Die Strategie der Vereinigten Staaten sieht vor, einen potenziellen Krieg gegen einen hochgerüsteten Gegner gewinnen zu können, während gegenüber einem möglichen zweiten hochwertigen Gegner eine Politik der Abschreckung verfolgt wird. Ein nun vorgelegter 145-seitiger Bericht der sogenannten „Strategic Posture Commission” des US-Kongresses zieht aber die Möglichkeiten zur Verfolgung dieser Strategie in Zweifel. Unter Präsident Joe Biden besteht in den USA aktuell trotzdem die strategische Annahme, dass das bestehende Atomarsenal zur Abschreckung ausreicht.
Vor dem Hintergrund der Spannungen mit China über Taiwan und anderer Themen und der sich verschärfenden Spannungen mit Russland wegen Moskaus Invasion in der Ukraine, hatte der 2022 eingerichtete überparteiliche Ausschuss mit sechs Demokraten und sechs Republikanern die Aufgabe erhalten, langfristige Bedrohungen der USA ausfindig zu machen und entsprechende Änderungen bei den Streitkräften vorzuschlagen. Dem Gremium zufolge müssen sich die USA im Zeitraum 2027 bis 2035 auf mögliche gleichzeitige Kriege mit China und Russland vorbereiten, indem sie ihre konventionellen Streitkräfte ausbauen und Allianzen stärken, aber auch ihr Programm zur Modernisierung und auch zum Ausbau der Atomwaffen verbessern.
Zu den Empfehlungen der Kommission (siehe auch Video) gehört unter anderem auch die Stationierung zusätzlicher taktischer Atomwaffen in Europa und Asien. Zudem müssten mehr neue B-21 Tarnkappenbomber (als die geplanten 100 Maschinen) und mehr (als die geplanten zwölf) Columbia-Class SSBN(X) Atom-U-Boote mit Trident-Raketen gebaut werden. Weiters heißt es in dem Bereicht, dass das 30-jährige Programm zur Modernisierung der US-Atomwaffen, das 2010 begann und 2017 auf rund 380 Milliarden Euro bis 2046 geschätzt wurde, vollständig finanziert werden müsse, um alle Sprengköpfe, Trägersysteme und Infrastruktur planmäßig aufzurüsten.
„Die Nation wird diese Investitionen tätigen müssen”
Diese von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen würden natürlich eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben mit sich bringen. „Wir sind uns der Realitäten im Haushalt bewusst”, heißt es in dem Bericht seitens der Vorsitzenden der Demokraten, Madelyn Creedon (ehemalige stellvertretende Leiterin der Behörde, welche die US-Atomwaffen überwacht) und des stellvertretenden Vorsitzende Jon Kyl (pensionierter republikanischer Senator): „Aber wir sind auch der Meinung, dass die Nation diese Investitionen tätigen muss. Der Präsident und der Kongress müssen dem amerikanischen Volk erklären, dass höhere Ausgaben für die Verteidigung ein vergleichsweise kleiner Preis wären, um ‚hoffentlich’ einen Atomkrieg mit China und Russland verhindern zu können. Diese Gefahr wird im Zeitraum 2027 bis 2035 akut werden, daher müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden, damit die Nation bereit ist.”
„Der Präsident und der Kongress müssen dem amerikanischen Volk erklären, dass höhere Ausgaben für die Verteidigung ein vergleichsweise kleiner Preis wären, um ‚hoffentlich‘ einen Atomkrieg mit China und Russland verhindern zu können.“
Bericht der Strategic Posture Commission
Worauf diese Einschätzung und der angegebene Zeitraum genau fußen, wurde im Bericht nicht eindeutig spezifiziert. Ein hochrangiger Beamter, der an dem Bericht beteiligt war, lehnte es – unter der Bedingung der Anonymität – ab, zu sagen, ob die Geheimdienstbriefings des Gremiums eine Zusammenarbeit zwischen China und Russland im Bereich der Nuklearwaffen zeigten: „Wir machen uns Sorgen, denn es könnte in irgendeiner Weise eine endgültige Koordination zwischen ihnen geben, die uns zu diesem Zwei-Kriege-Konstrukt bringt”, sagte der Beamte und unterstrich, dass „die USA und ihre Verbündeten bereit sein müssen, beide Gegner gleichzeitig abzuschrecken und wenn nötig auch zu besiegen.”
Das Gremium inkludierte eine Prognose des Pentagons, wonach Chinas rasche Erweiterung des Atomwaffenarsenals dem Land bis 2035 wahrscheinlich 500 nukleare Sprengköpfe verschaffen wird, was die USA zum ersten Mal mit einem zweiten großen nuklear bewaffneten Rivalen konfrontieren würde. Auch deshalb gehört zu den weiteren Empfehlungen die Stationierung weiterer taktischer Atomwaffen in Asien und Europa und die Entwicklung von Plänen für die Stationierung einiger oder aller US-Reserve-Atomsprengköpfe. Zudem fordert man auch, die Größe und Zusammensetzung der konventionellen Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten zu stärken. Denn wenn solche Maßnahmen nicht ergriffen würden, „werden wir wahrscheinlich die Abhängigkeit von Atomwaffen erhöhen müssen”, heißt es in dem Bericht.
Jener wird auch vom Abgeordneten Mike Rogers aus Alabama unterstützt, der Vorsitzender des Streitkräfteausschusses des Repräsentantenhauses sagte: „Die Ergebnisse verdeutlichen den Ernst der Lage, mit der wir konfrontiert sind, und unterstreichen, dass die derzeitige Entwicklung der nuklearen Abschreckung nicht ausreicht, um die chinesische und russische Bedrohung abzuschrecken.” In einer vor kurzem veröffentlichten Erklärung forderte er rasche Änderungen der langfristigen strategischen Haltung der USA, um in Zukunft die zwei nuklearen Gegner abzuschrecken.
Biden-Administration meint, es reiche wie es ist
Wie erwähnt steht der Bericht im Gegensatz zu der Position von US-Präsident Joe Biden, dass das derzeitige US-Atomwaffenarsenal ausreiche, um die vereinten Kräfte Russlands und Chinas abzuschrecken. Als Erstes auf die Schlüsse der Kommission reagierte die Interessenvertretung Arms Control Association: „Die Zusammensetzung des gegenwärtigen Arsenals geht immer noch über das hinaus, was notwendig ist, um eine ausreichende Anzahl von gegnerischen Zielen in Gefahr zu bringen, um so einen feindlichen Atomangriff abzuschrecken.”
Das wissen auch die Autoren des Berichts, darunter übrigens auch Frau Rose E. Gottemoeller. Sie war in der Obama-Administration für Rüstungskontrolle zuständig Staatssekretärin im State Department, bis 2019 stellvertretende NATO-Generalsekretärin, oft in der (inzwischen handlungsunfähigen) Wiener OSZE zu Gast und wurde auch bereits von Militär Aktuell interviewt. Sie räumen ein, dass „diese Ergebnisse die derzeitige nationale Sicherheitsstrategie der USA auf den Kopf stellen” würden. Diese würden „nur” darauf abzielt, einen Konflikt zu gewinnen und einen anderen abzuschrecken. „Die von den USA angeführte internationale Ordnung und die Werte, die die Vereinigten Staaten hochhalten, sind durch die autoritären Regime Chinas und Russlands in Gefahr.”