Die Lieferung westlicher Kampfpanzer, im Besonderen des Typs Leopard, in die Ukraine ist in den vergangenen Tagen eine Diskussion, an der kaum jemand vorbeikommt. Dabei gibt es viel Meinung, aber kaum fundiertes Wissen. Ziel dieses Artikels ist es daher, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Dabei wird der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan 2020 beleuchtet, um das seit Kurzem völlig geänderte Mindset zu umreißen, bevor die Panzerausbildung in Österreich dargestellt wird. Danach werden die logistischen Herausforderungen erklärt und Erfahrungen in der Ausbildung von Panzersoldaten aus Sicht des Panzerbataillons 14 beschrieben, um schließlich einen Ausblick auf die Situation im Ukraine-Krieg geben zu können.
Als ab 27. September 2020, kurz nach Beginn der erneuten Kämpfe um Berg-Karabach, die ersten Videoaufnahmen von Drohnenangriffen auf Kampfpanzer über soziale Medien und Nachrichtenkanäle die breite Öffentlichkeit erreichten, wurde rasch das Ende des Kampfpanzers ausgerufen (umfangreicher Bericht dazu im Truppendienst). Ja, die Bilder waren verheerend. Eine für Panzerbesatzungen unsichtbare Waffe schaltete ein Fahrzeug nach dem anderen aus. Dabei sah man praktisch nur Turmtreffer, die nicht selten zur Umsetzung der Munition führten und damit einen Totalausfall verursachten. Drastische Beschreibungen vom „Dinosaurier am Gefechtsfeld”, der durch „modernste Flugroboter” ausgeschaltet wurde, waren rasch zur Hand und die „Wunderwaffe” Umanned Aerial Vehicle (UAV), oder einfach Drohne, schien binnen Tagen ein neues Bild des Krieges zu zeichnen – und eben dieses Bild sollte sich auch rasch in der Expertenwelt verfestigen.
Gleiche Bilder sind uns auch aus der Ukraine bekannt: In Stellung stehende oder verlassene Kampfpanzer werden durch Drohnen ausgeschalten. Dabei handelt es sich oft um handelsübliche Drohnen, die mittels abwerfbarer Sprengsätze zur fliegenden Panzerabwehrwaffe werden. Man könnte auch von einer Panzerluftmine sprechen.
Trotzdem fordert der ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyi schon seit den ersten Kriegstagen vom Westen die Lieferung von Kampfpanzern. Diesem Ersuchen wurde seitens des Westens auch nachgekommen – viele Länder des ehemaligen Ostblocks wie Polen, Tschechien, Slowenien und selbst Marokko lieferten Kampfpanzer aus der T-72 Familie in die Ukraine. Hingegen schloss insbesondere Deutschland solche Lieferungen lange Zeit aus. Kampfpanzer aus der Leopard-Familie sollten nicht aktiv ins Gefecht geführt werden.
„Der Kampfpanzer WURDE schon oft zu Grabe getragen, er hat aber noch immer eine Wirkmächtigkeit, wie kein anderes landgebundenes System.“
Die Gründe dafür sind mannigfaltig, unter dem Strich bleibt aber der Wunsch von Selenskij nach Stärkung der ukrainischen Panzerwaffe, der auch als Zeichen dahingehend interpretiert werden kann, dass der Kampfpanzer zwar schon oft zu Grabe getragen wurde, aber noch immer eine Wirkmächtigkeit hat, wie kein anderes landgebundenes System. Dies ist aufgrund seiner Beweglichkeit, seiner Feuerkraft und seines Panzerschutzes nur verständlich, war er ja immer für den Zweck gebaut worden, den Kampf mit anderen Panzern zu führen – und aus dem Feuerkampf als Sieger hervorzugehen. Panzer rufen allerdings auch unweigerlich Bilder aus dem Prager Frühling oder den Demonstrationen am Tian‘anmen Platz ins kollektive Gedächtnis. Mit einer solchen Waffe sichert man nicht den Frieden, so die vorherrschende Meinung. Ein Panzer gilt vielmehr der Inbegriff des schon lange als überwunden geglaubten mechanisierten Krieges.
Ein kaum genannter, aber nicht zu unterschätzender Grund für die Weigerung Deutschlands, Leopard-Panzer in die Ukraine zu schicken sind militärische und technisch/industrielle Geheimhaltung. Ein abgeschossener Leopard 2A6 ist keine gute Werbung für deutsche Panzerbauer, die gerade viele Auftragsanfragen bearbeiten. Und unverwundbar ist kein Gefechtsfahrzeug, auch nicht der Leopard, wie die Türkei schmerzvoll in Syrien erfahren musste.
