Am 26. Oktober 1955 beschloss der österreichische Nationalrat das Bundesgesetz über die „immerwährende Neutralität nach Schweizer Muster”. Während in Österreich aber händeringend um jeden einzelnen Jet „gekämpft” werden muss, steht in der Schweiz eine milliardenschwere Fla-Raketen- und Kampfflugzeugbeschaffung unmittelbar bevor. Zur Wahl stehen neben dem Eurofighter Typhoon T3/4 von Airbus auch die Rafale F4 von Dassault, die F/A-18E/F Super Hornet III von Boeing, die F-35A Lightning-II von Lockheed-Martin und in einem SP-Gegenvorschlag die M-346 von Leonardo.
Was lange diskutiert wurde, fand Ende des vergangenen Jahres seinen vorläufigen Höhepunkt: Nachdem die sicherheitspolitische Kommission des Schweizer Nationalrates einem umfassenden Konzept des Bundesrates zur Beschaffung moderner Kampfflugzeuge und der Wiedererstehung weitreichender bodengestützter Luftverteidigung (Projektname „Air2030”) bereits Wochen zuvor zugestimmt hatte, wurde das Konzept am 20. Dezember per Schlussabstimmung auch in beiden Räten (Nationalrat und Ständerat) gebilligt. Damit begann die Frist für die „traditionelle” Sammlung von mindestens 50.000 Unterschriften zu laufen, die notwendig sind, um Protest gegen das Vorhaben einzulegen, was bis 10. April seitens der Schweizer Sozialdemokraten (SP) und ihrer „Verbündeter” auch erreicht wurde (Militär Aktuell berichtete).
Allerdings: Anders, als man vielleicht vermuten könnte, lehnt die SP die Beschaffung von Abfangjägern und einer aktiven Luftraumüberwachung nicht grundsätzlich ab. Sie meint aber, die Stimmbürger beim anstehenden Volksentscheid am 27. September mit ihrem halb so teuren Gegenentwurf überzeugen zu können. Wie bei allen Referenden gibt es dafür ein Abstimmungsbüchlein, herausgegeben von der Regierung und aufbreitet mit neutraler Information zu den jeweiligen „Pros” und „Contras” der jeweiligen Positionen.
Die Ausgangslage
Lufträume sind wirtschaftlich, völkerrechtlich und militärisch von strategischer Bedeutung. Staaten müssen für die Sicherheit im Luftraum über ihrem Territorium sorgen, egal ob in einer Allianz oder als Neutrale – und zwar sowohl im Alltagsbetrieb einer Luftpolizei im Frieden, als auch im Falle von Spannungen und eventuell in bewaffneten Konflikten. Wenn der Luftraum über dem eigenen Staatsgebiet nicht jederzeit und fortgesetzt aktiv kontrolliert werden kann, können reguläre oder irreguläre Gegner einfliegen und es lassen sich beispielsweise auch eigene Bodentruppen nicht mit Aussicht auf Erfolg einsetzen. Ein potenzieller Gegner würde diese aus der Luft bekämpfen und an der Erfüllung ihres Auftrages beziehungsweise ihrer Schutzfunktion hindern. Deshalb sind (auf absehbare Zeit noch bemannte) Luftkriegsmittel heute und mittelfristig auch in Zukunft militärisch relevant und das gilt sowohl für konventionelle als auch für sogenannt hybride Konflikte (elektronische Kriegsführung, Drohnenbekämpfung, …).
Zumindest in der Schweiz wird das grundsätzlich von einer großen Mehrheit so oder ähnlich gesehen, so hatte die Schweizer „Flugwaffe” am Höhepunkt des kalten Krieges 493 Strahlflugzeuge und insgesamt 900 Luftfahrzeuge (!) im Dienst. Zahlen, die im benachbarten und den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten weit näher liegenden Österreich der Bevölkerung kaum vermittelbar gewesen wären und auch politisch nie vorstellbar waren. Wobei letzteres wohl auch darauf zurückführen ist, dass die Schweiz keinen Weltkrieg auf eigenem Territorium erleben musste und die Schweizer Neutralität außerdem viel älter als die österreichische ist und zudem selbstgewählte und -erklärt.
