Die islamische Republik Iran und die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) haben – knapp vor dem angekündigten Ausstieg Teherans aus dem Zusatzprotokoll zum Atomabkommen von 2015 – eine vorübergehende Vereinbarung getroffen, um die Auswirkungen der Entscheidung Teherans zu mildern, bestimmte damals festgelegte Überwachungsregimes zu beenden.

Die internationalen Inspekteure dürfen demnach Irans Atomprogramm weiter überwachen, aber nicht so eng wie bisher – und das auch nur für vorerst weitere drei Monate. Gleichzeitig hat die IAEO festgestellt, dass der Iran nach dem US-Ausstieg aus dem Abkommen im Mai 2019 schrittweise alle technischen Vorgaben ignoriert hat. So habe die Regionalmacht mit höherer Urananreicherung sowie Produktion von Uranmetall begonnen, arbeite nun mit schnelleren Zentrifugen und lagere weitaus mehr Uran als im damaligen Atomdeal erlaubt.

@IRNA
Präsident Hassan Rohani beim Besuch einer iranischen Atomanlage.

Der offizielle Iran steht auf dem Standpunkt, dass vor seiner vollen Rückkehr zum Nuklearabkommen von 14. Juli 2015, die USA und die sogenannten E3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) sämtliche Sanktionen und Einschränkungen beenden müssen, sozusagen zuerst zurückkehren müssten. So erläuterte es Außenminister Zarif in einem englischsprachigen TV-Interview (siehe Video). Nach den Gesprächen in Teheran am 21. Februar gab der Generaldirektor der IAEO, Rafael Mariano Grossi, dann bekannt, dass der Iran und die Agentur ein „vorübergehendes bilaterales technisches Verständnis” erzielt hätten, welches es der Agentur ermöglicht, ihre notwendigen Überprüfungs- und Überwachungsaktivitäten fortzusetzen – für drei Monate”. Grossi beschrieb die technische Regelung als „angemessenes Ergebnis, welches eine instabile Situation stabilisieren wird”. Die IAEO-Inspektoren werden weiterhin im Iran anwesend sein und sogenannte „Schnellinspektionen” sind weiterhin zulässig.

Die Vereinbarung wurde nur zwei Tage vor der Aussetzung des Zusatzprotokolls und der darin bestimmten spezifischen Überwachungsmechanismen, die im Nuklearabkommen enthalten sind und als gemeinsamer umfassender Aktionsplan JCPOPA (Joint Comprehensive Plan of Action) bekannt sind, getroffen. Jenes zusätzliche Protokoll ist ein eindringlicherer Satz von Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen, mit denen Inspektoren einen besseren Zugang zu Standorten und Informationen über das Nuklearprogramm eines Landes erhalten, um das Fehlen nicht deklarierter Nuklearmaterialien und etwaig vermutete Aktivitäten in Richtung Nuklearwaffenfähigkeit zu überprüfen. Es baut auf dem umfassenden Schutzabkommen (CSA) eines jeden Landes auf, wie im Atomwaffensperrvertrag vorgeschrieben. Laut der Ankündigung vom 21. Februar wird der Iran seinen CSA weiterhin umsetzen, damit die Inspektoren Zugang zu Standorten haben, an denen der Iran Kernmaterial produziert und lagert.

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Der Iran hat aber auch bestimmte JCPOA-Anforderungen ausgesetzt, die über das Zusatzprotokoll und ein Schutzabkommen hinausgehen, einschließlich der kontinuierlichen Überwachung an Schlüsselstandorten und der Echtzeitüberwachung der Anreicherungsniveaus. Die iranische Atomenergieorganisation (AEOI) verlautete am selben Tag, sie werde „weiterhin bestimmte Informationen aufzeichnen und sammeln und diese Daten an die IAEO weitergeben, wenn Sanktionserleichterungen gewährt werden.” Die Daten werden aber gelöscht, wenn die Sanktionen innerhalb der drei Monate nicht vollständig aufgehoben werden. Nun verfügt die IAEO zwar über Technologien, mit denen Manipulationen an Überwachungsgeräten verhindert werden können. Es ist jedoch nicht klar, ob diese verwendet werden (dürfen), um sicherzustellen, dass die gesammelten Daten nicht geändert wurden. Herr Grossi scheint jedoch Vertrauen in die Vereinbarung zu haben und stellt fest, dass „die Agentur damit diesen Zeitraum bestmöglich überbrücken kann”.

Während der Verlust der Überwachung zwar von negativer Bedeutung ist, verringert die vorübergehende Regelung den Schaden, der durch die Aussetzung des Zusatzprotokolls und anderer Maßnahmen verursacht wird, und sollte das Fenster für diplomatische Maßnahmen zur Wiederherstellung der vollständigen Umsetzung des JCPOA offenhalten. Der Erhalt der in den drei Monaten iranischerseits gesammelten Daten aus der vorübergehenden Vereinbarung, sollte der IAEO helfen, eine Aufzeichnung der iranischen Nuklearaktivitäten zu rekonstruieren – wenn beziehungsweise sofern das Abkommen wiederhergestellt werden kann.

