Namen wie Wien-Aspern oder Wiener Neustadt sind untrennbar mit der Geschichte der frühen österreichischen (Militär-)Luftfahrt verbunden. Doch kaum jemand weiß, dass sich nur wenige Kilometer vom heutigen Wiener Flughafen entfernt eine weitere Wiege der heimischen Aviatik befand. Militär Aktuell beleuchtet die Geschichte der Militäraeronautischen Anstalt Fischamend, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

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Totalansicht der Militäraeronautischen Station Fischamend.

Der Wasserturm ist eines der Wahrzeichen der kleinen Stadt Fischamend, die etwas östlich des internationalen Flughafens Schwechat liegt. Wenn man an ihm vorbeifährt, erblickt man ganz in der Nähe einige historisch anmutende Gebäude, wie etwa das Volksheim. Und folgt man der parallel zum Turm verlaufenden Flugfeldstraße bis zu deren Ende, steht man plötzlich vor einer halb verfallenen alten Fabrikhalle – ohne jeden Hinweis, was es damit auf sich hat. Doch alle soeben aufgezählten Objekte haben eine gemeinsame Geschichte, wie Rudolf Ster im Gespräch mit dem Autor schildert. Der Lokalhistoriker ist Obmann der Interessensgemeinschaft Luftfahrt Fischamend (kurz ILF), die er 2016 mit seinem 2022 leider viel zu früh verstorbenen Freund, Hauptmann a. D. Reinhard Ringl, gründete. „Sowohl der Wasserturm als auch die von Ihnen genannte Halle, die übrigens unter Denkmalschutz steht, und unser heutiges Volksheim gehörten einst zur Militäraeronautischen Anstalt Fischamend. Das Volksheim war das Offizierskasino”, weiß Ster, der darauf verweist, dass das daneben befindliche einstige Offizierswohnheim heute als ganz normales Wohnhaus genutzt wird.

„Bei der k.u.k. Militäraeronautischen Anstalt Fischamend handelte es sich um die größte Luftfahrtforschungsstätte der gesamten Donaumonarchie”, so Ster weiter, während er bei meinem Besuch in den Räumlichkeiten des kleinen aber feinen Museums der ILF in Fischamend historische Karten, Dokumente und Fotografien ausbreitet.

Die Anfangsjahre
Ursprünglich wurden die Ballonfahrer und Ballonbeobachter der k.u.k. Armee im Arsenal im damaligen 10. Wiener Gemeindebezirk (in einem Teil dieser Anlage ist seit dem 19. Jahrhundert das Heeresgeschichtliche Museum untergebracht) ausgebildet. Als der Platz dort nicht mehr ausreichte, machte man sich auf die Suche nach einem neuen Standort außerhalb der Hauptstadt des Kaiserreiches.

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Ein vom ILF erstelltes Diorama der historischen Anlage.

Fündig wurde das Militär in Fischamend, das damals noch aus den beiden Gemeinden Fischamend-Dorf und Fischamend-Markt bestand. Ster: „Unter Bürgermeister August Schütz bewarb sich der östliche Teil der heutigen Stadtgemeinde darum, als Standort auserkoren zu werden.”

Die Flieger-Offiziere Franz Hinterstoisser (nach ihm ist seit 1967 der Fliegerhorst im steirischen Zeltweg benannt) und Hans Hauswirth führten die Verhandlungen über die erforderlichen Grundstückskäufe mit der Gemeinde.

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Das k.u.k. Militärluftschiff M.I Parseval im Jahr 1910.

Vor 115 Jahren, im Jahr 1909, wurde die k.u.k. Militäraeronautische Anstalt Fischamend dann offiziell aus der Taufe gehoben. Der ausgebildete Ballonfahrer und Vizepräsident des Österreichischen Aero-Clubs, Franz Hinterstoisser, wurde der erste Kommandant dieser Einrichtung. Sein Kamerad Hans Hauswirth, ebenfalls Militär-Luftschiffer, übernahm die Leitung der dort lokalisierten Luftschifferstation Fischamend. „Zwei Jahre später wurde Hauswirth Interimskommandant des Ballonkaders, 1913 übernahm er schließlich dessen Führung”, erläutert Rudolf Ster.

