Die Öl- und Gasindustrie ist der wichtigste Eckpfeiler der russischen Wirtschaft – und genau diesen greift die Ukraine nun auf breiter Front gezielt mit Drohnen an. In den vergangenen Wochen gingen gleich mehrere Raffinerien und Tanklager im ganzen Land in Flammen auf.

Vor dem Beginn von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 entfielen nahezu 50 Prozent der Exporteinnahmen Moskaus auf den Energiesektor – auf Öl, Gas und Kohle. Aufgrund der internationalen Sanktionen musste Moskau aber seine Exportwege umstellen. Während die Direktlieferungen nach Europa drastisch abnahmen, stiegen insbesondere die Exporte nach Indien erheblich. Immer wieder kommt es auch zu Umgehungen der Sanktionen, wenn zum Beispiel über Tanker-Tanker-Transfers auf See versucht wird, die Herkunft des Öls zu verschleiern.

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Mit den Angriffen im ganzen Land versucht die Ukraine die Energieexporte Russlands zu stören, um damit Moskau die Finanzierung des Ukraine-Kriegs zu erschweren.

Trotz einiger Schwierigkeiten blieb die russische Öl- und Gasindustrie aber eine wesentliche Einnahmequelle für den Kreml und somit auch für die Finanzierung des Angriffskriegs auf die Ukraine – und genau diese Finanzierung will Kiew nun einschränken und greift daher seit einigen Wochen gezielt Raffinerien und Tanklager auch weit im russischen Hinterland an:

  • Am 9. Jänner stürzte sich eine Drohne in einen Tank des Öldepots von Oryolnefteprodukt in der Oblast Oryol.
  • Am 18. Jänner wurden Drohnentrümmer auf dem Gelände des St. Petersburger Ölterminals in der Oblast Leningrad gefunden.
  • Tags darauf verursachte dann eine Drohne einen Großbrand in einem Öldepot in Klintsy, Oblast Brjansk. Es handelt sich dabei um einen der wichtigen Transitknotenpunkte für den Transport von Treib- und Schmierstoffen für den Bedarf der russischen Truppen.
  • Am 21. Jänner wurde der Öl- und Gaskomplex Ust Luga von zwei Drohnen getroffen. Die Anlage, rund 100 Kilometer westlich von St.Petersburg am Ufer der Ostsee gelegen, ist etwa 900 Kilometer von der Ukraine entfernt und gehört dem russischen Novatek-Konzern. Der Angriff traf gezielt das Terminal der Erdgasverflüssigungsanlage und somit eine Infrastruktur, die zu 100 Prozent der Exportwirtschaft zuzuordnen ist. Hauptkunden von Naphtha und Kerosin aus Ust Luga sind Singapur, Türkei, Taiwan und China.
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  • In der Nacht vom 24. auf den 25. Jänner traf ein ukrainischer Angriff dann die ebenfalls voll für den Export tätige Rosneft Raffinerie in Tulapse am Schwarzen Meer, wo die primäre Verarbeitungseinheit für Erdölprodukte einen direkten Treffer abbekam. Das ist insofern bemerkenswert, als Raffinerien für Laien aufgrund ihrer Größe zwar wie leichte Ziele wirken, es aber darauf ankommt, in den Anlagen gezielt Bereiche zu treffen, die bei einem Ausfall möglichst die gesamte Produktion zum Stillstand bringen. Um ein Beispiel zu nennen: Kaputte Lagertanks lassen sich relativ einfach abkoppeln und gegebenenfalls einigermaßen rasch durch neue Leitungen umgehen. Wird hingegen der „Cracker” beschädigt, also jener Teil der Anlage, in dem das Rohöl in seine Bestandteile getrennt wird, muss die Raffinerie ihren gesamten Betrieb einstellen.
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  • Am 29. Jänner um 06.39 Uhr war dann die Ölraffinerie Slavneft-Yanos in Jaroslawl dran. Der Angriff war offenbar nicht erfolgreich, tauchten im Nachgang doch erstmals Bilder eines bislang unbekannten Drohnentyps auf, der im Zug dieses Angriffes offenbar Verwendung gefunden hatte. Laut Aussage des Gouverneurs der Oblast Jaroslawl, Mykhailo Evraev, soll das elektronische Kriegsführungssystem (EW) der Ölraffinerie den Drohnenangriff verhindert haben. Die Anlage liegt rund 240 Kilometer nordöstlich von Moskau und somit mehr als 700 Kilometer von der Ukraine entfernt.
  • In der Nacht zum 31. Jänner erfolgten gleich zwei Angriffe: Während der Angriff auf die Raffinerie Kstow in der Oblast Nischnij Nowgorod erfolglos blieb, wurde das St. Petersburger Ölterminal erneut getroffen.
  • In der Nacht zum 3. Februar trafen dann laut lokalen Zeugen zwei Drohnen die Lukoil-Raffinerie bei Wolgograd (das ehemalige Stalingrad). Die gigantische Anlage ist der größte Produzent von Erdölprodukten im Südwesten Russlands. Direkt an der Wolga gelegen ist die Raffinerie via Wolga-Don-Kanal über das Asowsche Meer und das Schwarze Meer direkt an den Weltmarkt angebunden. Getroffen wurde die erst im Dezember 2022 neu eröffnete Elou-Avt-5-Destillationsanlage mit einer Kapazität von 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Die gesamte Raffinerie hat eine Kapazität von 15,7 Millionen Tonnen pro Jahr.
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Bereits 2022 hat die Ukraine russische Raffinerien und Tanklager angegriffen. Diese allerdings im weiteren Umfeld um den Kriegsschauplatz und eindeutig mit dem Ziel, die Zufuhr an Treibstoffen an die russischen Truppen in der Ukraine zu reduzieren. Die nunmehr erfolgte Fokussierung auf die Ölexport-Industrie ist eine neue Strategie.

