Wie ist die aktuelle Sicherheitslage im Libanon? Welche Herausforderungen stellen sich für UNIFIL und für das österreichische Kontingent? Und: Wie konkret ist die Bedrohung durch den Islamischen Staat? Ein Gespräch mit dem österreichischen Kontingents-Kommandanten Oberstleutnant Thomas Güttersberger.

Herr Oberstleutnant, der Libanon liegt in einer seit Jahrzehnten hart umkämpften Region. Mit Israel kam es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen und im Nachbarland Syrien halten die Kämpfe zwischen syrischer Armee, dem Islamischen Staat und anderen Terrororganisationen an. Wie stellt sich vor diesem Hintergrund die aktuelle Sicherheitslage im Libanon dar?
Die Lage hier ist aktuell verhältnismäßig ruhig, aber instabil. Es gibt entlang der sogenannten „Blue Line“, der Rückzugslinie der israelischen Streitkräfte aus dem Jahr 2000, immer wieder kleinere Konflikte und „Blue Line“-Verletzungen etwa durch Schäfer und Bauern. Aber auch durch bewaffnete Zivilisten, durch gezielt provozierte Aktionen von politisch motivierten Jugendlichen oder auch von der israelischen Seite durch Stellungsbau, Anbringen von Überwachungskameras, Patrouillenboote und Drohnenflüge. Solche Vorfälle gehören hier zum Alltag, pro Tag kommt es zu zehn bis 20 Vorkomnissen, bei denen nicht geschossen wird, die aber trotzdem das Potenzial haben, den Frieden im Land und der Region zu gefährden.

Wirklicher Frieden herrscht also auch elf Jahre nach Ende des letzten Libanonkriegs nicht?
UNIFIL hat mehrere Bataillone an der „Blue Line“ stationiert, um solche Szenarien zu beobachten und gegebenenfalls zu mediieren und zu intervenieren. Verhindern lassen sie sich dadurch allerdings nicht. Aber: All diese Vorkomnisse ereignen sich auf einem „Low Level“. Die in vielen Medien geschürte Kriegsrhetorik zeigt sich vor Ort also nur in kleinen Scharmützeln und Diskussionen.

Oberstleutnant Thomas Güttersberger ist stellvertretender Kommandant der Garde, Ende November 2016 hat er für ein Jahr das Kommando des österreichischen Kontingents im Libanon übernommen.
Oberstleutnant Thomas Güttersberger ist stellvertretender Kommandant der Garde, Ende November 2016 hat er für ein Jahr das Kommando des österreichischen Kontingents im Libanon übernommen.

Wie wirkt sich die Nähe Syriens und damit des Islamischen Staates auf die Sicherheitslage aus?
Seit dem Jahr 2014 halten sich der Islamische Staat und Fatah al-Sham, eine Nachfolgeorganisation der al-Nusra-Front, im Qalamun-Gebirge im Nordosten des Landes rund um die Grenzstädte Ras Baalbek und Al-Qaa verschanzt. Das ist libanesisches Territorium, die libanesische Armee konnte das Gebiet aber lange Zeit nicht zurückerobern, sondern nur abriegeln und dann und wann mit Artillerie erkannte Bewegungen bekämpfen. Nun hat die libanesische Armee mit Unterstützung von Hisbollah und den USA begonnen, den Raum freizumachen, was aber sicher eine Weile dauern wird. Unabhängig davon kommt es derzeit jede Woche zu Verhaftungen von Terrorzellen des Islamischen Staates und der Beschlagnahme von Waffen in vielen Städten des Libanons. Mit den rund eineinhalb Millionen Flüchtlingen sind schließlich auch viele ehemalige IS-Kämpfer mit ihren Familien ins Land gekommen.

Inwieweit ist die Flüchtlingsthematik auch darüber hinaus ein Problem für das Land?
Der Libanon ist natürlich massiv davon betroffen, die vielen Flüchtlinge im Land tun schließlich vieles, um über Wasser zu bleiben. Die Rede ist etwa von illegaler Prostitution, von Kleinkriminalität und Beschaffungskriminalität, Organhandel und illegaler Beschäftigung, was den ohnehin labilen Arbeitsmarkt weiter unter Zugzwang bringt.

Hat die mögliche Bedrohung durch IS-Kämpfer auch Auswirkungen auf die Sicherheit von UNIFIL?
Natürlich. Der Islamische Staat ist zwar aktuell auf dem Rückzug, es geht aber vom IS immer noch eine Gefahr aus, was sich auch auf unsere Sicherheitsvorkehrungen auswirkt. Bei unseren Transporten werden wir deshalb immer von den Lebanese Armed Forces (LAF) und der internationalen Militärpolizei begleitet. Dazu setzen wir auf soganannte „Jammer“-Fahrzeuge, um allfällige ferngezündete Sprengsätze nicht zur Detonation kommen zu lassen. Verhindern lassen sich mögliche Angriffe dadurch aber nicht, da darf man sich keinen Illusionen hingeben!