Markus Reisner: „Wir schreiben gerade Geschichte“

Nachdem die Verträge mit der Gemeinde in trockenen Tüchern waren, begann sofort die Errichtung der Infrastruktur – und die Medien der damaligen Zeiten berichteten ausführlich darüber – so etwas gab es schließlich nicht alle Tage.

Als erstes wurden das Flugplatzgelände selbst, eine Luftschiffhalle, ein Gasdepot und ein Wachlokal errichtet. Sobald die Luftschiffhalle betriebsbereit war, rüstete man den zur Typenerprobung bestellten Motorballon vom Typ M.I Parseval auf und begann mit Testfahrten. Außerdem wurden der Parseval und ein weiteres Modell, der M.II Lebaudy schon bald in Fischamend in Lizenz gebaut.

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Postkarte des Luftschiffs Lebaudy aus dem Jahr 1910.

Schon in den Jahren von der Gründung 1909 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 prosperierten Forschung und Luftfahrt in Fischamend. Man experimentierte mit Funkverbindungen und führte Landvermessungsflüge durch. Ster: „Hierzu setzte man das Photogrammetrie-Verfahren nach Theodor Scheimpflug ein.”

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Auch die Historische der Etrich Taube ist eng mit Fischamend verbunden.

Zahlreiche Flugzeugtypen – darunter auch die legendäre Taube des sudetendeutschen Österreichers Igo Etrich – und Motoren wurden hier gebaut, erprobt und eingeflogen. Neben Aspern und Wiener Neustadt war Fischamend in diesen Tagen DAS Zentrum der Luftfahrt im österreichischen Teil der Monarchie. Die Anstalt verfügte sogar über Anschlussgleise zur Bahn, die ins rund 40 Kilometer entfernte Pressburg (heute besser bekannt unter der slowakischen Bezeichnung Bratislava) führte. Die heutige Hauptstadt der Slowakei lag damals im zu Ungarn gehörenden Teil der Monarchie.

Die Körting-Katastrophe
Am 20. Juni 1914 ereignete sich nahe Fischamend eine der größten Tragödien der Luftfahrt der damaligen Tage. Am Morgen dieses Samstags erhob sich das Luftschiff Körting von der Militäraeronautischen Anstalt aus in die Lüfte. An Bord befanden sich sieben Personen, Kommandant der Mission war der 35-jährige Oberleutnant Hans Hauswirth, der nur drei Tage später seinen 36. Geburtstag gefeiert hätte. Das Luftschiff stieg auf eine Höhe von rund 300 Metern und nahm Kurs auf den in der Nähe gelegenen Königsberg. „Die Fahrt erfolgte spiralförmig, da der Zweck des Fluges Vermessungsaufnahmen nach der Methode von Theodor Scheimpflug waren”, kennt Ster die Details.

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Lohner B-II aus Fischamender Produktion.

Währenddessen näherte sich ein von Feldpilot Ernst Flatz gesteuerter Doppeldecker vom Typ Farman HF-20 dem Luftschiff in rasendem Tempo. Flatz war als Haserdeur bekannt und umkreiste die Körting mehrfach in geringem Abstand. Dabei kam es zur Tragödie: Das Flugzeug kollidierte mit dem Luftschiff und stürzte ab. Flatz und sein Beobachter kamen ums Leben. Zunächst schien es, als hätte die Körting die Kollision halbwegs heil überstanden, doch nachdem sie einige Sekunden ruhig weiter geschwebt war, gab es plötzlich eine Explosion und eine gewaltige Stichflamme schoss in den Himmel empor. Zeugen am Boden beobachteten wie die Besatzung aus dem Korb an den Seilen nach oben kletterte und verzweifelt um Hilfe rief, während die in Flammen und schwarzen Rauch gehüllte Körting zu Boden stürzte. Alle sieben Männer an Bord starben den Fliegertod. Die Opfer wurden mit höchsten militärischen Ehren in einem bis heute erhaltenen Ehrengrab (Gruppe 0, Reihe F, Nummer 1) auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Eine Ehrenformation der österreichischen Luftstreitkräfte überflog den Friedhof während der Trauerfeierlichkeiten und warf Blumen ab.

