Northrop Grumman präsentierte vor wenigen Tagen im Air Force-Werk 42 im kalifornischen Palmdale mit dem Nachfolger der B-2 Spirit nicht nur Amerikas nächsten Tarnkappenbomber – der B-21 Raider ist vielmehr das erste real gezeigte Kampfflugzeug der 6. Generation und damit das wahrscheinlich fortschrittlichste bislang gebaute Militärflugzeug der Welt.

Die Präsentation war pompös: Aber außer dem bei starkem bläulichen Gegenlicht enthüllten und dann einige Meter rollenden B-21 T1 („0001”) bekamen die rund 3.000 geladenen Gäste und Medienleute in Palmdale nicht wirklich viel Action geboten. Das strikt inszenierte Ereignis sollte so viel verbergen wie enthüllen und illustrierte den oft schmalen Grat zwischen öffentlicher Transparenz und der zu frühen Enthüllung systemrelevanter Informationen. Uniformierte Sicherheitskräfte und Agenten des USAF-Büros für Sonderermittlungen scannten daher die Geladenen, welche den Zeremonienbereich durch Ganzkörper-Drehkreuztore betreten mussten. Smartwatches, iPhones und andere mobile Geräte mit hochauflösenden, zoombaren Kameras, Videoaufzeichnungs- und Übertragungsmöglichkeiten waren nicht erlaubt. Die Geräte mussten von den Gästen ausgeschaltet und vor der Veranstaltung Northrop Grumman-Mitarbeitern übergeben werden, die sie dann bis nach dem Event in sichere Yondr-Taschen sperrten.

@US DoD
Die restriktiven Vorschriften bei der Präsentation erlaubten nur Aufnahmen aus diesem Blickwinkel.

Pressefotografen erhielten eine Liste mit Anforderungen an die Ausrüstung, die Begrenzung der erlaubten Kameraobjektivgröße wurde auf 50 Millimeter festgelegt, was etwa dem menschlichen Auge entspricht. Die Fotoplattform wurde genau in der Mitte platziert und war direkt auf die Nase der B-21 ausgerichtet, mir nur wenigen Grad seitlicherem Blickwinkel. Die Kameras mussten auf Stativen in genau 1,80 Meter Höhe montiert werden – nicht höher, nicht niedriger – womit die 90 Zentimeter hohe Bühne nur eine Perspektive etwa auf Höhe der Kante des Flugszeugs erlaubte, an der der obere und untere Teil des auf bis exakt 23 Meter zur Fotoplattform vorgerollten Bombers zusammenkamen. Wenn jemand versuchte, diese Regeln zu umgehen, wurde er verwarnt, die Ausrüstung anschließend von Northrop Grumman so lange einbehalten, bis die USAF eine „Sicherheitsauswertung” der Datenkarten durchgeführt hatte. Einige wenige – ziemlich gleichartige – Fotos wurden aber wenigstens vom Hersteller selbst veröffentlicht.

@MC72
Spannende Studie: Noch gibt es viele Unbekannte, Vieles deutet aber darauf hin, dass diese Design-Studie in vielen Punkten nah an der Realität sein könnte.

Super Stealth? Bitte warten!
Die vielen Sicherheitsvorkehrungen mögen übertrieben erscheinen, tatsächlich aber ist der B-21 nicht nur wie erwartet eine imposante, ja futuristisch aussehende Maschine, sondern – wie das auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin betonte – das künftige Herzstück der US-Bomberflotte. Optisch liegen die Wurzeln des neuen Entwurfs beim Vorgänger B-2, allerdings ist offensichtlich, dass der B-21 die Stealth-Technologie (Low Observables oder LO) auf eine neue Ebene hebt. Auch deshalb wurden die Höhenanforderungen an die Fotografen wie zuvor beschrieben festgelegt. So konnten keine Bilder entstehen, welche sensible Aspekte der oberen oder unteren Oberflächen des Bombers zeigen, wie beispielsweise die tief versenkten Lufteinläufe oder Wartungs- sowie Sensor-Öffnungen. Weitere Bilder und erste Detailaufnahmen – speziell zu der zum B-2 offenbar deutlich veränderten Hinterkante – sind daher erst für den irgendwann 2023 geplanten Erstflug nach Edwards-AFB zu erwarten.

