Dutzende neue Häuser, kilometerlange Straßen, neue Simulatoren und eine Echtzeitauswertung, die alle Stückln spielt. Das Bundesheer fährt in der Urbanen Trainingsanlage Steinbach auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig ein massives Ausbauprogramm, um dort für die Kämpfe der Zukunft zu üben.
Eine gewaltige Explosion erschüttert die umstehenden Häuser, vom Hügel sind Maschinengewehrsalven zu hören, laut donnernd zieht ein F-18-Kampfjet im Tiefflug über die umkämpfte Ortschaft. Jetzt die Deckung zu verlassen, gleicht einem Selbstmordkommando und trotzdem heben die Männer ihre Köpfe. Sie rücken ihre Helme zurecht. Sekunden später verschwinden sie in einem dunklen Betonrohr, um einige Meter weiter in einem uneinsehbaren, mit Brennesselstauden dicht bewachsenen Bereich eines Hinterhofs wieder aufzutauchen. Die Überraschung scheint geglückt. Einzelne Schüsse sind zu hören, der Knall einer Handgranate, Rauch steigt auf. Dann hetzen mehrere feindliche Soldaten über die Straße und verschwinden in einem gegenüberliegenden Haus.
Was hier geübt wird? Der Kampf des 21. Jahrhunderts. Der spielt sich nämlich vermehrt nicht mehr in Wäldern, in alpinem Gelände und weiten Ebenen ab, sondern in Häusern, Straßen, Ortschaften und großen Städten, wie Generalmajor Bruno Hofbauer, Leiter der Direktion Fähigkeiten und Grundsatzplanung im Generalstab des Bundesheeres, im Gespräch mit Militär Aktuell erklärt: „Schon die Kriege am Balkan in den 1990er-Jahren haben gezeigt, wie stark es in modernen Konflikten um Städte geht, und genau darauf müssen wir uns vorbereiten.” Es gilt also die Ausrüstung der Soldaten und des Heeres auf die Entwicklung abzustimmen, vor allem auch in der Ausbildung neue Schwerpunkte zu setzen, wie Hofbauer erklärt: „Die Fähigkeit, im urbanen Raum zu kämpfen, muss in Zukunft jeder Soldat der Kampftruppe in seiner jeweiligen Ausprägung beherrschen – vom Gebirgsjäger über den Luftlandesoldaten bis hin zum Panzergrenadier.”
Die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen dafür werden in den kommenden Jahren an gleich mehreren Standorten des Bundesheeres geschaffen, allen voran am Truppenübungsplatz Allentsteig. Dort konnten Soldaten auch schon in der Vergangenheit in der Urbanen Trainingsanlage Steinbach (UTA) den Ortskampf üben, nun wird die Übungsstadt massiv ausgebaut. In den vergangenen Monaten haben Pioniere, der Bau- und Bauinstandsetzungszug, der Pioniermaschinenzug sowie die Mitarbeiter der Zentralwerkstätte des Truppenübungsplatzes einen ganzen neuen Stadtteil in den Staub gestellt. Sie haben Dutzende neue Holzriegel-Häuser in die Höhe gezogen, Hunderte Meter neue Straßen aufgeschüttet und Leerverrohrungen für die Technik verlegt. Bald schon sollen die Häuserkulissen auch Dächer bekommen, sollen hier auch Straßenlaternen stehen, die Straßen asphaltiert, die Häuser verkabelt und mit Simulationstechnik ausgestattet werden. Straßenschilder, Zäune, Büsche und Bäume sollen für mehr Realitätsnähe sorgen, der Innenausbau der Gebäude möglichst variantenreich gestaltet sein und am Ortsrand ein großes Wasserrückhaltebecken geschaffen werden. Am äußersten Ende der neuen „Vorstadt Ost” nivellieren Bagger gerade das Terrain für weitere Häuser, ein Stück weiter trocknen frisch angelegte Streifenfundamente.
Mit Ende der Ausbaustufe soll der neue Bezirk mehr als 30 Bauten umfassen – von einer Tankstelle über Reihen- und Einfamilienhäuser bis hin zu Industriegebäuden, wie Truppenübungsplatz-Kommandant Oberst Herbert Gaugusch im Gespräch mit Militär Aktuell erklärt. Der Offizier lächelt: „Steinbach ist damit die schnellst wachsende Ortschaft im Waldviertel.” Allein im vergangenen Jahr wurden bei den Bauarbeiten knapp 600 Kubikmeter Holz und mehr als 7.700 Kubikmeter Steinbruchmaterial verarbeitet, das entspricht mehr als 1.500 Lkw-Ladungen!