Der Erste Weltkrieg
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges rund einen Monat später, am 28. Juli 1914, ließ das Unglück in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund rücken und brachte zugleich einen weiteren Schub an Forschung und Entwicklung in Fischamend, weiß Experte Ster zu berichten: „Es gab eine massive Ausweitung in vielerlei Hinsicht, sowohl in personeller als auch in materieller Natur.”

Die Produktion verschiedener Typen wurde hochgefahren, außerdem diente die Militäraeronautische Anstalt Fischamend als Werftbetrieb, in dem beschädigte Flugzeuge wieder instand gesetzt wurden.

Von großer Bedeutung war zudem der Windkanal samt Prüfstand für Propeller. Die besten Wissenschaftler, Konstrukteure und Techniker ihrer Zeit, wie Richard Knoller, Theodore von Kármán, Stephan Petróczy von Petrócz oder der legendäre Ferdinand Porsche aus Maffersdorf bei Reichenberg in Böhmen arbeiteten und wirkten hier. Rund 300 Offiziere sowie 5.000 Mannschaften und Zivilisten waren an dieser Stätte tätig.

Rudolf Ster: „Das letzte wirklich große Forschungsprojekt in dieser Einrichtung war die Entwicklung von Hubschraubern. Sogenannte Beobachtungs-Fesselhubschrauber sollten nämlich die bisher üblichen mit Gas gefüllten Beobachtungsballons ersetzen.”

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Diese PKZ2-Fesselhubschrauber sollten Beobachtungsballone überflüssig machen.

Das Ende
Mit der Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg im November 1918, dem damit einhergehenden Zerfall der Donaumonarchie und der folgenden Wirtschaftskrise endete die Blütezeit der Luftfahrt in Fischamend, die nur neun kurze – aber intensive – Jahre lang gedauert hatte. In den 1920er-Jahren starteten und landeten zwar noch einige Polizeiflieger auf dem Flugfeld Fischamend und diverse Unternehmungen siedelten sich an, aber an die glanzvolle Zeit aus den Tagen der Monarchie konnte man nicht mehr anknüpfen.

Mit dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 nutzten die Wiener Neustädter Flugzeugwerke (WNF) die Einrichtung als Außenstelle – was allerdings unter anderem zur Folge hatte, dass Fischamend als legitimes Kriegsziel von den Alliierten bombardiert wurde. Diese Angriffe forderten leider auch unter der Zivilbevölkerung viele Opfer, derer seither mit einem eigenen Denkmal bei der Kirche gedacht wird.

Was bringt die Neutralität heute eigentlich noch?

Bei der Befreiung Österreichs 1945 lag Fischamend in der sowjetischen Besatzungszone und die Russen demontierten Fabrikhallen und Produktionseinrichtungen der einstigen k.u.k. Militäraeronautischen Station, um sie in die Sowjetunion zu verbringen. Mit anderen Worten: Sie plünderten alles, was nicht niet- und nagelfest war. In dieser Zeit waren die Menschen nach sechs Jahren Krieg mit dem Überleben und dem Wiederaufbau beschäftigt, während dem besetzten Österreich die Luftfahrt ohnedies weitgehend verboten war.

Als Österreich 1955 seine Souveränität nach zehn Jahren Besatzung endlich wiedererlangt hatte – die Zustimmung zur sogenannten „immerwährenden Neutralität” war eine Forderung der Sowjets, ohne deren Erfüllung die Rote Armee Österreich nicht verlassen hätte, eine Erpressung gewissermaßen – lag die einstige Militäraeronautische Anstalt Fischamend ausgeplündert in Trümmern. Der frühere Stolz der k.u.k. Militärluftfahrtindustrie hatte endgültig aufgehört zu existieren.

