das System in der Praxis bewährt?
Unsere Hubschrauber sind seitlich, am Bauch und am Heckausleger mit gelben und blauen Flaggen und Roundels bemalt. Diese sollten MANPADS-Bediener bei normalen Sichtverhältnissen gut erkennen können. Auch die dicken weißen Streifen am Heck haben sich als sehr sinnvoll erwiesen. Wenn aufgrund schlechter Licht- und Sichtbedingungen die ukrainischen Flaggen auf den Helikoptern nicht erkennbar sind, können die MANPADS-Operatoren die Anzahl der weißen Streifen erkennen und damit den Helikopter identifizieren. Das ist wichtig, da ein MANPADS-Operator normalerweise nicht auf den Funk hört, während er sich auf einen Schuss vorbereitet.

@Ukrinform
Um „Friendly Fire“ zu vermeiden, haben die Ukrainer ihre Helikopter praktisch rund um eindeutig markiert.

Und wie funktioniert das umgekehrt? Wie können Hubschrauberpiloten verhindern, dass sie die eigene Infanterie treffen?
Zu diesem Zweck nutzen wir sichere Kommunikationssysteme. Wenn ein Hubschrauber gegen den Feind im Einsatz ist, wird vorab ein automatisiertes Koordinatenreferenzsystem aktiviert, das anzeigt, wo unsere Truppen lokalisiert sind. Jeder Bataillons- und Brigadekommandant verfügt über eine Funkstation, von der aus er direkt mit unseren Besatzungen kommunizieren kann. Kommt es operationsbedingt zu einer Bewegung eigener Kräfte und Ausrüstung, melden das Bataillon oder die Brigade unter Angabe der Koordinaten den Standort der eigenen sowie der erkannten gegnerischen Kräfte. Das funktioniert eigentlich sehr gut.

Gibt es ein optimales Gleichgewicht zwischen der Nutzung bemannter und unbemannter Systeme?
Die sich ändernde Situation auf dem Gefechtsfeld diktiert eigentlich dieses Gleichgewicht, wobei der Trend natürlich ganz klar in Richtung unbemannt geht. Die Fähigkeiten der diversen Drohnen wachsen und wir setzen sie auch immer häufiger ein – aber es braucht darüber hinaus auch noch andere Einsatzmittel. Wenn das Gelände nicht mit Flugabwehrsystemen gesättigt ist und wir davon ausgehen können, einen Einsatz mit einem überschaubaren Risiko von 20 bis 30 Prozent durchführen zu können, setzen wir bemannte Geräte ein, weil sich die Einsätze damit effektiver durchführen lassen. Liegt das Risiko höher, wählen wir in jedem Fall unbemannte Systeme.

@Ukrinform
Die Ukraine setzt Lufttransporter wie die Mi-17 ein, um Mensch und Material zu verlegen, nachzuführen oder gegebenenfalls auch auszufliegen und zu evakuieren.

Wie sollte für Euch dieses Verhältnis im Idealfall für die Gefechtsfelder von morgen aussehen?
Heute ist die Durchführung von Kampfhandlungen, insbesondere von Offensivoperationen, ohne Luftunterstützung nicht mehr möglich. Das Schlachtfeld von morgen sollte daher so aussehen: Bemannte und unbemannte Systeme sollten – im Idealfall – bis zu 100 Prozent der Feuerkraft und Befestigungen des Feindes aus der Luft vernichten, und dann sollten Infanterie und mechanisierte Ausrüstung zur Säuberung, Räumung und Sicherung des Gebiets eingesetzt werden. Das heißt, dass künftige Kriege am Himmel entschieden werden.

Quelle@Georg Mader, UkrAF, Ukrinform