Nun also doch: In einer gemeinsamen Ankündigung gaben die iranischen Revolutionsgarden, der iranische Verteidigungsminister Brigadegeneral Mohammad Reza Gharaei Ashtiani und sein Stellvertreter Mehdi Farahi kürzlich eine neue Vereinbarung zwischen dem Iran und Russland über die Beschaffung von Mehrzweckkampfflugzeugen vom Typ Su-35SE Flanker-E für die Luftwaffe der Islamischen Republik Iran (IRIAF) bekannt.

@INRA
Der iranische Verteidigungsminister Brigadegeneral Mohammad Reza Gharaei Ashtiani.

Welche Zellen sind gemeint?
Militär Aktuell hat sich in Folge bemüht, Details über den Deal in Erfahrung zu bringen, und vor allem um welche Su-35SE (Exportversion der in der russischen VKS in Syrien und – mit sieben Luftsiegen – im Ukraine-Krieg eingesetzten neuesten Flanker-Version) es dabei konkret geht. Vor einem Jahr noch hieß es, dass der Iran für Ägypten produzierte und dann wegen US-Sanktionsdrohungen nicht abgenommene Su-35 erhalten würde. Dazu kam dann im vergangenen Juli allerdings ein Dementi von Verteidigungsminister Ashtiani. Er sagte, man hätte zwar eine derartige Vereinbarung geschlossen, wäre anschließend aber zu dem Schluss gekommen, die Fähigkeit zu haben, um im Land eigene Kampfflugzeuge zu produzieren. Das gilt zwar für diverse Ableger beziehungsweise Abwandlungen der alten amerikanischen F-5 aus Schah-Zeiten wie Azarakhsh, Saeqeh und Kowsar. Dass sich damit aber eine schlagkräftige Kampfjetflotte aufbauen und auch die mittlerweile in die Jahre gekommenen F-14A der IRIAF ersetzen lassen, darf bezweifelt werden.

Eine plausiblere Erklärung für den plötzlichen Meinungsumschwung in Teheran kommt vom iranisch-stämmigen Militärexperten Babak Taghvaee: Er vermutet dahinter die Weigerung oder Unfähigkeit Russlands, Technologien für die Produktion von Su-35-Ersatzteilen im Iran weiterzugeben, beziehungsweise wegen der fast vollständig für den Ukraine-Krieg benötigten Ressourcen keinen ordentlichen Support für die Wartung der hochkomplexen Technik in den kommenden 30 Jahre bereitstellen zu können. Er habe aus seinen Quellen (Taghvaee lebt nicht zuletzt aufgrund seiner Berichte inzwischen in Zypern) die Information erhalten, dass die Russen nur 25 der zuvor für Ägypten bestellten Su-35E ohne Wartungsvereinbarung, Waffen, Ersatzteilversorgung und Simulatoren verkaufen hätten wollen. Ein Argument gegen den Kauf der Kampfjets sei für Teheran zudem auch gewesen, dass die Regierung in Moskau den Armeniern während des Karabach-Krieges von 2020 nicht erlaubte, die von Russland gekauften Su-30SM gegen Aserbaidschan einzusetzen und der Iran daher im Falle eines möglichen Kampfeinsatzes eine ähnliche Weigerung befürchten musste. Eine Bestätigung für diese Vermutung kam damals auch vom Air Chief der IRIAF (es gibt daneben übrigens auch noch die Luftwaffe der Revolutionsgarden, IRGC-AF), Brigadegeneral Hamid Vahedi. Er sagte, dass sich der Generalstab aus diesem Grund gegen die Beschaffung von Su-35SE-Mehrzweckkampfflugzeugen aus Russland ausgesprochen habe.

@Georg Mader
Russland hat die Su-35 seit Jahren im Einsatz, aktuell dürften sich rund 100 Maschinen des Typs im Bestand der russischen Luftwaffe befinden.

Laut dem in Wien akkreditierten iranischen Militärattaché dürfte sich die Meinung in der Zwischenzeit aber wieder geändert haben. Oberst Javad Samavati bestätigte, dass die im Nachgang des Besuchs von Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu im vergangenen September in Teheran getroffene Einigung dezidiert für neu gebaute Su-35SE gelte. Teheran habe die Übernahme der schon vor fast zwei Jahren für Ägypten gebauten und seitdem beim KnAAZ-Werk im Freien stehenden Flugzeuge nicht haben wollen, noch dazu ohne gesicherter Ersatzteilversorgung und Garantien. Wieso Moskau nun offensichtlich einen Schritt auf den Iran zumachte? Weil Teheran mit seinen Kurzstreckenraketen Fateh-100 und Zolfaghar sowie Jet-getriebenen Shahed-Drohnen (-> die Drohnen sind im Ukraine-Krieg bereits im Einsatz) nun einige interessante und von Russland im Ukraine-Krieg dringend benötigte Produkte für Gegengeschäfte in die Verhandlungen einbrachte.