Am Gefechtsfeld bleibt der Kampfpanzer trotzdem das schwere mechanisierte Rückgrat der Landstreitkräfte. Ohne Kampfpanzer ist ein Angriff oder eine Offensive größeren Ausmaßes zum Scheitern verurteilt. Besitzt der Gegner Kampfpanzer, dem man keine eigenen entgegensetzen kann, wird ein solches Unterfangen unweigerlich zum Himmelfahrtskommando. Auch die großen Geländegewinne in der Ukraine waren auf beiden Seiten nur dank der Unterstützung von Kampfpanzern möglich. Dabei zeigten sich allerdings auch Schwachstellen: Minentreffer, Panzerabwehrlenkwaffen oder gezielte Artillerieschläge mit Bombletmunition machen den Panzer schnell zu einem stählernen Sarg. Als Konsequenz davon ist der Kampfpanzer nur im Kampf der verbundenen Waffen im Zusammenwirken mit Aufklärern, Grenadieren, gehärteter Infanterie, Artillerie, Pionieren, Luftabwehr und Luftmittel befähigt seine Kapazität voll auszuschöpfen. Dieser Aufzählung kann man jede andere Waffengattung voranstellen und alle anderen nachreihen, weil das Gefecht eben mit allen Systemen gedacht, ausgebildet und geübt werden muss, um das taktische Ziel zu erreichen. Damit ist klar, dass die Lieferung von einigen Dutzend Kampfpanzern ein klares Bekenntnis des Westens ist, die Ukraine weiter zu unterstützen, den Krieg werden sie aber nicht im Alleingang beenden. Und das schon gar nicht in wenigen Wochen.
Was aus dem bis hierher Geschriebenem klar wird, ist, dass ein solch komplexes System gediegene Ausbildung benötigt. Daher soll nun ein kurzer Überblick über die Panzerausbildung, wie sie Österreich betreibt, gegeben werden. Voraussetzung für diesen Zyklus ist ein ausgebildetes Panzerunteroffiziers- und Offizierskorps auf der Ebene Einzelpanzer, Zug, Kompanie und Bataillon, die ihr Waffensystem beherrschen. Die Panzerausbildung beginnt nach der allgemeinen Basisausbildung 1, die mit neun bis zehn Wochen veranschlagt ist. Die Abschnitte 2 und 3 der Basisausbildung finden dann am Kampfpanzer statt.
Die Grundlage bilden dabei einerseits der Richt- und Ladeschützenkurs und andererseits die Panzerfahrschule. Hier werden in etwa sechs Wochen alle Fähigkeiten erlernt, um danach in die Einzelpanzerausbildung einsteigen zu können. Dabei wird aus den Einzelfunktionen eine Besatzung geformt. Neben einzelnen Gefechtstechniken wird auch nach intensivem Simulatortraining scharf geschossen.
Das Bundesheer bedient sich dabei kostengünstiger 27-Millimeter-Einsteckrohre. Die besten Richtschützen schießen danach noch sieben Schuss mit 120-Millimeter-Vollkalibermunition, natürlich ohne Einsteckrohr, um feldverwendungsfähig zu sein. Dies passiert im Wechsel zwischen Gefechtsausbildung und Schießausbildung, bei der auch der Duellsimulator am Echtpanzer zum Einsatz kommt. Nicht zu vergessen ist der technische Dienst, der nach vier bis fünf Ausbildungstagen einen weiteren Tag in Anspruch nimmt. Dabei wird der Panzer durch die Besatzung gewartet und im Zusammenwirken mit dem Instandsetzungspersonal kleine Schäden behoben, kaputte Baugruppen erneuert, abgefahrene Laufpolster oder Zahnkränze getauscht. Dazu werden zumindest vier Wochen gebraucht. Während dieser Phase werden Ausbildungsziele der Zugsausbildung eingeflochten. Zum Beispiel Marsch, Gefechtsmarsch mit ersten Gefechtsformen, Schießen im Rahmen des Zuges oder Bezug des Verfügungsraumes inklusive Tarnmaßnahmen. Daher ist der Übergang zur Zugsausbildung ein fließender.
Die anschließende Zugsausbildung ist das Kernstück der Panzerausbildung. Der Zug ist die Feuereinheit innerhalb der Kompanie und des Bataillons. Panzerzüge werden auch oft Grenadieren zur Feuerunterstützung unterstellt. Daher ist in der Zugsausbildung auch das Zusammenwirken mit möglichst vielen der oben genannten Waffengattungen zu forcieren. Dass Österreich international hier gute Arbeit leisten kann, haben die herausragenden Ergebnisse bei der Teilnahme an der Strong Europe Tank Challenge 2017 und 2018 gezeigt.
Diese Ausbildung führt zur Truppenausbildung Zug und Kompanie. Hier werden Übungen – auch über mehrere Tage und Nächte – unter Leitung des Bataillons durchgeführt. Scharfschießen im Kompanierahmen mit anderen Waffengattungen bei Tag und Nacht sind dabei die Höhepunkte. Seitens der Instandsetzung und Logistik werden diese Übungen ständig unterstützt. Bergeübungen mit Sanitätseinlagen werden immer wieder in die Ausbildung eingestreut, um den Soldaten auch dabei Handlungssicherheit zu geben. Diese intensive Phase nimmt weitere sechs Wochen in Anspruch.
