Nachdem israelische Flugzeuge am 1. April in Damaskus ein vom Iran als „Konsulat” bezeichnetes Nebengebäude der Botschaft zerstörten und dabei neben fünf syrischen Zivilisten und fünf Mitgliedern der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) auch zwei Generäle der Al-Kuds-Brigaden töteten, folgte am Wochenende der groß angekündigte iranische Vergeltungsschlag: Teheran schickte 185 Shahed-Drohnen, 36 Soumar-Marschflugkörper und 110 ballistische Raketen in Richtung Israel – ihr Ziel erreichten aber nur die allerwenigsten.

@TV7
Der Iron Dome hielt: Israel konnte praktisch alle anfliegenden Drohnen und Raketen zerstören.

Aber alles der Reihe nach, beginnen wir zunächst mit den Al-Kuds-Brigaden, die eine Art Eliteeinheit der IRGC für Auslandseinsätze sind – vorrangig für Operationen gegen Israel und die USA. Bei den getöteten Brigadegenerälen handelte es sich um Mohammad-Reza Zahedi (Kommandant der IRGC-QF in Syrien) und Mohammad-Haji Rahimi (Operationschef der IRGC-QF in Syrien), auch Hossein Amanollahi (stellvertretender Stabschefs des IRGC) war unter den Toten. Für Israel – und übrigens auch für die USA – stellten die IRGC-Führungskräfte schon länger legitime Ziele dar und Israel nutzte nun Anfang April die sich bietende Gelegenheit, um Zahedi, Rahimi und Amanollahi auszuschalten. Teheran kritisierte den Angriff heftig und sah darin – das angegriffene Gebäude wurde als „diplomatische Einrichtung” bezeichnet – einen Verstoß gegen Artikel 22 der Wiener Konvention und leitete daraus sein Recht auf Selbstverteidigung (Artikel 51 der UN-Charta) ab. Teheran drohte Israel schon unmittelbar nach dem Angriff auf seine Generäle mit Vergeltung.

@Tol
Die politische und militärische Führung Israels trat früh zusammen, um gemeinsam den Angriff und die laufenden Gegenmaßnahmen zu verfolgen.

Erfülltes Versprechen
In der Nacht von 13. auf 14. April war es dann soweit: Der Iran griff Israel zum ersten Mal überhaupt direkt von seinem eigenen Territorium aus an. Mindestens vier Wellen mit 185 – teils aus der Ukraine (-> aktuelle News aus dem Ukraine-Krieg) bekannten – langsamen Shahed-Kamikaze-Drohnen wurden in Richtung Israel entsandt, sie brauchten je nach Startort über Irak und Syrien zwischen sechs und acht Stunden Flugzeit. Außerdem wurden 36 Marschflugkörper Soumar (Kopie des sowjetischen Typs Kh-55, den der Iran 2001 illegal aus der Ukraine beschaffte), deren Flugbahn in der Nähe der südirakischen Stadt Al-Basra erstmals erfasst wurden (alles ziemlich flaches Gelände), auf den Weg geschickt – sie waren zwischen 90 bis 120 Minuten unterwegs. Um die israelische Abwehr nach Möglichkeit zu sättigen, wurden zudem aus Tabriz, Kermanshah, Qom, Teheran (al-Momenin), Shiraz and Isfahan insgesamt 110 ballistische Raketen der Typen Fateh-110, Rezvan, Haj Qasem und Khaybar-Shekan abgefeuert – ihre Flugzeit: 12 bis 15 Minuten. Auffällig: Richtig große Modelle wie Sejil, Kheibar und Shabab-3, mit Reichweiten von 1.500 bis maximal 2.200 Kilometer, waren am Angriff offenbar nicht beteiligt.

@FARS News
Bei den roten Containern handelt es sich um sogenannte multiple re-entry-vehicles (MIRV).

Zwei ballistische Raketen dürften bereits im Iran explodiert sein, eine direkt beim Start in al-Momenin und eine weitere kurz nach dem Start über Kermanshah. Eine dritte Rakete stürzte im Irak ab, eine weitere wurde über Jordanien abgeschossen (das Wrack stürzte in Amman ab), die anderen dürften wie geplant funktioniert haben. Da manche Raketen über mehrere Sprengköpfe (oder multiple re-entry-vehicles, MIRV) verfügten (siehe auch Bild rechts), und viele Raketen mittlerweile auch mit Täuschkörpern ausgestattet sind, mussten die israelischen Streitkräfte und ihre Verbündeten mehr Ziele erfassen und bekämpfen, als tatsächlich in der Luft waren. Folgedessen scheinen bereits während der ersten Welle des iranischen Angriffs mit ballistischen Raketen die einsatzbereiten Abwehrflugkörper knapp geworden zu sein und konnten einige Batterien – ganz im Sinne der beabsichtigen Übersättigung – vor der zweiten und dritten Welle nicht rechtzeitig nachgeladen werden.