@White House
US-Präsident Donald Trump verkündete 2018 den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran medienwirksam.

Reaktionen
Der neue Sprecher des US-Außenministers Anthony Blinken, Ned Price, sagte während eines Briefings am 22. Februar, die USA seien „zwar besorgt über die Entscheidung des Iran, aber wir unterstützen die Bemühungen des Generaldirektors der IAEO voll und ganz”. US-Präsident Joe Biden selbst hat kürzlich seine Position zur Handhabe einer prinzipiellen Diplomatie mit dem Iran bekräftigt, um die vollständige Umsetzung des JCPOA wiederherzustellen. Während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2021 erklärte er: „Wir sind bereit, die Verhandlungen mit der P5 + 1 über das iranische Atomprogramm wieder aufzunehmen.” Die USA sagten dann am 18. Februar, dass sie eine Einladung der EU annehmen würden, an Gesprächen mit dem Iran und den anderen Teilnehmern des Atomabkommens von 2015 teilzunehmen, wenn ein solches Treffen arrangiert würde. Es wurde aber noch kein Datum für ein Treffen zwischen den JCPOA-Parteien und den Vereinigten Staaten festgelegt.

In einer Erklärung des französischen, deutschen und britischen Außenministers vom 23. Februar wurde die Entscheidung des Iran, wichtige Überprüfungsmaßnahmen weiter auszusetzen, als „gefährlich” bezeichnet und erklärt, sie werde „die Fähigkeit der IAEO einschränken, das iranische Atomprogramm zu überwachen und zu überprüfen”. Die Minister forderten den Iran auf, „alle Maßnahmen umzukehren, die die Transparenz verringern”. Das chinesische Außenministerium begrüßte am 22. Februar die vorübergehende Vereinbarung. Sprecher Wang Wenbin forderte alle Parteien auf, „ruhig zu bleiben und Zurückhaltung zu üben und Raum für diplomatische Bemühungen zu lassen”. Optimistischer klang der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg: „Der Patient, der Wiener Atom-Deal, ist stabilisiert, und jetzt müssen wir sehen, dass wir den Genesungsprozess einleiten. Die EU sollte helfen, die ‚Pattsituation‘ aufzulösen, die es zwischen den Vereinigten Staaten und Iran gibt.”

Die iranischen Verhandler – Außenminister und die iranische Atomenergieorganisation (AEOI) – sind aber nicht die letzte Instanz. Das in allen strategischen Belangen letzte Wort hat stets der oberste geistliche Führer. Und Ajatollah Ali Khamenei sagte am 22. Februar im Staats-TV sehr deutlich: „Der Iran wird sich von der arroganten und unfairen Kritik der Amerikaner und Europäer nicht einschüchtern lassen. Der Urananreicherungsgrad des Iran wird nicht auf 20 Prozent begrenzt sein und bei Bedarf könnten wir ihn sogar auf bis zu 60 Prozent erhöhen!”  Er unterstrich aber – wieder einmal –, dass der Iran nicht beabsichtige sein hochangereichertes Uran waffenfähig zu machen.

@PMIRV
Historischer Moment: Im Sommer 2015 unterzeichneten Vertreter der fünf UN-Vetomächte, Deutschlands und des Iran in Wien das Atomabkommen mit dem Iran.

IAEO identifizierte Uran an nicht deklarierten, aber nicht aktuellen Orten
Alle EU-Minister äußerten sich gleichzeitig ähnlich besorgt über die jüngsten Maßnahmen des Iran zur Herstellung von Uranmetall und Uran, das mit bis zu 20 Prozent Uran-235 angereichert ist (siehe unten). Sie forderten den Iran außerdem auf, die Konsequenzen seiner Entscheidung, den Zugang zur IAEO zu beschränken, nochmals zu prüfen.

Die IAEO beantragte erstmals im Jänner 2020 den Zugang zur Inspektion der beiden Standorte, die nicht Teil des erklärten iranischen Nuklearprogramms sind. Der Iran stoppte den Antrag, bis im August eine Einigung zwischen Teheran und der Agentur über die Gewährung des Zugangs erzielt wurde. Der erste Antrag auf Zugang im Januar 2020 erfolgte, nachdem die IAEO 2019 an einem nicht angemeldeten Standort Spuren von Uran entdeckt hatte. Die Untersuchung der IAEO zu diesen Einrichtungen beruht wahrscheinlich auf Informationen, die Israels Dienste aus dem Iran gestohlen haben und die dann 2018 von der IAEO überprüft wurden.

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Quelle@sina drakhshani on Unsplash, IRNA, Militär Aktuell, White House, PMIRV, Press TV