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Allerdings: In iranischen Medien hieß es zuletzt euphorisch, erste Lieferungen von Su-35SE könnten bereits im März im Land eintreffen, was wiederum kaum auf neu gebaute Maschinen schließen lässt. Ob die ersten Maschinen daher möglicherweise aus aktiven russischen Beständen kommen – die VKS hat nach einigen Verlusten über der Ukraine noch rund 100 Maschinen im Bestand – bleibt vorerst Gegenstand von Spekulationen. Russischerseits gibt es dazu keine Angaben, iranische Piloten sollen aber schon im Dezember 2022 in Russland in Su-35 geflogen sein.

Kürzlich kam es übrigens bereits zu einem interessanten Einsatz russische Su-35 im Iran: Anlässlich des Besuchs von Wladimir Putin in Abu Dhabi eskortierten vier voll bewaffnete Su-35S die präsidentielle Il-96-300 auch durch das iranische Hoheitsgebiet. Begleitet wurden sie dabei von einer F-14A, die von der IRIAF nach dem Überfliegen der Landesgrenze als „aviatische Willkommensbegleitung” losgeschickt worden war. Vom Boden aus aufgenommene Videos zeigen die seltene Gruppierung, angeführt von der Präsidentenmaschine (RA-96024), mit der iranischen Tomcat in gebührendem Abstand auf der Steuerbordseite.

@Kish-Expo
Aktuell bilden alte F-14A aus amerikanischer Produktion das Rückgrat der iranischen Luftstreitkräfte.

Su-35 ist kein „Gamechanger”
Laut westlichen Beurteilungen wären insgesamt 24 Su-35 in Diensten der Mullahs übrigens kein übertrieben großer Grund zur Sorge und keine wirkliche Abschreckung im Falle eventuell geplanter Luftangriffe. Es handele sich dabei zwar um fortschrittliche Kampfflugzeuge, die aber mit Blick auf die Sensorik und die Einsatzmöglichkeiten modernen westlichen Kampfjets der 4. und 5. Generation wie F-22 und F-35 trotzdem unterlegen sind. Zudem sei die Zahl der Maschinen begrenzt, auch würde sich die Logistik zum Betrieb als schwierig gestalten. Möglich, dass der Iran die Su-35 mit ihrem weitreichenden Radar im Fall der Fälle als eine Art Frühwarnflugzeug im Hinterland zum Einsatz bringen könnte, ähnlich wie das von Teheran mit dem AWG-9-Radar ihrer F-14A bereits während des Iran-Irak-Krieges gemacht worden war. Allerdings „leuchtet” das Irbis-E-Radar der Su-35 – kein aktives, elektronisch gescanntes Array-Radar wie es typischerweise bei neueren amerikanischen und israelischen Jets zu finden ist – weithin auf, wenn es mit voller Leistung eingesetzt wird, was die Maschinen schnell zu einem potenziellen Ziel machen würde. Zudem ist nicht klar, ob es die iranischen Maschinen im Anlassfall überhaupt in die Luft schaffen: Die USA, Israel oder Saudi-Arabien würden bei einem Angriff wohl versuchen, die Su-35 bereits am Boden zu zerstören und obwohl es im Land mehrere tief verbunkerte Luftbasen gibt, dürfte es für den Iran schwierig werden, die Maschinen vor derartigen Angriffen zu schützen.

„Es wird in Zukunft stürmisch werden“

Noch bessere und damit auch noch teurere Maschinen zu kaufen kam für das wirtschaftliche klamme Land nicht in Frage. Teheran investiert das wenige zur Verfügung stehende Geld alternativ lieber in militärische Fähigkeiten mit einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis wie etwa bodengestützter Luftverteidigung, Drohnen und – ohnehin die Haupt(droh)waffe der Revolutionsgarden – ballistischen Raketen mit Reichweiten von bis zu 2.000 Kilometer.

@Archiv
Iran hat kürzlich die ersten zwei von insgesamt 24 bestellten Jak-130-Trainer erhalten.

Mehr als „nur” Kampfjets
Ein erstes Anzeichen, dass es mit den Su-35 wieder konkret(er) werden dürfte, war im vergangenen September die Übergabe der ersten zwei von voraussichtlich insgesamt 24 bestellten – und für den Einstieg in ein derart neues System unbedingt benötigten – modernen Jak-130 Jet-Trainern (NATO-Code Mitten) auf Irans 8. taktischem Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Isfahan. Bereits zuvor war die Ausbildung der ersten sechs iranischen Lehrpiloten in Russland abgeschlossen worden. Es handelt sich bei den Jak-130 um die ersten neu gebauten Militärflugzeuge, die der Iran seit mehr als zwei Jahrzehnten aus dem Ausland erhalten hat. Die Jak-130 werden zwar als Trainer geführt, können aber auch Luft-Luft-Flugkörper R-73 und Waffen gegen Bodenziele einsetzen. Myanmar zum Beispiel hat Jak-130 für solche Operationen verwendet und Rebellen damit angegriffen. Weitere Kunden sind Algerien, Weißrussland, Bangladesch, Laos, Syrien und Vietnam.

