Von First Person View-Drohnen bis hin zum massenhaften Einsatz unbemannter Flugmittel in der Nacht – der Krieg in der Ukraine ist längst zu einem „War of Drones” geworden. Und dieser „Krieg der Drohnen” wird 2024 wohl noch intensiver werden. Eine Vorschau mit aktuellen Trends und Entwicklungen.

In wenigen Wochen jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum zweiten Mal und der Ukraine-Krieg geht in sein drittes Jahr. Aus den ersten Wochen des Krieges blieben vor allem Bilder großer gepanzerter Verbände im Gedächtnis. Die Versuche mit mobiler Kriegsführung die Situation zu beeinflussen wurden vom immer stärkeren Einsatz von Artillerie abgelöst. Dass große Gebiete durch rasche Vorstöße binnen weniger Tage den Besitzer wechseln, blieb seit Kriegsbeginn die Ausnahme. Zudem haben die beiderseits zunehmende Knappheit an großkalibriger Munition und der Verlust und Verschleiß von Geschützen inzwischen zu einer deutlichen Verringerung des Kampfes mit artilleristischen Mitteln geführt.

Schon seit einiger Zeit beherrschen daher die deutlich günstigeren und in größeren Stückzahlen herstellbaren unbemannten Luftfahrzeug (UAV) das Geschehen am Gefechtsfeld – und auch im Hinterland. Allgegenwärtige Aufklärungsdrohnen sowie andere moderne Überwachungstechnik machen das Operationsgebiet für beide Seiten transparent. Bewegungen, bis hinunter auf die Ebene des einzelnen Soldaten, sind dem Gegner nicht mehr zu verbergen. Luftunterstützung in Form bewaffneter Drohnen ist jederzeit, Tag und Nacht, verfügbar. Was sich über den Köpfen der Soldaten tut, bestimmt das Geschehen. Und aller Voraussicht nach wird sich diese Entwicklung in den kommenden Monaten weiter manifestieren – wie unser Blick auf die Trends und bekannte Zahlen zeigt.

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FPV
Erste Versuche mit „First Person View”-Drohnen wurden durch die Ukrainer bereits im Sommer 2022 unternommen. Bei den damaligen Erprobungen im Gefecht wurden Großserien-FPV-Drohnen des chinesischen Herstellers DJI eingeführt. Per Video dokumentiert sind Aufklärungsflüge sowie ein Praxistest, bei dem eine FPV ausgestattet mit Gefechtskopf, als Kamikazedrohne, gegen einen russischen Unterstand eingesetzt wurde.
Im Herbst 2022 kamen dann aus der Ukraine erstmals auch Bilder von kostengünstigeren, erheblich leistungsfähigeren, aber fliegerisch auch deutlich anspruchsvolleren Eigenbau-FPV-Drohnen auf Basis von Modellbaukomponenten für den Hobby- und Sportbereich.

Die Erfolge waren im eigentlichen Sinn des Wortes „durchschlagend” und in der Ukraine wurden seitens der Streitkräfte Schulen und Trainingsprogramme eingerichtet, um Pilotennachwuchs zu generieren. Der Nachschub an FPV-UAVs kam weiterhin aus eher privat und kleinteilig organisierten Workshops, großteils finanziert aus Spenden.
Ergebnis war ein Wildwuchs an ähnlichem Gerät mit jeweils unterschiedlichen elektronischen und fliegerischen Eigenschaften.

Russland zog nach, wobei dort die Initiative anfangs deutlich stärker privat geprägt war als in der Ukraine. Die russische Armee war der Entwicklung gegenüber zunächst wenig aufgeschlossen, nur zögerlich wurde dieses neue Kampfmittel in der Truppe angenommen. Mittlerweile ist man aber auf beiden Seiten zur Großserien-Produktion und dem flächendeckenden Einsatz von FPV-Drohnen übergegangen.

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Beide Seiten behaupten von sich selbst und vom Gegner, dass die monatlichen Produktionszahlen inzwischen vom fünfstelligen in den sechsstelligen Bereich übergegangen sind. Verifizierbar ist das freilich nicht, aber selbst unter Berücksichtigung, dass aus unterschiedlichsten Gründen nur zwischen 10 und 30 Prozent der FPV-Flüge als militärisch wirksam eingestuft werden können, öffnet sich zwischen den angeblichen Produktionszahlen und veröffentlichten Videos beider Seiten eine immer größere Diskrepanz.

Während beide Seiten von einer russischen Monatsproduktion von 300.000 FPV-Drohnen sprechen, gibt es evidenzbasiert (veröffentlichte Videos, Zahlen zu erkannten und abgefangenen gegnerischen Drohnen) nur einige hundert erfolgte Einsätze im Monat. Dies jedoch zweifelsfrei mit deutlich steigender Tendenz. Und es gibt schon seit einiger Zeit genug FPV-Drohnen, um sie auch gegen einzelne Soldaten einzusetzen. Die absolute Zahl bleibt im Dunkeln, die Zahl der Einsätze steigt aber ständig.