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Blick von oben: Das Areal derMilitäraeronautischen Anstalt Fischamend.

In den folgenden Jahrzehnten wurden die Gebäude der Einrichtung zum größten Teil geschleift. Auf dem Areal entstanden neue Wohnbauten, Supermärkte und Schulen. Nur einige wenige architektonische Zeitzeugen dieser einst größten Luftfahrtforschungsanstalt der Monarchie haben die Zeit überdauert. Dazu gehören der eingangs erwähnte Wasserturm, eine alte Werkshalle (das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wird in der Literatur auch als „Konstruktionsbüro” bezeichnet), einige wenige Wohnbauten für Offiziere und Mannschaften sowie das ehemalige Offizierskasino. Zusätzlich erinnern die Flugfeldstraße und die Parsevalstraße an die glorreichen Tage der Fischamender Luftfahrt.

Temporäre „Wiedergeburt” 2009
Ein allerletztes Mal, vor mittlerweile 15 Jahren, flammte diese untergegangene Epoche noch einmal für einen kurzen Zeitraum auf. Auf Initiative des damaligen Leiters des Fischamender Heimatmuseums, Franz Lorenz, der mit Unterstützung vieler helfender Hände, darunter natürlich auch die lokalen Fischamender Luftfahrthistoriker Rudolf Ster und Reinhard Ringl, den Jubiläumsflugtag „100 Jahre Luftfahrt in Fischamend” auf die Beine stellte, starteten und landeten auf dem Areal der einstigen Militärearonautischen Anstalt Fischamend für zwei Tage lang wieder Flugzeuge. Das Bundesheer war mit einer Pilatus PC-6 Porter vertreten.

@Patrick Huber
Sieht gut aus, dieser Nachbau einer Albatros D.III ging 2009 beim Jubiläumsflugtag allerdings (noch) nicht in die Lüfte.

Einer der Höhepunkte dieser einzigartigen Veranstaltung war sicherlich der Nachbau eines Öeffag Albatros D.III von Koloman Mayrhofer. Zwar flog die Maschine damals noch nicht, allerdings versetzte der Klang ihres originalen Austro Daimler Motors mit der Nummer 23605 die Besucher in Staunen. Dieser 6-Zylinder-Vierventiler mit 16 Litern Hubraum und 225 PS war einst von Ferdinand Porsche entworfen und im Jahr 1918 bei Austro Daimler in Wiener Neustadt gebaut worden.

Dank Unterstützung des Fischamenders Gerhard Gruber, seinerzeit im Hauptberuf Flugplatzbetriebsleiter auf dem Flughafen Wien, und im Nebenberuf Linienpilot, erhielt der Flugplatz Fischamend zwei Tage lang sogar die internationale ICAO-Kennung LOWF!

@Patrick Huber
Dieser Gedenkstein erinnert an die Jubiläumsflugtag „100 Jahre Luftfahrt in Fischamend” im Jahr 2009.

Noch im gleichen Jahr wurde an diesem Ort ein Gedenkstein errichtet. Der nächste Jubiläumsflugtag soll, geht es nach den Wünschen der Veranstalter von 2009, im Jahr 2109 stattfinden – zum 200. Jahrestag der Gründung der Militäraeronautischen Antalt Fischamend.

Wir werden das bedauerlicherweise zwar nicht mehr erleben, doch bis dahin kann man alles über die Veranstaltung zum 100. Jubiläum im Bildband „Der historische Jubiläumsflugtag von Fischamend im Juni 2009” nachlesen. Das Buch ist über den Onlineshop des Verlages sowie unter Angabe der ISBN 978-3-758486-90-6 in jeder Buchhandlung erhältlich.

Quelle@Patrick Huber, Archiv ILF, gemeinfrei