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Ein Grund für die peniblen Sicherheitsvorkehrungen liegt wohl auch in dem im November 1988 bei vollem Tageslicht erfolgten Roll Out des B-2 vor dem Hangar begründet. Auch damals durften sich seitlich der Maschine nur Mitarbeiter von Northrop Grumman positionieren – das Unternehmen hatte allerdings auf den Luftraum vergessen. Aviation Week mietete eine Cessna-172 und überflog die Zeremonie, um Fotos zu machen. Die veröffentlichten Bilder von Bill Hartenstein zeigten die B-2 zum ersten Mal von oben, einschließlich ihrer bezüglich Abgas-Signatur und Steuerflächen – wie auch heute beim B-21 – sensiblen Hinterkante. Jenen Winkel wollten die bestürzte USAF und das Pentagon eigentlich erst viel später enthüllen. Diesmal blieb der Hangar ganz zu, zudem war Abenddämmerung.

Obwohl immer mehr Analysten, Kritiker und Waffenentwickler die Frage diskutieren, ob die Stealth-Technologie versus China, Russland oder Iran – Stichwort bistatische Radars – langsam obsolet werden könnte, sehen hochrangige Waffenentwickler und US-Analysten im B-21 doch viele Vorteil. Allen Gegenmaßnahmen zum Trotz bliebe die Grundproblematik der Übertragung eines möglicherweise erkannten Stealth-Flugzeugs von einem großen Erfassungsradar auf ein viel kleineres Feuerleitradar entweder in einem Flugzeug oder einem Boden-Luftabwehrsystem. Dieses müsste dann das schwer erfassbare Flugzeug auch noch kontinuierlich verfolgen und eine Feuerlösung herstellen. Erkennung sei nicht das, worum es primär gehe, heißt es von Seiten der USAF. Es brauche vielmehr eine ganze „Kill-Chain”, in der jedes Element erfolgreich sein muss, um ein derart optimiertes Ziel zu zerstören. Über IR-Signatur und passive Systeme wurde noch nichts verlautet.

@Georg Mader
Der B-21 und sein Vorgänger B-2B (Bild) weisen optisch zahlreiche Ähnlichkeiten auf.

Vorsichtige Erstanalyse
Bis Testpilot Oberstleutnant Clifton Bell, als USAF-Leiter des B-21 Testregimes in Edwards, und Northrop Grumman B-21-Cheftestpilot Chris Moss den neuen Bomber nach den anstehenden Bodentests erstmals fliegen werden, bleibt Vieles im Bereich von Vermutungen, herausgerechneten Abmessungen, ja Spekulationen. Und es ist durchaus möglich, dass jener Erstflug dann auch nicht im prallen Licht der kalifornischen Sonne erfolgt. Gleichwohl zeigte am 2. Dezember aber ein kurzer Moment ohne blauem Licht, sowie eine weitere Northrop-Aufnahme eine gegenüber der B-2 weit hellere silbrig-graue Farbgebung, welche darauf hindeutet, dass B-21-Einsätze in Zukunft – im Gegensatz zum Vorgänger – auch tagsüber angedacht sind. Das deckt sich auch mit früheren Aussagen von Oberstleutnant Joshua Schneider als B-21-Programmanager der USAF, der beschrieb, dass es sich dabei nicht nur um einen reinen Bomber beziehungsweise Abstandswaffenträger, sondern auch um eine zeitnäher und wenn nötig näher am Geschehen verfügbare Aufklärungsplattform für ISR-Aufgaben (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance) handeln würde.

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Das Flugzeug erscheint mit – von den Körpergrößen der den Roll-Out begleitenden Männer hochgerechnet – rund 43 Metern Spannweite um etwa ein Drittel kleiner als die B-2. Man wusste aber schon seit einiger Zeit, dass es ein kleineres Nurflügel-Design mit weniger Waffenlast sein würde. Ein guter Indikator dafür ist das Fahrwerk, ein Tandem-Design mit zwei Rädern an jedem Hauptbein, statt vier beim größeren und schwereren B-2. Soweit das zu sehen war, geht die gesamte Zelle verblüffend reibungslos ineinander über, Missions- oder Luftdatensensoren sowie Kommunikationsarrays waren – aus dem Winkel der Fotografen – nicht zu sehen oder sind vollständig minimiert.

@Archiv
Größen-Hochrechnung: Der B-21 dürfte rund 43 Meter Spannweite aufweisen.