Mit welchen aktuellen Herausforderungen ist UNIFIL darüber hinaus konfrontiert?
UNIFIL hat sein Schwergewicht entlang der „Blue Line“ und dabei könnte im Fall der Fälle die Umsetzung unseres Mandats in Richtung „Protection of civilians“ ein ganz wesentliches Thema werden. Wenn der libanesische Staat aufgrund von Kampfhandlungen nicht mehr in der Lage sein sollte, seine eigene Bevölkerung vor unmittelbarer Gewaltanwendung zu schützen, dann muss das laut Mandat UNIFIL tun. Das hieße für uns hier im Camp Naqoura, dass wir die Ortschaft Naqoura beschützen und die Bevölkerung gegebenenfalls evakuieren und beherbergen müssten, um sie vor militärischen oder paramilitärischen Kräften zu schützen.

Das klingt nach einem starken Mandat. Könnte dieses auch schlagend werden, wenn dem Islamischen Staat im Nordosten ein Befreiungsschlag gelingt und die Terrormiliz in die Offensive übergeht?
Das Mandat ist sogar sehr stark und im Fall der Fälle sicherlich eine gewaltige Aufgabe. Im Nordosten wird es aber wohl eher kein Thema werden. Das liegt vor allem daran, dass die dortigen radikalislamischen Gruppierungen über keinerlei Offensivkapazitäten verfügen. Sie können also nicht so strukturiert wie militärische Verbände Räume in Besitz nehmen und halten.

Aber sie könnten sie in andere Gebiete „aussickern“ und dort aktiv werden?
Das könnten sie und tun sie auch, allerdings ist das eher ein Thema für die libanesischen Sicherheitskräfte und nicht für UNIFIL. Die „Protection of civilians“ würde eher dann notwendig werden, wenn es zu einem Wiederaufflammen bewaffneter Kampfhandlungen zwischen Israel, der Hisbollah und der libanesischen Armee kommt.

UNIFIL ist auch deshalb vor Ort, um ein solches Wideraufflammen der Kämpfe zu verhindern. Ist man sich dieser Tatsache im Libanon bewusst? Oder anders gefragt: Verstehen die Bürger, dass die Anwesenheit von internationalen Truppen für den Frieden im Land notwendig ist?
Definitiv ja, die UNIFIL wird als Stabilitätsfaktor, aber auch als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Trotzdem gibt es natürlich entlang der „Blue Line“ Ortschaften, die sehr von der Hisbollah dominiert sind und wo nicht immer gerne gesehen ist, wenn UNIFIL patrouilliert. Dort kommt es auch immer wieder zu Anhaltungen, Restrictions of Movements und kleineren Diskussionen. Nur damit das nicht falsch verstanden wird: Die Hisbollah ist trotz allem nicht unser Feind und sieht auch UNIFIL nicht als Feind. Die Hisbollah traut UNIFIL aber nicht zu, das Land im Kriegsfall beschützen zu können und mit dieser Einschätzung haben sie auch nicht so unrecht. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir überwachen hier die Einstellung der Feindseligkeiten, wir haben keinen Auftrag zur Verteidigung!

Und wie bewertet die israelische Seite die Anwesenheit internationaler Truppen?
Ebenfalls positiv. Für Israel sind wir eine Absicherung ihrer nördlichen Flanke. Die Hisbollah kann sich dank unserer Anwesenheit nicht so einfach und leicht bewegen, wie das sonst der Fall wäre, und damit wird das Wiederaufflammen von Feindseligkeiten deutlich erschwert. Dazu muss man aber sagen, dass die Hisbollah aktuell deutlich eingeschränkt agiert, da sie im Kampf gegen den IS anderswo beschäftigt ist. Entscheidend wird daher die Frage sein, was die Kämpfer machen, wenn sie von dort zurückkommen? Sind die Veteranen wieder integrierbar oder nicht? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, wird das auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage haben.

Kommen wir abschließend zum österreichischen Kontingent: Wo liegen die aktuellen Herausforderungen für das Bundesheer?
Wie schon zuvor erwähnt ganz klar bei der Sicherstellung der Sicherheit der Transporte. Wir sind mit unseren Transport- und Arbeitszügen im Land unterwegs und Transporte sind immer das leichteste Ziel. Keiner greift mit lachendem Gesicht in die Kreissäge und greift eine Panzerkompanie an oder eine gehärtete Patrouille mit Radpanzern. Transportkompanien sind da deutlich leichter verwundbar, behäbig, an Straßen gebunden und aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Schutzmöglichkeiten ein sehr lohnendes Ziel. Das Land wirkt auf den ersten Eindruck recht friedlich, aber das ist es nicht: Es werden Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürteln abgefangen und die Flüchtlingsproblematik ist ebenso wie viele andere Probleme ein Thema. Darauf müssen wir unsere Leute regelmäßig hinweisen. Nur weil es im Camp ruhig ist, ist es nicht auch im Land ruhig. Das muss man immer und immer wieder klarmachen, nur so kann man möglichen Gefahren im Vorfeld aus dem Weg gehen und gegebenenfalls schnell und entschlossen darauf reagieren.

Interview: Jürgen Zacharias, Fotos: HBF/Gunther Pusch