Nach den Rolltests Mitte März hat der staatliche türkische Flugzeughersteller Turkish Aerospace Industries (TUSAS beziehungsweise TAI) vor seinem Hauptquartier in Ankara nun seinen neuen Tarnkappenjäger der fünften Generation auch öffentlich vorgestellt. Während das Flugzeug dabei den Boden nicht verließ, rollte es bei der Show für die versammelte Menge ein Hallenvorfeld hinunter.
„Das ist Kaan, lass sein Schwert scharf sein”, twitterte TAI dazu am 1. Mai den neuen Namen. Kaan ist türkisch für Khan, das Äquivalent von Großkhan oder „König der Könige”. Der Erstflug des Modells könnte laut TAI-Vorstandsvorsitzendem Temel Kotil noch vor Jahresende erfolgen.
Die Entwicklung ist ein weiterer wichtiger Baustein im Bestreben der Türkei, seine Produktion hochwertiger Verteidigungsartikel auszuweiten. Das war eines der politischen Langzeit-Ziele von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sich mit seiner AKP-Partei am 14. Mai einer für das Land vielleicht entscheidenden Wiederwahl stellt.
İstikbal, gök vatan, millî muharip uçağımız KAAN! ???????? #İstikbalinYüzyılı pic.twitter.com/EuZEroqByS
— Recep Tayyip Erdoğan (@RTErdogan) May 1, 2023
„Heute stehen wir mit einer neuen Phase unserer Projekte vor unserer Nation. Nach und nach verwirklichen wir die Träume, die unsere Nation seit Jahrhunderten hat und die wir seit der Gründung unserer Republik verfolgen”, sagte Erdogan bei der Enthüllungszeremonie. Er twitterte dazu ein Foto von sich, auf dem er im Cockpit des neuen Jets sitzt.
Ersatz für verweigerten F-35
Kaan sollte ursprünglich eine Luftüberlegenheitsplattform sein, nach dem Vorbild des Lockheed F-22 Raptor. Er sollte mit den 100 Lockheed F-35-Kampfflugzeugen der fünften Generation gepaart werden, die Ankara beschaffen wollte und an denen die Türkei von Beginn an mitbaute – zum Beispiel wurde das große Cockpit-Display im Land gefertigt. Dieser geplante Flottenmix änderte sich jedoch, als die USA die Türkei 2019 aus dem multinationalen F-35 Entwicklungsprogramm ausschlossen, nachdem Ankara trotz mehrfacher Warnungen der USA auf die Beschaffung des russischen S-400-Luftverteidigungssystems bestanden hatte. Nun will die Luftwaffe (THK) Kaan zum Rückgrat beziehungsweise zur Speerspitze seiner künftigen Kampfjetflotte machen.
Bemerkenswert ist sicherlich, dass das zweistrahlige Flugzeug fast vollständig im Inland entwickelt und produziert wurde, behauptet wird ein etwa 80-prozentiger nationaler Anteil. Die Prototypen werden von zwei General-Electric F110-Triebwerken angetrieben, die in der Türkei in Lizenz für die F-16 Flotte des NATO-Landes (243 Stück F-16C/D) montiert wurden. Für die Triebwerke der Serienmaschinen hat die türkische Rüstungsbeschaffungsbehörde vergangenen Juni eine Einladung zur Anbotslegung an – wie es heißt – „sämtliche namhafte Hersteller” gerichtet und Partnerschaften mit der nationalen Industrie angeregt.
Mehrere parallele Projekte von TAI …
Die nunmehrige Enthüllung des Kaan erfolgte nur wenige Wochen nachdem TAI auch das neue unbemanntes Kampfflugzeug (UCAV) Anka-3 vorgestellt hat. Und in derselben Woche testete das Unternehmen zwei weitere Entwicklungsprojekte im Erstflug: den Kampfhubschrauber T929 Atak II (am 28. April) und den Überschall-Jettrainer Hurjet (25. April). Die Türkei ist außerdem dabei, die Kapazitäten seiner Marineluftwaffe dramatisch zu erweitern, denn weniger als einen Monat vor der Enthüllung des Kaan nahm Ankara am 10. April seinen ersten Semi-Flugzeugträger in Betrieb, den TCG Anadolu. Ursprünglich für die Kurzstart- und Senkrechtlandevariante F-35B gedacht, wird das Schiff stattdessen einen „Airwing” aus türkischen UCAVs und konventionellen Hubschraubern erhalten.
… und der heimischen „Familien-Konkurrenz”
Jenes Bordgeschwader wird auch eine Reihe von Geräten des TAI-Konkurrenten Baykar-Industries umfassen, darunter das aus der Ukraine und Karabach bekannte UCAV Bayraktar TB-2, sowie das noch in der Entwicklung befindliche aber bereits geflogene unbemannte Kampfflugzeug Kizilelma. Jenes steht im Wettbewerb um eine Serienfertigung mit TAIs erwähnter Anka-3, die in den nächsten Wochen erstmals fliegen soll.
Wobei zur Konkurrenzlage zu bemerken ist, dass der Chef von Baykar, Selçuk Bayraktar, Präsident Erdogans Schwiegersohn ist. Er wird als eine Art „türkischer Elon Musk” bezeichnet und von ihm – ein Doktorand an der University of Pennsylvania – ist die Aussage „Wir haben eine moralische Verpflichtung, der Ukraine zu helfen” dokumentiert. Es wird sogar spekuliert, dass Bayraktar eines Tages seinem Schwiegervater an der Staatsspitze nachfolgen könnte. Ein anderer Schwiegersohn des Präsidenten ist übrigens Berat Albayrak, er fungiert als Finanzminister und hat Anfang 2020 Mittel im Gegenwert von rund 100 Millionen Euro für Baykar freigegeben um deren Drohnen-Forschung voranzutreiben. Beide Muster repräsentieren jedenfalls das, was die USAF als „Collaborative Combat Aircraft” (CCA) bezeichnet – unbemannte schwer erkennbare Plattformen, die kombiniert mit traditionell pilotierten Kampfflugzeugen diese ergänzen sollen.
Wahlkampfmunition
Die zeitlich näher rückenden Wahlen hat der – gesundheitlich zuletzt angeschlagene – Langzeit-Präsident (und „Drohnen-Schwiegervater”) dann am „Tag der Arbeit” noch für einen prophetischen Aufruf genutzt: „Die Zukunft liegt am Himmel, weil die Nationen die ihren Himmel nicht schützen können, sich des Morgens nie sicher sein können. Wir sind am Rande einer neuen Ära, nachdem das Land zuvor der industriellen Macht beraubt wurde. Heute haben wir Flugzeuge, Drohnen und Hubschrauber, die ihre Triebwerke starten und ihren Erstflug machen. Wir dürfen keine Arbeit, die wir begonnen haben, unvollendet lassen.”