Während in der Vergangenheit die propagandistischen Überhöhungen der Leistung russischer Waffensysteme geradezu Legende sind und im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine diese Ansprüche nicht nachweisen konnten, hat sich ein eher unscheinbares System inzwischen zum Sorgenkind und Schrecken der Ukraine entwickelt: Lancet.

Seit dem letzten Quartal 2022 sind die russischen Gefechtserfolge mit dem Drohnensystem deutlich angestiegen. Dabei handelt es sich nicht nur um behauptete Treffer, die Statistiken fußen auf der Auswertung zahlreicher Videos, welche zunehmend in den russischen sozialen Medien zum Krieg gezeigt werden. Grund genug einen intensiveren Blick auf Lancet zu werfen.

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Die „Kalaschnikow der Lüfte”
Lancet ist ein Produkt des russischen Herstellers ZALA Aero – ein Tochterunternehmen des bekannten Kalaschnikow-Konzerns. Das Waffensystem wurde erstmals auf der „Army”-Messe im Jahr 2019 der Öffentlichkeit präsentiert und ab dem Jahr 2020 wurden vereinzelt Exemplare im Syrienkonflikt erprobt. Ab dem Sommer 2022 trat Lancet dann auch in der Ukraine in Erscheinung. Pro Monat wurden durchschnittlich Videos von drei bis sechs Treffern von russischer Seite veröffentlicht. Mit Oktober 2022 stieg diese Zahl dann aber sprunghaft auf 20 bis 40 Treffer monatlich und im Mai wurde mit 61 Treffern ein neuer Spitzenwert erreicht. Ein starkes Indiz dafür, dass die russische Armee nicht nur die Effektivität des Systems erkannt hat, sondern auch die Industrie ihre Fertigungskapazitäten steigert.

Der Ukraine-Krieg als erster „War of Drones“

 

Die vorliegenden Zahlen lassen den Schluss zu, dass bisher nicht mehr als eine Handvoll Lancet-Teams auf russischer Seite im Einsatz ist. Diese Experten schmerzen die Ukrainer aber sehr, denn sie wählen ihre Ziele mit Bedacht und treffen praktisch ausschließlich ukrainische Hochwert-Systeme, die nicht leicht zu ersetzen sind.

Gebaut mit zivilen Komponenten
Dabei ist das Lancet-UAV alles andere als high-tech. Die elektronischen Innereien der Drohne sind aus zivilen Importkomponenten zusammen gestellt, auf welche Russland trotz der Sanktionen per Grauimport noch immer Zugriff hat. Verbaut wird z.B. der Einplatinencomputer „Nvidia Jetson TX2”, weitere US- und Südkorea-Elektronikkomponenten, ein Akku aus China sowie ein ziviler Multifrequenz-Satellitennavigations-Empfänger des Schweizer Unternehmens u-blox.

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Damit ist es den Ingenieuren gelungen ein sehr effektives semiautonomes System zu kreieren. Das Lancet-UAV, wie auch die mit ihr im Systemverbund arbeitende Aufklärungsdrohne ZALA-421, verfügt eindeutig über ein elektrooptisches Zielfolgesystem. Der Operator markiert damit ein Objekt oder eine Satelliten-Koordinate auf seinem Monitor und das auf einem stabilisierten, beweglichen Kopf montierte elektrooptische System folgt diesem Objekt, egal ob es still steht oder sich bewegt.

 

lancet einsatzTeilautonom mit Operator-Unterstützung
In der Praxis fliegt Lancet selbständig in vorgegebener Höhe und Richtung während der Operator mit der zoom- und schwenkbaren Elektrooptik nach seinem Ziel in einem Gebiet sucht, welches vorab per Aufklärer ZALA-421 gefunden wurde. Ist das Ziel gefunden, setzt der Operator seine Markierung nach Bedarf jeweils neu und leitet je nach Ziel einen automatischen Sturzflug ein, der etwa zwischen 20 und 40 Grad steil ist. Die Elektrooptik wird dabei aus dem Zoombereich in den Weitwinkel-Bereich zurückgeführt, was den Eindruck erweckt, als bewege sich Lancet kaum. Erst am Anschlag des Objektivs wird das Zielobjekt im Bild rasch dramatisch größer und man bekommt einen Eindruck von der realen Geschwindigkeit der Drohne.