Bemerkenswert gelöst scheint die große Herausforderung der Triebwerkslufteinläufe, die nahtlos tief in das jüngste Exemplar des jahrzehntelangen Nurflügel-Erbes Jack Northrops seit den 1940er-Jahren zu verschmelzen scheinen. Sie führen übrigens offenbar zu nur zwei Triebwerken statt vier wie in der B-2, wahrscheinlich zumindest anfänglich die den Kampfjet F-35 antreibenden F-135, aber ohne Nachbrenner. Gut möglich, dass später das bereits seit 2020 auf Testständen laufende adaptive GE XA100 mit variablem Nebenstromverhältnis zwischen Reise- und Kampfleistung integriert wird. Jedenfalls bedingen zwei Triebwerke weniger Treibstoffvolumen und somit weniger Gewicht, gepaart im Vergleich zu kleineren Waffenschächten für weniger „erst noch fertig zu entwickelnde Abstands- und Präzisionslasten” (Verteidigungsminister Austin), versus 20 Tonnen Bombenlast im B-2. In Summe mit beispielsweise der GBU-53B Stormbreaker Allwetter-Abstandsbombe, dem Marschflugkörper JASSM-ER oder der im Mai erstmals erfolgreich getesteten Hyperschall AGM-183 ARRW (Air-Launched Rapid Response Weapon) soll diese „Kombo” transkontinentale Zugriffe erlauben. Zudem wird betont, die heutige RAM-Oberflächenbeschichtung wäre soweit alltagstauglich, dass man keine 50 Stunden Wartungsufwand pro Flugstunde mehr brauche. Deshalb werde man den Raider in Zukunft auch leichter „vorwärts verlegen” und nicht global alles wie beim B-2 nur nachts von Whiteman/Missouri fliegen müssen.

@Lockheed Martin
Die neue Hyperschallrakete AGM-183A stellt eine mögliche Bewaffnung der B-21 dar.

Apropos Raider – an dieser Stelle etwas Traditionsarbeit: Der Name ist offiziell den „Doolittle Raiders” gewidmet, die 1942 mit B-25 von der USS Hornet einen legendären Angriff auf Tokio flogen. Sie hätten „den Amerikanern damals den Kampfgeist zurückgegeben”, so Lloyd Austin. Der letzte der damals eingesetzten Männer starb 2019 mit 103 Jahren, Angehörige der Raiders waren unter den Ehrengästen und eine B-25 war im Vorfeld des Hangars aufgestellt.

@Georg Mader
Die B-52 soll dann in Zukunft mit dem neuen B-21 das Rückgrat der US-amerikanischen Bomberflotte bilden.

Stückzahl und Kosten
Es ist offizielle Planung, dass der B-21 ab Ende des Jahrzehnts sowohl die 45 B-1B Lancer und die 20 B-2 Spirit ersetzen und gemeinsam mit den 76 von 1961 bis 1966 (!) gebauten und mit neuen RR F-130 Triebwerken ausgestatteten B-52H Stratofortress – also der neueste mit dem ältesten Bomber – die strategische und auch nukleare Bomber-Komponente der US-Streitkräfte bilden sollen. Ob das erreicht werden kann, wird sich erst zeigen, der B-21 dürfte nämlich (umgerechnet nach heutigem Kurs) pro Stück zwischen 670 und 690 Millionen Euro kosten. Damit sei man allerdings – im Gegensatz zu fast zwei Milliarden Euro pro Stück, was letztlich nur 21 B-2 erlaubte – unter der Budgetplanung beim Zuschlag von 2015. Weitere 23,5 Milliarden Euro sind für die Fertigentwicklung, 62 für die Beschaffung von 100 Stück B-21 und schwindelerregende 108 Milliarden Euro für deren Betrieb über 30 Jahre veranschlagt. Für den Ausbau der ersten B-21-Basis in Ellsworth (South Dakota) ist eine weitere Milliarde Euro eingeplant.

Laut verschiedene Quellen ist sogar ein größeres Beschaffungsvolumen von 145 bis 200 Maschinen möglich. Über all diese Zahlen wird wohl über die nächsten zehn Jahre noch viel zu schreiben sein. Denn es wäre dies das erste – letztlich trotzdem erfolgreich realisierte – USAF-Großprojekt ohne teils massive Kostenüberschreitungen.

Quelle@US DoD, Archiv, Georg Mader, MC72, Lockheed Martin