Schiitische Milizen sammelten in den vergangenen Jahren im syrischen Bürgerkrieg Kampferfahrung. Nun drohen sich diese zu allem entschlossenen, gut ausgerüsteten und von Iran unterstützten Kämpfer als Super-Hisbollah gegen Israel zu wenden. Eine Analyse von Walter Posch.

Die Präsenz iranischer Kräfte in Syrien, dem einzigen arabischen Verbündeten Irans, ist nichts Neues und geht bis in die frühen 1980er-Jahre zurück. Damals baute Teheran mit libanesischen Sympathisanten und unter syrischer Duldung die libanesische Hisbollah auf. Gemeinsam mit Teheran und Damaskus bildete sie eine Allianz, zu der manchmal auch die palästinensische Hamas zu zählen war und die für Jahrzehnte das Kern- element der iranischen Machtprojektion in Richtung Levante und gegen Israel blieb. Die iranische Propaganda nannte diese Konstellation die „Widerstandsachse“, saudische und nach ihnen westliche Autoren nannten sie spätestens ab 2006 den „schiitischen Halbmond“.

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Steter Machtgewinn: Der Iran gewinnt in Syrien immer mehr Einfluss. Die von Teheran unterstützten Hisbollah-Kämpfer gelten als kampferfahren, risikobereit und überaus loyal.

Ein Engagement Teherans und der Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg zugunsten des geschwächten Assad- Regimes, war daher allen Zweiflern zum Trotz folgerichtig. Zunächst bestand diese Unterstützung aus der Ausweitung der bilateralen Militärhilfe und nachrichtendienstlichen Kooperation, Wirtschaftshilfe und dem Einsatz freiwilliger Kräfte, in der Regel Veteranen der Revolutionsgarde. Damit wurden erstmals andere Kräfte als Elemente der für Auslandsoperationen vorgesehenen „Qods“ Streitmacht (niru-ye Qods) eingesetzt, konkret: die Freiwilligenbataillone „Saberin“ von der Revolutionsgarde und „Fatehin“ von den Basij, beide Einheiten werden im Ernstfall von Teheran zur Aufstandsbekämpfung im eigenen Land eingesetzt. Ab 2016 kamen auch reguläre Armeeinheiten von der 65. Luftlandebrigade zum Einsatz. Letztere spielen offensichtlich eine ähnliche Rolle wie die Qods: als Ausbildner und militärische Koordinatoren.

Die „Fatehin“- und „Saberin“-Einheiten waren ursprünglich für die militärische Sicherung des Bezirks um den schiitischen Moscheenkomplex der Zaynabiyya in Damaskus verantwortlich. Dort bauten die Iraner gemeinsam mit der libanesischen Hisbollah und irakischen Gruppen eine „schiitische Internationale“ bestehend aus den Freiwilligenbrigaden „Abu l-Fadhl al-Abbas“ für die Araber, „Fatemiyun“ für die Afghanen und „Zeynabiyun“ für die Pakistaner auf. Diese freiwilligen schiitischen Kämpfer aus dem Irak und anderen Staaten stellten jene Bodentruppen, die das syrische Regime so dringend benötigt. Dass schiitische Milizen im Irak für deren Grundausbildung und Sicherheitsüberprüfung sorgen, Teheran und die Hisbollah die weitere Ausbildung durchführen und die Kämpfer schließlich nach Syrien schleusen, wo sie von den Iranern versorgt, von Qods koordiniert und in Abstimmung mit den Syrern ins Gefecht geführt werden, stellt eine unverzichtbare Entlastung der syrischen Ressourcen dar.

Das Problem liegt nun darin, dass diese Kämpfer den Zaynabiyya-Komplex als Herzstück eines internationalen schiitischen Kampfes gegen den IS und in weiterer Folge gegen Israel verstehen. Dahingehend sind die Aussagen irakischer Milizenführer wie Akram Ka’bi von der al-Nujaba-Miliz oder Qais al-Khaz’ali von den Asa’ib Ahl al-Haqq zu deuten. Die beiden vertreten die jüngere Generation radikaler irakischer Schiitenführer und versuchen, die in Syrien im Rahmen der Abu l-Fadhl verbleibenden Milizen gegen Israel neu auszurichten. Damit verhindern sie, dass das syrische Regime eine eigene Israelpolitik autonom bestimmen kann, sondern im Rahmen des Konzepts der „Widerstandsachse“ bleibt.

Saberin-Bataillon: Die Kämpfer der iranischen Freiwilligen-Einheit spielen seit einiger Zeit im syrischen Bürgerkrieg eine entscheidende Rolle.
Saberin-Bataillon: Die Kämpfer der iranischen Freiwilligen-Einheit spielen seit einiger Zeit im syrischen Bürgerkrieg eine entscheidende Rolle.