Nahezu vollständig neutralisiert
Erschwerend für Israel kam hinzu, dass sich auch die Hezbollah-Miliz im Libanon, Kuds-geführte Milizen im Irak und die iranisch gerüsteten Houthis im Jemen an der Attacke beteiligten. Dennoch konnten laut dem israelischen Armeesprecher Daniel Hagari alle Kamikaze-Drohnen, 103 der 110 anfliegenden ballistischen Raketen(gefechtsköpfe) sowie alle Marschflugkörper abgefangen beziehungsweise zerstört werden. Die sieben durchgekommenen ballistischen Gefechtsköpfe (beziehungsweise ihre MIRV) gingen auf die israelischen Luftwaffenbasen Ramon und Nevatim nieder, verursachten dort aber angeblich keine den Betrieb beeinträchtigende Schäden. Auf beiden Basen sind F-35I Adir stationiert, Nevatim ist für den neuesten Typ die Trainingsbasis, von dort flog die Heyl Ha’Avir (IAF) auch den eingangs erwähnten Angriff auf die Iraner in Damaskus.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden


Umfangreiche Unterstützung
Unter dem Strich reklamierte Jerusalem einen bemerkenswerten Abwehrerfolg für sich. Möglich wurde dieser aber nur dank der Unterstützung diverser Verbündeter, wie beispielsweise den USA. US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III betonte in einer Erklärung noch am 13. April, als der Start der Drohnen und erster Raketen vermeldet wurde, dass auf Anweisung von Präsident Joe Biden die US-Streitkräfte im Nahen Osten „zur Stelle sind, um die US-Truppen und Partner in der Region zu schützen und die Verteidigung Israels weiter zu unterstützen”. Er verurteilte im Namen der US-Regierung „die rücksichtslosen und beispiellosen Angriffe des Iran und seiner Stellvertreter” und forderte Teheran auf, „alle weiteren Angriffe, auch von seinen Stellvertretertruppen, unverzüglich einzustellen und die Spannungen zu deeskalieren”. Die USA suchen laut Lloyd J. Austin keinen Konflikt mit dem Iran, werden „aber nicht zögern, zu handeln, um unsere Streitkräfte zu schützen und die Verteidigung Israels zu unterstützen, wenn das notwendig sein sollte”. Dank der weltraumgestützten Überwachung von Raketenstarts (Space-Based Infrared System, SBIRS) weiß Washington jedenfalls genau, wenn irgendwo ballistische Raketen gestartet werden. Wahrscheinlich sind damit auch Marschflugkörper frühzeitig zu erkennen, obwohl diese ein anderes Infrarot-Signaturprofil als ballistische Raketen aufweisen.

Israelische F-35I und F-15I haben zusammen mit den in Jordanien stationierten USAF F-15E der 494th und 335th Fighter Squadrons in der Luft-Luft-Rolle über dem Irak und Syrien (die Russen in Hmeimim/Latakia waren wahrscheinlich verständigt und blieben inaktiv) ein großes „Drohnenschießen” veranstaltet. Daran beteiligt waren neben jordanischen Jets und US-Zerstörern mit SM3-Abfangraketen auch ein französisches Schiff sowie laut der britischen Royal Air Force (RAF) auch Typhoons aus RAF-Akrotiri (Zypern).

@IDF
Israel setzte beim Abfangen der anfliegenden iranischen Drohnen und Raketen auch F-15I-Kampfjets ein.

Zuvor hatte auch die Regierung des Vereinigten Königreichs von Premier Rishi Sunak eine ähnliche Erklärung wie die USA abgegeben. Bemerkenswert ist, dass alle Abfangmanöver in Lufträumen außerhalb Israels stattfanden und mit dem US-Zentralkommando (CENTCOM) koordiniert waren. Als ein Effekt der seit Präsident Donald Trump entstandenen neuen Allianzen Israels mit früheren Feindstaaten im Nahen und Mittleren Osten haben diese – zum Beispiel Saudi-Arabien – ihr Lufträume für die Dauer des Angriffs für zivile Maschinen gesperrt und damit für israelische und Koalitionsjets freigemacht. Zudem sollen saudische Jets die von Süden aus dem Jemen anfliegenden Ziele bekämpft haben.

Was an Drohnen und Raketen trotzdem durchkam, wurde dann – wie in vielen Agentur- und Privatvideos zu sehen – von den drei Schichten der israelischen bodengebundenen Luftabwehr (Iron Dome, Davids Sling und Arrow III) nahezu vollständig zerstört. Israelischen TV-Berichten zufolge sind die Opferzahlen mit einem schwer verletzten 7-jährigen Beduinenmädchen in der Negev-Region und zwölf Leichtverletzten überschaubar.

@IRNA
Der Iran konnte in den vergangenen Jahren beträchtliche Drohnen-Fertigungskapazitäten aufbauen.

