Sie haben es schon wieder getan: Nachdem die ukrainischen Verteidigungskräfte bereits am 14. Jänner ein russisches Frühwarn- und Luftraumkontrollflugzeug vom Typ Beriew A-50U abgeschossen haben, dürften sie nun laut zahlreichen Medienberichten am 23. Februar das Kunststück wiederholt haben.

@Telenko
Auf diesem Video soll der Abschuss der A-50U erkennbar sein – in jedem Fall zu sehen sind kurz vor der Explosion ausgestoßene Flares.

Den Pressemeldungen zufolge soll für den Abschuss dieses Hochwertzieles (im ASCC/NATO-Sprachgebrauch als Mainstay bezeichnet) ausgerechnet ein altes aus Sowjetbeständen stammendes Boden-Luft-Raketensystem (SAM) S-200V (SA-5 Gammon im ASCC/NATO-Sprachgebrauch) verantwortlich sein. Die A-50U flog demnach etwas südlich des äußersten Endes des Asowschen Meeres sogenannte „8er-Schleifen” zur Beobachtung der Luftlage an der Südfront und wurde dabei – rund 220 Kilometer vom nächsten von der Ukraine kontrollierten Frontabschnitt entfernt – abgeschossen.

Rein von den Parametern sollte sich das ausgehen, der V-880 Flugkörper des S-200-Systems hat eine Reichweite von 250 bis 300 Kilometer. Es stellt sich jedoch die Frage der Zielansprache beziehungsweise Feuerleitlösung über diese Entfernung hinweg. Diese herzustellen wäre – auch wenn sich das Ziel „sorglos” verhält – jedenfalls eine Leistung. Gleichwohl könnte es natürlich auch sein, dass der Abschuss mit der S-200V nur offiziell kommuniziert wird, in Wahrheit aber ein anderes – möglicherweise von Partnern bereitgestelltes – Flugabwehrsystem benutzt wurde, über dessen Anwesenheit am Schlachtfeld vorläufig nichts bekannt werden soll.

@Georg Mader
Das S-200-System ist schon etwas in die Jahre gekommen, soll aber dennoch für den Abschuss der A-50U verantwortlich sein.

Lange schon veraltet
Sollte es dennoch zutreffen, ist es bemerkenswert, dass es das 1967 in der Sowjetunion eingeführte und ab 1973 verbesserte beziehungsweise störresistenter gemachte System in seiner ursprünglichen Rolle in der Ukraine nach zwei Jahren russischem Angriff überhaupt noch operationell gibt. In dieser Rolle war es bis vor etwa 15 Jahren in der Ukraine im Einsatz, im Oktober 2001 wurde damit während einer Übung irrtümlich eine russische Tu-154 Passagiermaschine abgeschossen. Auch diese war damals mehr als 200 Kilometer von der Stellung entfernt.

Unstrittig ist, dass in der Ukraine immer noch einiges an Know-how zum Waffensystem vorhanden ist – manifestiert auch dadurch, dass die Ukraine das S-200-System – ähnlich wie die Russen ihre S-300 – für den Boden-Boden-Einsatz umfunktioniert hat. Ein weiterer Aspekt ist, dass das benachbarte und die Ukraine unterstützende Polen vor rund 20 Jahren das System zu S-200C aufgewertet hat – ein technologischer Wissenstransfer für eine Lebensdauerverlängerung sowie Leistungssteigerung der elf Meter langen und sieben Tonnen schweren Flugkörper ist nicht ausgeschlossen. Ebenso könnte es auch bei den monströsen Suchradars P-14 Lena (NATO: Tall King), später Oborona (Tall King C) mit mehr als 400 Kilometer Reichweite sowie beim Zielsuch- und Zielverfolgungsradar P-37 (NATO: Bar lock B) zu Verbesserungen gekommen sein.

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Eigene Inkompetenz? Oder feindlicher Erfolg?
Eher wenig wahrscheinlich sind die rund um den Abschuss kursierenden russischen Meldungen, wonach die Radare der russischen Luftabwehr in Taganrog die anfliegende S-200 natürlich erkannt hätten und man diese dann mit zwei eigenen Flugkörpern bekämpft habe. Einer hätte getroffen, beim zweiten hätte aber leider die Freund-Fein-Kennung versagt und dieser habe die eigene – übrigens kurz vor ihrem Ende noch heftig Täuschkörper „flarende” – A-50U getroffen. Dieses Phänomen war in den beiden vergangenen Kriegsjahren (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) bereits des Öfteren zu beobachten. Russischerseits wird für schwerwiegende Verluste lieber Inkompetenz in den eigenen Reihen verantwortlich gemacht, als dem Gegner den Erfolg zuzugestehen. Ähnliches gilt für die Behauptung, wonach die A-50U „von einem unbekannten Flugzeug mit AIM-120C aus einer Entfernung von 177 Kilometern abgeschossen” worden sei. Einen solchen Versuch hätten die „Auswerten” an Bord aber schon lange auf ihren Radars haben müssen. Dieses jahrelang ausgebildete Spezialpersonal (fünf Majore, drei Hauptmänner, ein Leutnant und ein Senior-Sergant) ist übrigens den ukrainischen Diensten sogar namentlich bekannt.

