Wladimir Putin strebt eine russische Renaissance in Afrika an. Rund 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion will Moskau sich dem Kontinent wieder politisch, ökonomisch und militärisch annähern. Eine Analyse von IFK-Experte Gerald Hainzl.
Ende Oktober ging es in Sotschi beim ersten Russland-Afrika-Gipfel um viele Milliarden Euro. 40 Staats- und Regierungschefs und rund 10.000 Teilnehmer aus 54 Staaten waren in die südrussische Olympiastadt gekommen, um dort über die Lieferung von Maschinen und Nutzfahrzeugen zu sprechen. Es wurden Investitionen in Chemie und Weltraumtechnik
diskutiert und mögliche Tourismus-Abkommen ausgelotet. Auf der Agenda standen aber auch der Bau gemeinsamer Industriezonen und nicht zuletzt engere militärische Beziehungen zwischen Russland und afrikanischen Staaten. Was Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Megakonferenz bezwecken wollte, war klar: Engere politische, wirtschaftliche, humanitäre und kulturelle Kooperationen zwischen seinem Land und afrikanischen Staaten. Sein ambitioniertes Ziel: den wirtschaftlichen Austausch innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln. Das große internationale mediale Interesse an der Konferenz und die dazugehörigen Analysen suggerierten eine „Rückkehr” Russlands als internationaler Akteur auf dem Kontinent. Aber war Russland nach den engen Verflechtungen zu Zeiten des Kalten Krieges überhaupt jemals weg? Und was genau ist mit Afrika gemeint? Der ganze Kontinent? Die größten Teile davon? Oder nur einzelne der mehr als 50 verschiedenen Staaten und Regionalorganisationen?
Beginnen wir unsere Erklärung im Jahr 2014, wo die russische „Wiederentdeckung” Afrikas ihren Ursprung hat: Angetrieben von den westlichen Sanktionen nach der Annexion der Krim begann Moskau weltweit verstärkt nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten und geopolitischen Freundschaften zu fahnden. Die Suche nach neuen Absatzmärkten für russische Güter (nicht nur militärische) und der gleichzeitige Bedarf an Rohstoffen musste fast zwangsläufig nach Afrika führen. Dort unterhielt Russland zu Zeiten des Kalten Krieges mit vielen Ländern bereits sehr intensive Beziehungen. Zudem bietet das Engagement Moskaus aus Sicht afrikanischer Länder die Möglichkeit, bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren und mit mehr Selbstbewusstsein gegenüber anderen geopolitischen Playern wie China und den USA aufzutreten.
In einem ersten Schritt zur Intensivierung und Wiederbelebung der russisch-afrikanischen Beziehungen empfing Wladimir Putin seit 2015 zwölf afrikanische Regierungschefs zu Gesprächen in Russland. In Sotschi ging es nun darum, in möglichst vielen „Memoranda of Understanding” (MoU) sowie anderen Abkommen Kooperationen in unterschiedlichsten Bereichen – von der landwirtschaftlichen Entwicklung bis zur militärischen Zusammenarbeit – zu Papier zu bringen und damit die Voraussetzung für kleinere Projekte bis hin zum Bau von Atomkraftwerken zu schaffen. Allerdings: Die meisten dieser MoU sind rechtlich nicht bindend und stellen damit nur eine Vorstufe zu einer möglichen Zusammenarbeit dar. Das sorgte durchaus für Kritik in Afrika, wo die Angst bei vielen Staatschefs groß ist, dass MoU nicht mit Leben gefüllt werden und lediglich Absichtserklärungen bleiben könnten. Dazu kommt: Verglichen mit Chinas jährlichem Handelsvolumen mit Afrika von derzeit rund 184 Milliarden Euro nehmen sich die russischen Ambitionen mit etwas mehr als 16 Milliarden Euro noch recht bescheiden aus.
Trotzdem: Im Erdölsektor konnte die Firma Lukoil mit Nigeria und Äquatorialguinea neue Partner gewinnen. Zudem könnte aus europäischer Perspektive das verstärkte russische Engagement im Erdöl- und Erdgasbereich in Nordafrika eine Herausforderung darstellen, da Europa damit bei Gas- und Öllieferungen noch mehr vom russischen Wohlwollen abhängig werden könnte. Sollten sich in Europa angesichts des fortschreitenden Klimawandels allerdings mittel- bis langfristig verstärkt alternative Energiekonzepte durchsetzen, so wie sich das abzuzeichnen scheint, hätte Russland seine Investitionen buchstäblich in den Sand gesetzt.