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Erkennbar ist an den Videos, dass Lancet zunehmend Probleme mit der Zielverfolgung bekommt, wenn das UAV sich im Endanflug mit rund 200 km/h dem Ziel nähert. Die dann raschen und großen Änderungen im Videobild bezüglich Form, Größe und Winkel des verfolgten Objekts schafft der verbaute Rechner zumindest zum Teil nicht. Per „man-in-the-loop” ist der UAV-Pilot aber auch im Endanflug, bis zum Abbruch der Funkverbindung, in der Lage die Zielmarkierung manuell „nachzubessern” und Lancet so bei der optimalen Trefferlage zu helfen.

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Gegenmaßnahmen
Angesichts der vielen in der Ukraine zum Einsatz kommenden Drohnen sind aktuell beide Seiten darum bemüht, mit elektronischen Gegenmaßnahmen den jeweiligen Gegner an der Nutzung der funk- und radioelektronischen Domäne zu hindern. Ebenso kommen auf beiden Seiten elektronische Unterstützungsmaßnahmen – zum Beispiel Signalverstärker – zum Einsatz, um die eigenen Einsatzmittel in diesem Umfeld funktionsfähig zu halten. Fakt ist, die Drohneneinsätze steigen auf beiden Seiten der Front. Und die elektronischen Gegenmaßnahmen auf beiden Seiten der Front scheinen nicht geeignet diesen Trend zu brechen.

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Aufgrund der ungesicherten Datenlage ist unklar, welche Wirksamkeit -´– absolut und relativ – die Waffensysteme und Gegenmaßnahmen entfalten. Es gibt Treffervideos und Videos von Abwehrerfolgen sowie Bilder von Drohnen-Innereien – das alles ohne Gesamtsumme an eingesetzten Systemen. Es gibt Aussagen aus der Drohnenkämpfer-Szene, dass die Erfolgsrate bei 30 Prozent, bei guten Piloten eventuell bei bis zu 50 Prozent liegt. Das mag auf den ersten Blick wenig attraktiv erscheinen. Man muss in dieser Rechnung aber den sehr kleinen „Fußabdruck” an Personal, Geräte und Finanzaufwand für den Drohnenkrieg mit berücksichtigt und dem sehr hohen Aufwand an Geld, Logistik, Personal für den Einsatz von Großwaffensystemen wie Panzer oder schwere Artillerie gegenüber stellt. Denn dann wird rasch klar, dass selbst ein Drohnen-Einsatzerfolg von 1:5 oder auch nur 1:10 extrem effektiv ist.

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Ein „Technical” soll es jetzt richten
Aktuell verstärkt die Ukraine ihre Fähigkeit langsam und niedrig fliegende Luftziele zu bekämpfen durch die Beschaffung sogenannter „Technicals”. Das sind geländegängige Pickup-Kfz auf deren Ladefläche schwere Maschinengewehre, Maschinenkanonen leichten Kalibers oder gegebenenfalls auch Raketenwerfer montiert werden.

@Archiv
Radioelektronische Gegenmaßnahmen gegen Drohne Lancet: Behauptetes russisches Beutedokument, mutmaßlich herausgegeben von der Hauptdirektion für Radioelektronik und Cyber-Kriegsführung des Generalstabs der Streitkrafte der Ukraine.

So anachronistisch ein MR-21 Viktor Klein-Lkw mit zwei überschweren-14,5-Millimeter-Maschinengewehren auf einer manuell bedienten Lafette im Europa des Jahr 2023 auch erscheinen mag, gegen die tief und langsam fliegenden Lancet und Shahed dürften sie aktuell das Mittel der Wahl, sein um die Drohnen-Abwehr-Bemühungen der Ukraine zu verdichten. 

Hier geht es zum oben genannten Dokument „Radioelektronische Gegenmaßnahmen gegen Drohne Lancet” in deutscher Übersetzung.

Quelle@Archiv