Gab es ein Versprechen des Westens, die NATO nicht Richtung Osten auszudehnen? Eine vieldiskutierte Frage, der Historikerin Mary Elise Sarotte von der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington D.C. nun in ihrem Buch „Nicht einen Schritt weiter nach Osten – Amerika, Russland und die wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung” auf den Grund gegangen ist.
Was sie bei ihren Recherchen am meisten überrascht hat? „Die Bedeutung der Ukraine”, so die Historikerin kürzlich in einem Interview. „Die Mächtigen haben schon früh sinngemäß gesagt: Der Frieden in Europa hängt von der Ukraine ab. Aus heutiger Sicht ist es verblüffend, diese Einsicht in den historischen Quellen zu lesen.”
In einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau geht Sarotte dann auch im Detail auf die Osterweiterung der NATO und das angebliche Versprechen ein, diese Erweiterung nicht zu forcieren. „Baker (Anmerkung: damaliger US-Außenminister James Baker) hat mit Gorbatschow (damaliger russischer Präsident, Michail Gorbatschow) darüber spekuliert, dass die Nato eventuell sich nicht nach Osten erweitern werde. Das haben mir ehemalige US-Politiker bestätigt, sie sagten allerdings, das beziehe sich aber nur auf die DDR. Aber das stimmte nicht ganz. Es ging sowohl um die DDR als auch um Osteuropa. Was im Vertrag jedoch schwarz auf weiß steht, ist, dass die Nato sich erweitern kann. Sieht man sich wieder die russische Position an, dann sagen die Politiker der damaligen Zeit: Baker habe Gorbatschow in die Augen geschaut und gesagt, die Nato werde sich nicht nach Osten erweitern. Das sei eine Art Gentlemen-Agreement gewesen. Anhand der Quellen stimmt beides.”
Im Interview wird Sarotte dann gefragt, welche Folgerungen sie daraus ziehe – ihre Antwort: „Ich bin zu dem Schluss gekommen, was im Vertrag steht, ist das Wichtigste. Es geht hier nicht um ein Kinderspiel, hier waren erfahrene Profis am Werk. Alle haben hart verhandelt, es ging um alles. Es ging um das Ende der deutschen Teilung, des Kalten Krieges. Die Russen haben nicht das erhalten können, was sie wollten. Dafür haben sie aber einen Haufen Geld bekommen. Moskau hat den Vertrag unterschrieben, ratifiziert und das Geld kassiert. Auf Englisch: They cashed the check. Putin (Russlands heutiger Präsident, Wladimir Putin) interessiert sich nicht die Bohne für diese Genauigkeiten. Aber als Historikerin kann ich sagen, es war nicht so, wie Putin es immer darstellt.”
Um diesen Part herum führt Sarotte anschaulich und detailliert in das entscheidende Jahrzehnt zwischen dem Mauerfall und dem Aufstieg Putins ein. Dabei zeigt sie auch, warum es nicht zu einer neuen Sicherheitsarchitektur für Europa kam und wie damals die Saat gelegt wurde für die Spannungen, die unsere heutige Welt bestimmen.
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