Weitere Eskalation?
Der Fehlschlag hielt zwar zahlreiche Menschen im Iran nicht davon ab, laut und ekstatisch vor westlichen Botschaften die „Bestrafung” und „Vernichtung” des zionistischen Erzfeindes zu fordern und den Angriff zu feiern, schon sieben Stunden nach der Attacke wurden der israelische und benachbarte Lufträume aber wieder für den zivilen Flugverkehr geöffnet, Luftschutzsirenen gaben Entwarnung.

Das offizielle Teheran sprach in einer ersten Reaktion von einem „großen Erfolg”, und obwohl in einem TV-Interview ein Armeegeneral den Angriff als beendet bezeichnete, stellt sich für die internationale Staatengemeinschaft die Frage, ob Israel nun mit einer Reaktion die Eskalationsspirale weiter in die Höhe treiben will. US-Präsident Joe Biden hat Israels Premier Benjamin Netanjahu am 14. April jedenfalls telefonisch signalisiert, dass die USA keinen direkten Vergeltungsschlag auf iranisches Territorium wünschen oder unterstützen. Premier „Bibi” Netanjahu schloss unmittelbar nach den Angriffen „Reaktionen” seines Kriegskabinetts zwar nicht aus, er kündigt sie aber auch nicht dezidiert an.

Geht es nach Sicherheitspolitik-Analytiker Wolfgang Pusztai, dann scheint ein israelischer Gegenschlag jedoch „sehr wahrscheinlich”. Der Senior Advisor des Austrian Institute for European and Security Policy (AIES) und ehemalige österreichische Militärattaché in arabischen Ländern sagte in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten: „Der iranische Luftangriff auf Israel ist – auch wenn er nicht wirklich erfolgreich war – eine völlig neue Dimension im Nahostkonflikt. Aus israelischer Sicht darf man den Respekt der islamischen Welt und speziell des Iran nicht verlieren. Würde Israel nach diesen iranischen Angriffen nicht deutlich aufzeigen, dass man so mit dem Land nicht umgehen kann, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Raketen Richtung Israel starten werden.”

Eine Lehre, die man auf jeden Fall schon jetzt ableiten kann ist, dass Raketen- und Flugkörperabwehr funktioniert, wenn sie (was wohl teuer ist) umfangreich zur Verfügung steht und entschlossen eingesetzt wird. Zweifellos werden der Angriff – und dessen Abwehr – weit- und tiefreichende militärische und strategische Erkenntnisse nach sich ziehen.

@IRNA
Der Iran verfügt über ein beträchtliches Arsenal an ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen – und scheint nun gewillt, diese auch zum Einsatz zu bringen.

Falsche Wiederholung wird deshalb nicht wahrer
Dabei gilt es auch mit einer immer noch präsenten Falschinformation aufzuräumen: In einer großen heimischen Tageszeitung hieß es am 14. April, dass „Israel mit dem israelisch-amerikanischen Langstrecken-Luftabwehrsystem Arrow III (das übrigens in der Angriffsnacht laut IDF-Sprecher Hagari auch erstmals im Einsatz funktionierte) eine zentrale Komponente des Luftverteidigungssystems Sky Shield beisteuern und somit in der Zukunft den Luftraum von 15 Ländern so auch den Österreichs sichern wird”.

Nein! Erstens sind es inzwischen 21 Länder (-> jüngst trat auch die Schweiz der Sky Shield Initiative teil) und wie schon früher auf dieser Seite erklärt, hat das – bisher im Export nur von Deutschland ab 2025 vorgesehene – Arrow III-System gar nichts mit Sky Shield zu tun. Generalleutnant Lutz Kolhaus (stellvertretender Inspekteur der deutschen Luftwaffe) hat das erst im vergangenen Dezember vor der deutschen Gesellschaft für Sicherheitspolitik nochmals klargemacht: „Die notwendige politische Konstellation um die deutsche Arrow III mit Israel und den USA ist mit (Anmerkung: damals) 19 ESSI-Nationen nicht darstellbar.”

Markus Reisner: „Wir schreiben gerade Geschichte“

Im Bundesheer wird derzeit mittels genehmigter Vorhabensabsicht hingegen nur für die bodengebundene Luftabwehr mittlerer Reichweite (GBAD-MR) geplant. Die dafür vorgesehenen rund zwei Milliarden Euro waren schon vor der deutschen ESSI-Einladung eingeplant – werden aber wohl nun im Rahmen der Sky Shield-Einkaufsgemeinschaft investiert. Darüber hinaus gibt es für die weitreichende Flugkörperabwehr über die auch exoatmosphärische Langstrecke, aktuell lediglich einen Ministerrats-Grundsatzbeschluss aus dem Herbst 2023. Eine – vorerst rein nationale – Beschaffung könnte frühestens mit 2027 beginnen. Zur Wahl steht dann – entsprechende Abkommen mit Israel und den USA vorausgesetzt – wohl auch Arrow III. Es kann aber auch ein anderes System werden.

Quelle@FARS News, TV7, IRNA, IDF, Tol