Im Lichte dieses – wie dem Autor jüngst wieder Schweizer TV-Journalisten bestätigten – immer noch existierenden Konsenses, hat die Regierung aus vier Optionen zum NKF („Neues Kampfflugzeug”) folgendes Volumen zur Grundlage des nun vorgelegten „Air2030”-Pakets gewählt: Ersatz der heutigen Kampfflugzeugflotte aus noch 26 Northrop F-5E/F Tiger sowie 30 F/A-18C/D Hornet durch 36 oder 40 neue Kampfflugzeuge sowie eine erhebliche Leistungssteigerung auf Seiten der bodengestützten Luftverteidigung, Kosten: rund 8 bis 8,5 Milliarden Schweizer Franken (7,4 bis 7,9 Milliarden Euro).
Die (verbliebenen) Kandidaten
Gleich vorweg, Saabs Gripen-E könnte den im internationalen Maßstab nicht übermäßig herausfordernden eidgenössischen „Job” wohl gut abdecken, aber für die Schweden ist die Schweiz offenbar ein latentes „Minenfeld”. Wurden sie 2014 mit dem Gripen-E – obwohl damals nur als „NG”-Demonstrator existierend – als ausgewählter Bieter an der Urne „abgeschossen”, wurden sie nun bereits im Vorfeld eliminiert, weil sie mit einem der inzwischen als Testmaschinen fliegenden drei Gripen-E Mitte 2019 nicht zur jeweils einwöchigen Flug-Evaluierung in der Schweiz kommen konnten. Zwar war ihr Flugzeug nun sehr real, aber für die Schweizer „zu neu”. Denn deren Amtsseite – die NKF-Projektleitung hat armasuisse – forderte, dass alle Kandidaten bereits eingeführt sein oder einen „gewissen operationallen Reifegrad” aufweisen müssen. Das hätte man auch Saab von Anfang kommuniziert. Saab wiederum sagt, sie hätten seit Jahresbeginn 2019 immer kommuniziert, dass das neueste der für die Schweiz zur Wahl stehenden Muster eben noch im Hersteller-Testprogramm für Schweden (60) und Brasilien (34) wäre. Ein erneuter Demonstrator mit E-Cockpit und -Sensoren wurde schweizerseits abgelehnt.
Diesen Jänner ist dann die sogenannte „Herausgabe” der zweiten Offertanfrage für die neuen Kampfflugzeuge sowie für neue Systeme der bodengestützten Luftverteidigung an die Regierungsstellen der Herstellerländer erfolgt. Prozessleiter armasuisse erwartet die neuen Angebote von Deutschland (Airbus D&S für Eurofighter Typhoon T3/4), Frankreich (Dassault für Rafale F4) und den USA (Boeing F/A-18E/F Super Hornet III sowie – am ersten Blick vielleicht etwas überraschend – Lockheed-Martin für den F-35A Lightning-II) während des Augusts. Jene zweite Offertanfrage basiert auf der Analyse der ersten Angebotsrunde, von den Erkenntnissen aus Flug-, Simulator- und Bodenerprobungen, sowie Audits bei den Betreibern der evaluierten Kampfflugzeuge. In der Suche nach dem „für die Schweiz vorteilhaftesten Offert” mussten die eingereichten Unterlagen folgende Elemente enthalten:
1) Den Preis für 36 oder 40 Flugzeuge, inklusive definierter Logistik und Bewaffnung als verbindlicher Ausgangspunkt für die Detailverhandlungen mit dem gewählten Kandidaten nach dem Typenentscheid.
2) Angebote zur Kooperation zwischen den Streitkräften und den Beschaffungsbehörden der Schweiz und jenen des potentiellen Lieferlandes.
3) Angestrebte oder bereits angebahnte Offset-Projekte.
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