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An zwei Händen oder sogar nur mehr fünf Fingern abzuzählen…
Zwischen 1985 und 1993 wurden in den Tschkalow-Werken in Taschkent (heute Usbekistan) drei Prototypen und 24 AEW&C-Maschinen (von den Russen als SRDLO bezeichnet) auf Basis des Transporters Il-76 gebaut. Letztere erhielten die taktischen Nummern 30 bis 53. In den 20 Jahren danach wurden mehrere Aufwertungsprogramme wie A-50U, A-50M und A-100 angekündigt (siehe unterhalb), von denen allerdings ab dem jähr 2000 nur der heutige Stand A-50U tatsächlich realisiert wurde. 2005 wurde die erste Maschine fertig (taktische Nummer 37), diese fungierte aber bis zur Übergabe 2014 als Prototyp. Es folgten die Nummern 47 (2011), 33 (2013), 37 (2014), 41 (2017), 45 (2018), Bort 42 (2019) und Bort 43 (2022). Zum Zeitpunkt der Invasion der Ukraine waren diese sieben Maschinen – mit schwankender Einsatzbereitschaft – im Dienst, davon wurde – soweit eruierbar – Nummer 37 am 14. Jänner und Nummer 42 nun am 23. Februar abgeschossen. Zudem wurde Nummer 43 im Februar 2023 in Belarus durch eine ukrainische Drohne leicht beschädigt.

@Ukraine TV
Innenansicht: So sehen die Arbeitsplätze innerhalb einer A-50U aus.

2006 wurde die Vega Group mit einem weiteren Upgrade beauftragt, der A-100 mit dem Codenamen Premier. Dieses Projekt „konsumierte” eine der originalen A-50 (Nummer 52), der zum ersten Prototyp A-100 wurde, erkennbar an einem zusätzlichen Sensor über dem Cockpit. Zwei weitere Prototypen basierten auf den Il-76MD-90A 78651 und 78652 mit den neuen PS-90 Turbofan-Triebwerken. Das Projekt schlief dann allerdings wieder ein, bevor es 2013 als Premier-476 neu organisiert wurde. 2017 folgten Erstflüge und die Information, dass die neue Version 2020 in Dienst gehen soll. Zwar wurde diese bislang noch nie mit BKS-Markierungen gesehen, auf Flightradar24 tauchte im April 2021 aber eine Maschine mit dem Rufzeichen 78651 auf, die über dem Schwarzen Meer offenbar den Flug einer Northrop-Grumman RQ-4 Global Hawk Aufklärungsdrohne verfolgte.

@Berijew Büro
Bilder vom Erstflug der A-100 – bislang wurde noch keine Maschine mit Hoheitszeichen der russischen Luftwaffe gesehen.

Zur Art der Missionen ist anzumerken, dass die VKS selbst zu ihre besten Zeiten (also zu Beginn des Krieges) diese Force Multiplier nie so einsetzte wie die NATO sie einsetzen würde. Das heißt, sie hielt nie zwei, drei, vier oder fünf Flugzeuge rund um die Uhr „auf Station” in der Luft, um permanent über die Vorgänge im „Theater darunter” informiert zum sein. Stattdessen wurden die Maschinen vor allem zum Schutz oder zur Verdichtung der Aufklärung von Gebieten von besonderem Interesse eingesetzt. Anfangs beispielsweise zur Unterstützung großer – trotzdem gescheiterter – Helikoptereinsätze in der Region Kiew. Zuletzt dienten sie zur Stärkung und Verdichtung der Luftverteidigung auf der immer wieder von der Ukraine angegriffenen Halbinsel Krim oder zur Unterstützung spezifischer Großoperationen der taktischen Kampfflugzeuge Su-34, wie etwa zur Unterstützung von Luftangriffen im Gebiet Avdiivka. Und in der Tat haben nach dem abrupten Aufhören der Führung durch die A-50U fünf russische Suchois eilig den gegenständlichen Luftraum verlassen.

Quelle@Archiv, Georg Mader, Berijew Büro, Telenko, Ukraine TV