Dem Konzept der Widerstandsachse wohnt auch eine innenpolitische Dimension im Iran inne. So ist der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Ayatollah Reisolsadati, genannt Reisi, nicht nur der Wortführer des Widerstands gegen Präsident Ruhani und dessen moderaten politischen Kurs, er ist auch ein wichtiger politischer Sponsor von Khaz’ali und Ka’bi. Darüber hinaus engagiert er sich mit Mitteln der reichen Astane-Qods-e Razavi-Stiftung für afghanische Syrien-Veteranen in Mashhad, die er durch großzügige soziale Maßnahmen an sich bindet. Das legt den Verdacht nahe, dass er plant, aus ihnen eine Privatmiliz zu bilden. Der Druck der iranischen Regierung auf die als korrupt verschrieenen Stiftungen drängte Reisi und seine Gefährten in die politische Defensive, aus der sie durch innen- und außenpolitische Eskalation entkommen wollen. Innenpolitisch, indem sie auf sozialen Populismus setzen und außenpolitisch durch ihr Engagement in Syrien.

Dahinter verbirgt sich ein ideologisch strategischer Richtungsstreit: wird Iran nach dem Willen Ruhanis als Nationalstaat agieren, der seine Ressourcen für die eigene wirtschaftliche Entwicklung verwendet, oder setzt sich die Richtung Reisis durch, der wie seine irakischen Freunde von einer permanenten schiitischen Weltrevolution träumt, die letztendlich in einer Konfrontation mit Israel münden muss?

Die Israelis beobachteten die militärischen Aktivitäten der schiitischen Milizen in Syrien zwar genau, nahmen diese aber zunächst nicht als direkte Bedrohung wahr. Das änderte sich erst, als sich diese Truppen im Gefecht bewährten. Rechnet man die Zahl der Truppen und Waffensysteme zusammen und fügt dem noch die Faktoren Kampferfahrung und ideologische Entschlossenheit hinzu, dann steht Israel eine wahre Super-Hisbollah an seiner Ostgrenze gegenüber, die zudem von politisch unerfahrenen, aber risikobereiten Kommandanten befehligt wird. Etablierte Deeskalationsmechanismen, wie sie mit der libanesischen Hisbollah existieren, fehlen hier zur Gänze. Noch sind Iraner, Israelis und libanesische Hisbollah in der Lage, die angespannte Situation zu kontrollieren. Wie lange das noch gelingt, hängt nicht nur davon ab, ob alle Seiten einen kühlen Kopf bewahren, sondern vor allem davon, ob die Iraner alle von ihnen abhängigen Gruppen kontrollieren können.

 

Experten-Kommentar von Brigadier Walter Feichtinger: Iran – neues Zentrum an der Peripherie

Brigadier Walter Feichtinger ist seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie.
Brigadier Walter Feichtinger ist seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie.

Angesichts der aktuellsten Entwicklungen in Syrien verstärkt sich der Eindruck, dass der Iran zu einem zentralen Akteur geworden ist. Im Vordergrund gibt zwar Russland den Ton an, doch vor Ort prägt der Iran das Geschehen. Während Moskau nach einer Ausstiegsstrategie sucht – der unpopuläre Kriegseinsatz wird immer riskanter und kostspieliger –, verfolgt Teheran eine „Bleibestrategie“.

Das iranische Engagement beschränkt sich aber keinesfalls auf Syrien – es erstreckt sich auch auf den Jemen, den Irak und bis in den Libanon, wo der starke Verbündete Hisbollah das Geschehen dominiert. Saudi-Arabien als direkter regionaler Gegenspieler schwächelt – Syriens Präsident Assad konnte nicht gestürzt werden, der Krieg im Jemen entwickelt sich zum Desaster und zur humanitären Katastrophe und der Irak ist schon längst unter starken iranischen Einfluss und Abhängigkeit geraten. Mit Russland konnte sich die Führung in Teheran bisher gut verständigen, zumindest sind derzeit keine nennenswerten Spannungsfelder zu identifizieren. Die Türkei wiederum ist zwar kein „Freund“, hinsichtlich Eindämmung kurdischer Ambitionen in der Region und der zukünftigen Machverteilung in Syrien gibt es aber gemeinsamen Gesprächsstoff.

Israel und die USA sehen den Einflussgewinn Irans mit größtem Argwohn. Für die israelische Führung stellt eine etwaige Positionierung iranischer oder irantreuer Milizen an seiner Grenze das Überschreiten einer roten Linie dar. Washington versucht, den Druck auf den Iran durch neue Sanktionen zu erhöhen und das Regime international wieder stärker zu isolieren.

Ob sich Teheran nachhaltig in der Region etablieren kann, wird aber nicht nur von seinen eigenen Ambitionen abhängen, sondern mindestens ebenso stark vom Erfolg der Friedens- und Aufbaubemühungen in Syrien und Irak. Denn die „Hearts and Minds“ der Bevölkerung werden wohl jene gewinnen, die sich glaubhaft und spürbar für die Bevölkerung einsetzen.

 

Fotos: Getty Images & Nadja Meister