Damit aber nicht genug: Im Westen von Steinbach entsteht, beginnend mit dem kommenden Jahr, noch ein weiterer neuer Stadtteil. Die dafür notwendigen Straßenbaumaßnahmen wurden bereits abgeschlossen. Und auch technisch hat das Heer die Urbane Trainingsanlage zuletzt ordentlich aufgerüstet: Mit unterschiedlichsten Waffenwirkungsdarstellungsgeräten lassen sich im Übungsgefecht nun auch „Roadside Bombs”, kleinere und größere Sprengkörper, Richtsplitterladungen sowie Spreng- und Stolperdrahtfallen simulieren. Landminen-Attrappen reagieren via Druckbelastung, -entlastung oder mittels Stolperdraht. Sogenannte „Magnetic Squibs” machen die Darstellung von Sprengkörpern an Fahrzeugen möglich und die „Remote Controlled Suicide Vest” erlaubt sogar realitätsnahe Übungsszenarien mit Selbstmordattentätern. Über Lautsprecher können die Geräusche tieffliegender Kampfflugzeuge und Hubschrauber eingespielt werden, Sensoren registrieren die Wirkung eingesetzter Waffen auf Gebäude und geben sie an die Simulationsausrüstung der Soldaten weiter. Es wird mit Pyrotechnik gearbeitet, mit Signal- und Darstellungsmunition, und damit der Übungseffekt möglichst hoch ist, wurden im ganzen Stadtgebiet mehr als 30 Kameras verbaut. „Wenn man einem Soldaten sagt, dass er sich in einer bestimmten Situation falsch verhalten hat, dann ist das das eine”, sagt Gaugusch. Wenn man ihm aber in der Echtzeitauswertung im Video zeigen kann, welchen Fehler er gemacht hat, dann ist der Lerneffekt ungleich größer.”
„Wir verfügen hier mittlerweile über eine hoch funktionelle Anlage, die sich auch vor internationalen Vorbildern nicht mehr zu verstecken braucht, und die längst auch nicht nur dem Bundesheer als Übungsgelände dient”, sagt Gaugusch weiter. Die Polizei greift ebenso gerne auf die vorhandenen Strukturen und Möglichkeiten zurück wie Rettung und Feuerwehr, die in den beiden Rette- und Bergeausbildungsanlagen etwa nach verschütteten Personen suchen. Das Heer selbst kann in den Straßen und Gebäuden unterschiedlichste Gefechtsszenarien in größerem und kleinerem Rahmen trainieren. In einem Dunkelkeller mit verschiebbaren Wänden lässt sich auch das Vorgehen in Untergeschoßen trainieren, in der Türaufbruch-Übungsanlage können Varianten zum Eindringen in Gebäude durchgespielt werden und im Stiegenhaus die Vorgehensweisen auf unterschiedlichsten Treppen und Stiegen. Der Eisenbahn- und Busbahnhof im Süden von Steinbach wird besonders vom Jagdkommando gerne genutzt, ein vorgelagerter Checkpoint mit Wachturm und ein etwas abseits gelegenes Camp ermöglichen zahlreiche weitere Übungs- und Trainingsszenarien.
An Ausbau- und Verbesserungsplänen mangelt es am Truppenübungsplatz trotz der enormen Bandbreite der bereits vorhandenen Strukturen nicht: Schon jetzt werden in einem großen Gebäude im Ortszentrum weitere Effekt- und Gefechtssimulationsmöglichkeiten wie Rüttelplatten auf ihre Praxistauglichkeit getestet. In Zukunft könnten in Steinbach professionelle Feinddarsteller für noch mehr Realitätsnähe sorgen, ein eigenes Echtzeitauswertungsteam (momentan verlegen entsprechende Teams bei Übungen nur tageweise auf den Truppenübungsplatz) den Trainingseffekt weiter steigern. „Wir wollen nicht unbescheiden sein”, sagt Gaugusch. „Es ist aller Ehren wert, was wir hier in den vergangenen Jahren parallel zu unseren anderen Aufgaben und Tätigkeiten und in Abstimmung und guter Zusammenarbeit mit allen Bedarfsträgern realisieren konnten und was für die nähere Zukunft auch noch geplant ist. Bis 2025 soll insgesamt eine Million Euro in die Trainingsanlage investiert werden und spätestens dann sollen hier auch Übungen im Bataillonsrahmen möglich sein.”
Bis dahin wird in Steinbach noch in kleinerem Rahmen gekämpft. Wieder steigt aus einem Gebäude Rauch auf. Eine Maschinengewehrsalve hallt durch die staubigen Straßen, dann – im Abstand mehrerer Sekunden – zwei einzelne Schüsse. Bei einem der Häuser weit hinten scheint sich ein Scharfschütze verschanzt zu haben. Die Soldaten, die vorhin das Gebäude vis-à-vis der kleinen Kirche erobert haben, machen sich bereit. Hinausgehen und sich der Bedrohung frontal nähern? Der Gruppenkommandant lächelt: „Nein, ganz sicher nicht. Es gibt hintenherum einen anderen Weg, der von der Position des Scharfschützen aus nicht einsehbar ist. Den werden wir nehmen. Man muss die sich bietenden Möglichkeiten des Geländes und der Bebauung zum eigenen Vorteil nutzen.”
Im Ernstfall kann das aber nur, wer das auch regelmäßig in möglichst realen Umgebungsszenarien trainiert – und genau deshalb nivellieren einige Hundert Meter weiter Bagger gerade das Terrain für ein weiteres Gebäude. Steinbach wächst.