Den Abschluss bildet dann die taktische Truppenausbildung für das gesamte Panzerbataillon. Auch hier wird auf Simulationssysteme zurückgegriffen. Dabei werden wieder alle Waffengattungen eingebunden und die Leitung übernimmt die Brigade. Eine Volltruppenübung stellt den Abschluss dar. An einer solchen wird das Panzerbataillon 14 mit Unterstützung aller Verbänden der 4. Panzergrenadierbrigade im November in Deutschland teilnehmen. Dabei wird unser deutscher Partner, das Panzerbataillon 104 aus Pfreimd, die Zertifizierung für die Führung der Battelgroup im Baltikum erhalten. Die Übung wird zwei Wochen dauern und im Gefechtsübungszentrum des Heeres Altmark stattfinden. Damit ergibt sich ein Zeitbedarf von sechs Monaten, um einen kleinen Panzerverband voll auszubilden. Der Rückschluss, dass dies mit sechs Monaten Grundwehrdienst nicht erreichbar ist, ist natürlich völlig richtig und zeigt eine der Schwierigkeiten mit der momentanen Dauer des Wehrdienstes.
Für die Panzersoldaten aus der Ukraine wird, egal durch welche westliche Armee, ein ähnliches Ausbildungsprogramm zu erstellen sein. Natürlich kann durch die Kampferfahrung, die diese Soldaten mitbringen, einiges schneller vermittelt werden, anderseits gilt es natürlich auch die Sprachbarriere zu überwinden. Dabei wird es weniger an Dolmetschern scheitern, sondern mehr an Sprachkundigen, die auch „Panzer” sprechen. Hier hat das Panzerbataillon 14 allerdings durchaus gute Erfahrungen mit der Ausbildung der ungarischen und tschechischen Kameraden gemacht. Panzermänner – die Frauenquote ist in diesem Bereich leider noch viel zu gering – finden rasch ein gemeinsames Verständnis. Die Funktion des Ladeschützen ist allerdings für T-72 Besatzungen Neuland, da der T-72 über einen Ladeautomaten verfügt. Wichtig ist auch von Anfang an das Vertrauen ins Gerät zu stärken. Die Feuerleitanlagen von West- und Ostpanzern unterscheiden sich doch erheblich.
„Dem Westen muss glasklar sein, dass Bilder von vernichteten Westpanzern von russischer Seite propagandistisch massiv ausgenutzt werden. Und diese Bilder wird es geben.“
Dabei war ein deutlicher Unterschied zwischen den ungarischen und tschechischen Soldaten zu sehen. Die in Tschechien in Verwendung stehende T-72 Variante T-72M4CZ verfügt über eine westliche Feuerleitanlage, wärmebildfähige Sichteinrichtungen für Kommandant und Richtschütze sowie einen Antrieb mit Caterpillar Motor und Diehl-Ketten. Daher fiel den tschechischen Panzerleuten der Umstieg auf den Leopard weit leichter, als den ungarischen. Die Einheits- und Verbandsausbildung muss vor allem darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit des Leopard zu unterstreichen und die Stärken gegenüber der T-72-Familie herauszuarbeiten.
Eine weit größere Herausforderung wird die Logistische. Wie eingangs erwähnt, geht eine solche Ausbildung von einem ausgebildeten Unteroffiziers- und Offizierskorps aus – und das gilt natürlich auch für das Instandsetzungspersonal. Dieses kann parallel ausgebildet werden. Hier ist es schwer einzuschätzen, wie schnell die Mechaniker das System warten und reparieren können, da dabei auch viel Erfahrung bei der Fehlersuche notwendig ist. Ein logistisches Backbone via Internet und die Instandsetzung zum Beispiel in Polen werden wohl unvermeidlich sein. Darüber hinaus warten aber auch noch andere Herausforderungen auf die Ukrainer: Der Leopard ist weit schwerer als der T-72. Hier werden Bergepanzer, speziell im tiefen Boden, an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Ähnliches gilt für Gefechtsbrücken, die für Offensiven unumgänglich sind.
„die Leopard-, Abrams- und Challenger-Kampfpanzer des Westens können die Offensivkraft der Ukrainer deutlich stärken, sofern sie in ausreichender Stückzahl an die Front gelangen.“
Abschließend ist daher festzustellen: die Leopard-, Abrams- und Challenger-Kampfpanzer des Westens können die Offensivkraft der Ukrainer deutlich stärken, sofern sie in ausreichender Stückzahl an die Front gelangen, über ausgebildeten Besatzungen verfügen, eine gewisse logistische Reife hergestellt werden kann und genügend Munition zur Verfügung steht. Dem Westen muss aber glasklar sein, dass Bilder von vernichteten Westpanzern von russischer Seite propagandistisch massiv ausgenutzt werden. Und diese Bilder wird es geben.