Drohnen in der Nacht
Definitiv nachweisbar ist hingegen, dass FPV-Drohnen inzwischen auch – mithilfe von Wärmebildkameras – in der Nacht zum Einsatz kommen. Hier ist Russland Vorreiter gewesen und die Ukraine ist dabei nachzuziehen. Ob das mittelfristig auf Seiten der Ukraine dazu führen wird, dass von der bisher – und schon seit Jahren – ausgeübten Praxis, in der Dunkelheit die großen und erheblich teureren Baba Jaga genannten großen Copter-Drohnen (Spannweite mehr als zwei Meter und Nutzlast mehr als fünf Kilogramm) einzusetzen, abgegangen wird, muss die Zukunft zeigen. Aus Russland gibt es zum Thema Großcopter-Drohnen zwar Videos über die Instandsetzung und Erprobung von Beutegerät, zu einem großen Einsatz dieser Drohnen-Type kam es aufseiten Russlands aber bislang nicht. Mehr als russische Factfinding-Missions nach China, wo dieser Drohnentyp – abgeleitet von zivilen Agrardrohnen – ebenfalls produziert wird, sind nicht erkennbar.

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Erkennbar ist in jedem Fall die Tendenz, dass es – vermutlich aus Kostengründen und auch aufgrund beschränkter Verfügbarkeiten – zu spezifischen Tag- und Nachtmodellen im Drohnenkrieg kommt. Die in geringerer Zahl vorhandenen Drohnen mit den teureren Wärmebildmodulen bleiben tagsüber am Boden, da sie für die Truppe wesentlich schwerer zu ersetzen sind.

Masse gegen Vielfalt
Nach wie vor setzt die Ukraine auf eine sehr viel größere Vielfalt an Drohnen als Russland. Ob die Ukraine hier aus der Not eine Tugend macht, bewusst diese Freiräume gibt, um in der Praxis die Effektivität der einzelnen Geräte beurteilen zu können, oder dies eventuell ein Konzept ist, um die russische Flug- und Elektronikabwehr immer wieder vor die Herausforderung geänderter Signaturen und Frequenzen zu stellen, ist unklar.

Russische Spezialisten für die elektronische Kampfführung veröffentlichen relativ regelmäßig einen Katalog über die im Einsatz befindlichen ukrainischen Drohnen. Allerdings ist auch diese Aufstellung, in der inzwischen mehr als 70 Geräte in elf Klassen aufgeführt sind, höchst unvollständig.

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Dass neue Modelle, die zu Propagandazwecken der Öffentlichkeit präsentiert werden, auch wirklich zum Einsatz kommen, wird oft erst nach Monaten erkennbar, wenn das Gegenüber Fotos von abgeschossenen oder abgestürzten Systemen präsentiert.

Beide Seiten erzielen mit ihren Mitteln immer wieder spektakuläre Erfolge und nur allzu oft sind die Kosten, Entwicklungs- und Fertigungszeiten der UAVs geradezu abstrakt marginal, gegenüber den hochkomplexen, teuren und nur mit langer Vorlaufzeit zu produzierenden Waffensystemen, die durch Drohnen zerstört werden.

Während die Ukraine weiterhin gezwungen ist, ihre Drohnenproduktion dezentral und kleinteilig zu organisieren – das gesamte Land liegt in Reichweite russischer Lenkflugkörper – hat Russland große Produktionsstätten eingerichtet und ausgebaut. Die russische Version der iranischen Shahed-136 (Geran-2) beispielsweise wird in einer Sonderwirtschaftszone in Jelabuga bei Kasan produziert. Die Produktionszahlen sind nicht bekannt, eine hohe dreistellige Zahl pro Monat dürfte aber bereits erreicht sein.

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Bei LLC STC (Special Technology Center) in St. Petersburg wiederum wird in immer größeren Stückzahlen die Orlan-Drohne produziert. Sie ist so etwas wie das „Schweizer Taschenmesser” der russischen Drohnen und kann an eine Vielzahl von Aufgaben angepasst werden.

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Auch die Zala Aero Group produziert ihre Lancet-Drohnen weit außerhalb des ukrainischen Einflussbereiches in einem ehemaligen Einkaufszentrum in Izhevsk im Osten von Kasan. Auch hier liegt die Produktionsrate mindestens im dreistelligen Bereich pro Monat.

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Jet und AI
Mit Blick auf die Produktionsdetails der Drohnen zeichnen sich zwei größere Entwicklungen ab: Antriebsseitig scheint sich auf der Kurzstrecke der Elektromotor mit Propeller durchzusetzen. Für Einsatzzeiten die deutlich über 90 Minuten bis zwei Stunden hinaus gehen, und Einsatzradien, die 100 Kilometer deutlich überschreiten, wird hingegen vor allem auf Kolbenmotoren mit Propeller zurückgegriffen. Inzwischen hat die Ukraine mit den UAV Typen UJ-23 und UJ-25 aber auch zwei Drohnen im Einsatz, die einen kleinen Turbojet als Antrieb nutzen. Die Reichweiten der Modelle mit Kolbenmotoren können dabei nicht erreicht werden, dafür aber deutlich höhere Geschwindigkeiten als das mit Propeller möglich wäre.

