Analog zur Stoßrichtung des jüngsten nationalen Sicherheitsrats in Wien hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nun in einer Sondersitzung des deutschen Bundestages zum russischen Überfall auf die Ukraine einen Sonderinvest von 100 Milliarden Euro (!) für die deutschen Streitkräfte angekündigt. Mit dem Geld sollen Investitionen und Rüstungsvorhaben für die Bundeswehr getätigt werden.

Gemessen an der pazifistischen Haltung Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten handelt es sich dabei um eine historische Kehrtwende. Scholz rief alle Fraktionen auf, diesen Sonderinvest auch im Grundgesetz abzusichern. Zugleich kündigte er an, dass Deutschland „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent” seines Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung investieren werde. Maßstab müsse sein, dass alles getan wird, was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht werde. An mehreren Stellen seiner Regierungserklärung gab es teils fraktionsübergreifende „Standing Ovations”.

@SPD
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz: „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.”

Scholz: „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.” Das Ziel sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr. Deutschland brauche Schiffe, die in See stechen und Flugzeuge, die auch fliegen. Das werde viel Geld Kosten, müsse aber erreichbar sein „für ein Land unserer Größe und Bedeutung in Europa”.

Scholz betonte, die Anhebung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung passiere nicht nur, weil man es Alliierten versprochen habe. „Wir tun dies auch für uns, für unsere eigene Sicherheit!”

Bei der nun geplanten Aufrüstung setzt die Bundesregierung auf die Zusammenarbeit mit ihren Alliierten in EU und NATO. Scholz betonte, wichtig sei, dass Europa technologisch mithalte und die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit europäischen Partnern – und insbesondere mit Frankreich baue. „Diese Projekte haben oberste Priorität für uns”, betonte der Kanzler und ging sogar ins Detail: Bis die Flugzeuge, die US-Atomwaffen im Konfliktfall ins Ziel bringen können, einsatzbereit seien, werde der Eurofighter weiterentwickelt. „Der Eurofighter soll zur Electronic Warfare befähigt werden.” Für diese sogenannte nukleare Teilhabe werde die Regierung rechtzeitig einen modernen Ersatz für die veralteten Tornado-Jets beschaffen. Scholz legte sich dabei nicht fest, welches Flugzeug Deutschland als Tornado-Nachfolge beschaffen wird, sagte aber dass auch der US-Stealth-Jet F-35 als Trägerflugzeug (wieder) in Betracht komme

Oberst Reisner: „Es ist schon jetzt ein Abnützungskrieg“

Laut Oppositionsführer und Unionsfraktionschef Friedrich Merz stehe Deutschland „vor einem Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte”. Einige der vermeintlichen breiten Gewissheiten gehörten der Vergangenheit an. So führe einseitige Abrüstung nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit. Verantwortlich für den Angriffskrieg Russlands sei der russische Präsident Wladimir Putin. „Aus diesem ,lupenreinen Demokraten’, der er nie war (die Bemerkung ist als Seitenhieb auf ein Statement von Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu verstehen), ist nun endgültig und für alle Welt sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden.”

Merz hat der Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz jedenfalls Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine zugesagt. Die Union werde umfassende Maßnahmen unterstützen „und nicht im Kleinen herummäkeln”, sagte der CDU-Vorsitzende in seiner Antwort auf Scholz Regierungserklärung. Wenn der Kanzler eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit ihm gehen, sagte Merz. Aber das von Scholz angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben der Bundeswehr bedeute zunächst neue Schulden. Wie man diese neuen Schulden aufnehme und möglicherweise in der Verfassung verankere, „das geht nicht allein mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen. Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen, das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam”, sagte Merz.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen AfD, Alice Weidel, gab dem Westen eine zumindest Mitverantwortung für den Angriff Russlands auf die Ukraine. Die Hardliner hätten starr an der NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine festgehalten und dabei überheblich Russland den Großmachtstatus abgesprochen, so Weidel in der Sondersitzung. „Das ist das historische Versagen des Westens: die Kränkung Russlands.” Dies ändere aber nichts an der „Verwerflichkeit des russischen Einmarsches”, fügte Weidel gleich hinzu. „Deutschland hat aber in seinem gegenwärtigen Zustand nichts aufzubieten, um den Worten auch Taten folgen zu lassen. Auch sicherheitspolitisch sei Deutschland ein ,Leichtgewicht’ geworden. Eine heruntergewirtschaftete Armee und eine marginalisierte Rüstungsindustrie, das ist das Erbe von 16 Jahren Angela Merkel.“

Weidel sagte, die Herausforderung, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die das Ost-West-Blockdenken überwindet, sei schwieriger geworden, aber nicht vom Tisch. „Deutschland kann und sollte hier eine wichtige Rolle als ehrlicher Makler spielen, man dürfe sich aber bloß nicht unreflektiert in einen Krieg hineinziehen lassen”, warnte die AfD-Politikerin. Die Linkspartei lehnte die angekündigte „Militarisierung” rundweg ab.

Quelle@Bundeswehr/Weigel, SPD