Zusätzlich zu den Su-35SE erhält der Iran von Russland übrigens auch 18 schwere Mi-28NME-Angriffshubschrauber (NATO-Code Havoc). Der Typ mit dem Beinamen Night Hunter wurde bereits von Uganda, Algerien und dem Irak beschafft. Zudem werden Mi-28 in der NM-Variante seit 2020 auch von Russland verwendet und sind ebenfalls in der Ukraine im Einsatz. Dort zeigen sie sich aber bislang keineswegs unverwundbar gegen Manpads und SAM-Flugabwehrraketen. In Mi-28NM wurden kürzlich Panzerabwehrraketen 9M123VM Krizantema-VM mit einer deklarierten Reichweite von zehn Kilometer integriert, es ist aber ungewiss, ob der Iran diese auch erhalten wird. Dort sind die Maschinen für die IRGC-Luftwaffe der Revolutionsgarden bestimmt, die diese vor allem gegen schlecht bewaffnete Rebellen und Separatisten einsetzen oder Proxy-Truppen im Rahmen der Quds beistellen dürfte.

@Georg Mader
Der Iran erhält auch neue Mi-28-Kampfhubschrauber – der Typ ist aktuell bereits in Russland, in Uganda, Algerien und im Irak eingeführt.

Prestigeerfolg für Moskau
Aus russischer Sicht stellen derartige Abkommen einen unbestreitbaren Erfolg dar, zeigt man damit doch nach außen, wie wenig isoliert das Land ist. Ein monetärer Erfolg wird damit aber wohl nicht verbunden sein, denn wie schon bei vergangenen derartigen Geschäften (beispielsweise Suchois gegen Palmöl in Indonesien oder Malaysia) ist es eher unwahrscheinlich, dass der Iran Russland in bar bezahlen wird, zumindest nicht vollständig. Laut vorläufig noch unbestätigten Berichten handelt es sich beim aktuellen Geschäft vielmehr um einen Tausch (Barter) von Su-35 gegen iranische Shaheed-131 und Shaheed-136-Loitering-Kamikaze-Drohnen, konkret ein Flugzeug für 10.000 Stück. Russland braucht die Kleinsysteme in der Ukraine, die Kosten für die auch mit westlichen Komponenten gebauten Shaheed-Drohnen dürften bei knapp 50.000 Euro pro Stück liegen. Demnach würde Russland eine Su-35 nun für einen Gegenwert von knapp 50 Millionen Euro abgeben, was auch dem kolportierten Preis für den bislang einzigen Exportkunden China entspräche. Und für die Jak-130 und Mi-28 könnte der Iran möglicherweise mit Raketentechnologien „bezahlen”.

@Georg Mader
Stückkosten von rund 50 Millionen Euro: Iran dürfte den Kauf der Su-35-Jets mit Shahed-Drohnen „gegenrechnen”.

In jedem Fall stellt die Transaktion für den Kreml einen Propagandaerfolg dar. Russland kämpft seit Februar 2022 – was wohl teils auch die Sanktionsländer sektoral schädigt – mit internationalen Wirtschafts- und Technologiesanktionen. Es läuft zwar im Gegensatz zu Europa auf Kriegsproduktion, mit Blick auf die eher überaschaubaren Erfolge in der Ukraine sind aber zuletzt vor allem die Waffenexporte deutlich zurückgegangen. Von wirklichen Großaufträgen ist seit Kriegsbeginn nicht mehr zu hören.

Für Teheran würde der Wert dieser Beschaffungen noch größer werden, wenn es gelingt, ein effektives Trainingssystem zu etablieren und möglicherweise sogar weitere Flugzeuge und Hubschrauber aus Russland zu beschaffen. Eine entscheidende Frage dürfte zudem sein, ob mit den modernen Geräten auch Technologie für deren Betrieb mitbeschafft werden kann und ob es gelingt, einheimische Fähigkeiten für die Überholung der Maschinen und für die Produktion von Ersatzteilen aufzubauen. Dabei hat der Iran in den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls beachtliche Fortschritte gemacht, wie auch die mehrmaligen Generalüberholungen der legendäre F-14A Tomcat in Esfahan (siehe auch Video unten) oder derBau diverser F-5-Ableger belegen. Aber irgendwann ist die Zellenlebensdauer der Maschinen dann trotzdem abgelaufen.

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Was Teheran bei seinen Waffengeschäften aktuell hilft, sind die bereits am 18. Oktober 2020 ausgelaufenen, vor zehn Jahren wegen des Atomprogramms verhängten UN-Embargo-Sanktionen gegen das Land. Der Iran vermeldete damals noch am selben Tag via Außenministerium, dass man „nun wieder Waffen und Ausrüstung ohne rechtliche Einschränkungen und auf der Grundlage seiner Verteidigungsbedürfnisse beziehen werde”. Und Russland hatte bereits einen Monat davor angekündigt, nach dem Auslaufen des Embargos seine militärische Kooperation mit Teheran ausbauen zu wollen. Aber erst jetzt scheint es – wohl auch kriegsbedingt – tatsächlich soweit zu sein.

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Quelle@Georg Mader, INRA, Archiv, Kish-Expo