Ungeachtet dessen sieht auch die russische Atomindustrie in Afrika einen Hoffnungsmarkt für ihre Produkte und eine Möglichkeit, die eigenen Aktivitäten weiter zu diversifizieren. Rosatom verspricht sich dort gute Absatzchancen für seine Atomreaktoren und arbeitet bereits mit beinahe 20 Staaten zusammen. Mit Ruanda und Äthiopien wurden in Sotschi weitere Verträge unterzeichnet. Während für die meisten Staaten die Kosten nach wie vor der größte Hinderungsgrund für eine tatsächliche Umsetzung sind, wird das größte Atomkraftwerk Afrikas mit einer Kapazität von 4,8 Gigawatt in El-Dabaa in Ägypten entstehen. Rosatom versucht zudem mit zwischenstaatlichen Krediten und Betreibermodellen (Build-Own-Operate) das Kostenargument zu entkräften und afrikanische Regierungen vom Bau neuer Reaktoren zu überzeugen. Darüber hinaus verfolgt das Unternehmen auch Interessen im Uranbergbau – mit Tansania und Namibia laufen bereits entsprechende Projekte.
Im Militärbereich konnte Russland rund um die Konferenz in Sotschi mit Nigeria einen neuen Abnehmer für Rüstungsgüter finden. In einer ersten Tranche sollen zwölf Kampfhubschrauber an das westafrikanische Land geliefert werden. Auch andere Staaten – unter anderem Namibia, Madagaskar und Uganda – sind an russischen Panzern, Flugzeugen, Hubschraubern und Gewehren interessiert. Zudem könnten russische Militärberater in diese Länder entsendet werden. Laut Dmitry Schugajew, Direktor für militärisch-technische Kooperation, laufen darüber hinaus mit Südafrika vielversprechende Gespräche über eine enge Zusammenarbeit im militärindustriellen Bereich. Dabei dürfte es um die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Waffen und militärischer Ausrüstung für die Streitkräfte beider Staaten sowie für interessierte Drittstaaten gehen.
Insgesamt hat Moskau mit etwa 20 Staaten Verträge über militärische Kooperationen abgeschlossen. Laut Military Africa macht das rund zwölf Milliarden Euro schwere Afrika-Geschäft schon jetzt 30 bis 40 Prozent der gesamten russischen Exporte im Militärbereich aus. Das klingt viel und ist es auch, allerdings sind die russischen Exporte in die Region laut dem schwedischen Forschungsinstitut SIPRI in der Periode von 2014 bis 2018 gegenüber der Vorperiode trotzdem um 17 Prozent gefallen. Der Abstand zu den Marktführern USA und China wurde damit sogar größer. Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Kontinuität der militärischen Zusammenarbeit seit dem Ende der UdSSR: Viele Rüstungsgüter, die in dieser Zeit beschafft worden waren, können nur von Russland oder der Ukraine gewartet werden. Aufgrund seiner geografischen Lage als möglicher Ausgangspunkt für weitere Engagements in Afrika ist vor allem die Zentralafrikanische Republik für Russland von großem strategischem Interesse. Das Land engagiert sich daher mit sieben Stabsoffizieren und zwei Experten bei der UN-Friedensmission MINUSCA und unterhält darüber hinaus auch eine „eigene“ militärische Präsenz. Zudem liefert Russland Waffen in das Land und übernimmt auch deren Wartung, die Zusammenarbeit ist langfristig angelegt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Russland in Afrika zwar nicht die wirtschaftlichen Muskeln westlicher Staaten oder China spielen lassen kann, aber durchaus über Möglichkeiten verfügt, um besonders in autoritären Staaten an Einfluss zu gewinnen. Ein Beispiel dafür ist Guinea, wo eine stillschweigenden Zustimmung Russlands zum gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten angenommen werden kann. Gleichzeitig werden immer wieder Gerüchte laut, dass sich Russland aktiv in Wahlkämpfe in afrikanischen Staaten einmischen und die öffentliche Meinung manipulieren könnte. Mit der sogenannten „Gruppe Wagner”, die als private Militärfirma in diversen Konflikten aktiv sein und über ausgezeichnete Kontakte zu vielen afrikanischen Spitzenpolitikern verfügen soll hat Moskau zudem einen nicht zu unterschätzenden Fuß in der Tür vieler afrikanischer Staatschefs, um im Konzert mit anderen externen Akteuren sowohl wirtschaftlich als auch politisch in Zukunft besser mitspielen zu können.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Russland in Afrika? Eine geostrategische Notwendigkeit!” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.