Russland könnte hier nachziehen, zumindest wird das mit der Präsentation der Shahed-238 im Iran erwartet. Im russischen Fernsehen wurde von Spitzengeschwindigkeiten zwischen 600 km/h und 800 km/h gesprochen. Auch hier muss man gegenüber den von Kolbenmotoren angetriebenen Modellen Shahed-131 (Geran-1) und Shahed-136 von einer deutlich reduzierten Reichweite ausgehen, diese liegt aber trotzdem bei mindestens 200 Kilometer, eventuell sogar mehr als 300 Kilometer.

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Was den Einsatz Künstlicher Intelligenz (AI) betrifft, stellt sich die Frage „ob” nicht mehr, sondern nur noch „wann”. Die Drohnen sollen dabei teilunabhängig von Bediener- und Steuersignalen werden. Vor dem Start werden Zielgebiet und Bilder/Signatur vorrangiger Zielobjekte in den Speicher geladen, zum Beispiel ein Luftabwehrsystem gegenüber einer Artillerieeinheit. Kommt es zu einer Unterbrechung des Steuersignals – bisher gleichbedeutend mit Absturz und Totalverlust der Drohne – führt die Drohne dann aber selbstständig die weitere Suche und einen möglichen Angriff entsprechend der gespeicherten Signatur durch.

Der Lancet-Hersteller Zala führt mit Blick darauf bereits seit einiger Zeit Entwicklung und Erprobung eines neuen Modells, genannt Produkt 55 durch. Gegenüber den bisherigen Modellen, die von den Bedienern von Hand zusammen gesetzt und per Katapult gestartet werden, wird Produkt 55 aus einem Container starten, vergleichbar einer Flugabwehrrakete.

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Die Ukraine, die lange nach einer Abwehrmöglichkeit und Antwort auf Lancet gesucht hat, bereitet sich inzwischen auf die Produktion eines UAVs vor, dass das russische Vorbild deutlich übertreffen soll. Dem französischen Journalisten Xavier Tytelman wurde Einblick in diese Arbeiten gewährt. Die Drohne soll für kürzere Reichweiten mit Elektromotor und längere Reichweiten mit Kolbenmotor ausgestattet sein. Und wie Russland ist die Ukraine in Vorbereitung auf den Einsatz von Objekterkennung in Verbindung mit autonomer Angriffsfähigkeit.

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EloKa
Funkelektronische Aufklärung und funkelektronische Kampfführung sind seit langem Teil der Kriegsführung. Im Drohnenkrieg haben sie ein weiteres Spielfeld erhalten. Beide Seiten sind intensiv darum bemüht, den eigenen Kräften die Nutzung des funkelektronischen Spektrums zu ermöglichen und sie dem Gegner zu verwehren. Zum Einsatz kommt dabei eine breite Palette an Technik beginnend von Systemen, die ein einzelner Soldat tragen und bedienen kann, als auch in Fahrzeugen integrierte Hochleistungssysteme.

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Die Bandbreite beginnt dabei – wie auch bei den Drohnen – bei recht einfachen, zivil erhältlichen Produkten, die in Größe und Kosten beispielsweise für den Schutz von Industrieanlagen gedacht sind. Dazu kommen rein militärische Produkte, die sowohl in Wirksamkeit, als auch mit Blick auf die Kosten, in einer anderen Kategorie anzusiedeln sind.

Als durchwachsen dürften die beidseitigen Bemühungen zum automatischen Schutz von einzelnen Fahrzeugen zu bezeichnen sein. Zumindest steht den immer wieder mal fotografisch dokumentierten Versuchsträgern bisher kein wahrnehmbarer Erfolg gegenüber – die erfolgreichen FPV-Angriffe auf Fahrzeuge sind beständig im Steigen.

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Auch wenn klar verifizierbare Zahlen fehlen, so entsteht durch die Erwähnungen von den Einsätzen von EloKa-Gewehren und „Kuppeln” genannten Großgeräten, wie Bukovel-AD, für größere Bereiche schon der Eindruck, dass mit Jammern ein gewisses Ausmaß an Schutz vor Drohnenangriffen hergestellt werden kann. Russen und Ukrainer setzen hier in unterschiedlicher Gewichtung auf beide Varianten.

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Erst im Oktober hatte der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine, Valerij Fedorowytsch Zaluzhnyi, einen Kapazitätsaufbau zur Überwachung der radioelektronischen Situation sowie Verbesserung bestehender und Entwicklung neuer inländischer EloKa-Komplexe zur Durchführung „elektromagnetischer Kriegsführung” im gesamten „elektromagnetischen Spektrum” eingefordert.

Quelle@Archiv