Um die Bedeutung der russischen Ölhäfen für die Exportwirtschaft zu verdeutlichen: 2023 wurden über die Häfen von Noworossijsk (Schwarzes Meer) 30 Millionen Tonnen, Primorsk (Ostsee) 44,4 Millionen Tonnen, Ust-Luga (Ostsee) 34 Millionen Tonnen sowie Kozmino (Japanisches Meer bei Wladiwostok) 42,8 Millionen Tonnen Ölprodukte exportiert. Alle vier Exportrouten verzeichneten Steigerungen zwischen 3,1 Prozent und 9,4 Prozent, im Schnitt stiegen die Ölexporte über russische Häfen im Jahr 2023 um 7,2 Prozent im Vergleich zu 2022.

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Ziel verfehlt: Aufnahmen aus Jaroslawl zeigen einen neuartigen ukrainischen Drohnentyp, der sein Ziel – in diesem Fall – verfehlte.

Die Jaroslawl-Drohne
Der Angriff auf die Raffinerie in Jaroslawl vom 29. Jänner lieferte erstmals Bilder eines neuen ukrainischen Drohnentyps, der bei Langstreckenangriffen zum Einsatz zu kommen scheint. Zu sehen ist eine Drohne mit quadratischem Rumpfquerschnitt, die auf den ersten Blick nicht so wirkt, als könnte sie tatsächlich weite Strecken zurücklegen. Gerade Flügel mit einer gut erkennbaren Profilwölbung und einer hohen Profiltiefe sowie Endscheiben, um den induzierten Luftwiderstand zu verringern, ausgelegt für hohen Auftrieb bei niedrigen Geschwindigkeiten. Das Design erinnert ein bisschen an die PC-6, bis auf das V-Leitwerk, welches leichter gebaut zu sein scheint und daher einen geringeren Luftwiderstand aufweisen dürfte als ein konventionelles Leitwerk.

Mit Blick auf die Lkw-Fahrspuren, die im Bild erkennbar sind, kann die Spannweite der Drohne auf 2,5 Meter bis 2,75 Meter geschätzt werden. Der Rumpf auf einen Querschnitt von rund 30 x 30 Zentimeter. Das interne Volumen dürfte Tanks in Rumpf und Flügeln in der Größenordnung von 80 bis 90 Liter ermöglichen. Als Antrieb muss ein Kolbenmotor mit Propeller angenommen werden, es gibt davon allerdings keine Aufnahme. Russische Quellen geben einen nur sehr kleinen Gefechtskopf mit drei Kilogramm Gewicht an. Es gibt Motoren mit rund 25 PS Leistung und einem Verbrauch von etwa sechs Litern pro Stunde bei ökonomischem Betrieb – womit die erforderliche Reichweite erzielbar wäre.

Keinerlei Information ist über die Sensorik der Drohne bekannt. Da die Angriffe in der Nacht erfolgen und die Ziele mehrere hundert Grad heiße Destillationsanlagen der Raffinerien sind, könnten Infrarotsensoren zum Einsatz kommen.

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Detailaufnahme der „Jaroslawl-Drohne”, die aus der Ukraine heraus zumindest 700 Kilometer zurückgelegt haben muss.

Achillesferse Treibstoffindustrie
Unwillkürlich drängen sich bei den Berichten über die ukrainischen Drohnenangriffe Vergleiche mit der alliierten Bomberoffensive auf die deutsche Treibstoffindustrie im Zweiten Weltkrieg auf. Ab Mai 1944 bis zum Kriegsende nahmen die alliierten Luftstreitkräfte fortgesetzt deutsche Treibstoffziele ins Visier. Die Angriffe auf Raffinerien, Benzolwerke, Hydrierwerke und Öllager beraubten Wehrmacht und Luftwaffe ihrer Treibstoffversorgung, führten zum Zusammenbruch der deutschen Treibstoffwirtschaft und trugen zum rascheren Kriegsende bei.

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Ob die Ukraine ihre Drohnenoffensive gegen russische Schlüsselindustrien so steigern kann, dass sich ein vergleichbarer Effekt erzielen lässt, wird sich erst in Zukunft zeigen. In jedem Fall ist aber stark davon auszugehen, dass die Ukraine ihre aktuell so erfolgreiche Strategie in den kommenden Wochen weiter fortsetzen wird – der Trend zur Intensivierung der Drohnenangriffe ist jedenfalls vorgezeichnet (-> Bericht: Der Ukraine-Krieg als erster „War of Drones”). Das ukrainische Militär hat im Jahr 2023 in Summe 67 Drohnen-Modelle neu zugelassen und für 58 davon Aufträge zur Produktion erteilt. Rund 200 ukrainische Unternehmen befassen sich mit Dienstleistungen und Produkten in diesem Bereich und für 2024 haben alle Unternehmen den Auftrag bekommen, zu skalieren. Das Produktionsziel der Ukraine für 2024 wird mit einer Million Drohnen angegeben.

Übrigens nimmt auch Russland immer wieder die ukrainische Ölindustrie ins Visier. Angriffe auf ukrainische Raffinerien und Treibstoffdepots finden seit 2022 regelmäßig statt.

Quelle@Archiv