Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigte kürzlich in einem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur DPA an, dass Polen auch weiterhin auf Reparationen für das erlittene Leid und die Schäden durch Angriffskrieg, Besatzung und Völkermord durch Nazi-Deutschland drängt.

Morawiecki erläuterte, er habe vor diesem Hintergrund die Gründung eines Forschungsinstitutes in die Wege geleitet, welches nach dem prominenten polnischen Widerstandskämpfer Jan Karski benannt werden soll. Er fügte hinzu, dass „das Thema nie vom Tisch war, weil Polen sehr schlecht behandelt wurde und bislang keine Reparationen erhalten” habe. Das Institut soll verschiedene bestehende Studien auf diesem Gebiet systematisieren und Ansprüche gegen Deutschland verfolgen. Dabei geht es insbesondere um die Studie einer Parlamentskommission, die 2017 eingesetzt wurde um die Kriegsschäden in dem 1939 von Nazi-Deutschland überfallenen und bis 1945 besetzten Land festzustellen. Ihr Vorsitzender Arkadiusz Mularczyk hat zwar die Arbeit bereits 2020 für beendet erklärt, Morawiecki zufolge ist die Kommission aber gebeten worden, weitere Informationen hinzuzufügen. Nach polnischen Schätzungen, die auf einer Bestandsaufnahme von 1946 plus Zinsen beruhen, belaufen sich die Schäden auf mindestens 800 Milliarden Euro. Gegenüber der DPA kündigte Morawiecki an, dass zwar noch keine Entscheidung darüber gefallen sei, was mit dem Bericht konkret passieren soll. „Fix ist aber, dass wir gegenwärtig alles vorbereiten, um ihn der Welt zu präsentieren.” Im Jahr 2019 ließ ein Mitglied genau jener Kommission mit der Aussage aufhorchen, dass der Gesetzentwurf tatsächlich 887 Milliarden Euro (1 Billion US-Dollar) übersteigen könnte.

@EU Mediapool
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gemeinsam mit der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Warschau ist in seinen Bemühungen um Reparationszahlungen übringens nicht alleine. Auch Griechenland erneuerte zuletzt Forderungen an Berlin. Ein Sprecher des Außenministeriums in Athen bestätigte, dass die „Frage am Tableau” bleibe.

Längst erledigt?
Aus deutscher Sicht gelten die Reparationsforderungen an Deutschland, die durch NS-Unrecht im Zweiten Weltkrieg entstanden sind, als längst abgegolten. Zwar war 1953 im so genannten „Londoner Schuldenabkommen” festgelegt worden, dass „weitere Regelungen deutscher Reparationszahlungen durch einen förmlichen Friedensvertrag geregelt” werden sollten – einen entsprechenden Vertrag hat es jedoch nie gegeben. Deutschland vereinbarte zudem Ende der 1950er-Jahre zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht mit zwölf Ländern Entschädigungsabkommen. Griechenland erhielt damals 115 Millionen D-Mark – unter Berücksichtigung der Inflation nach heutigem Wert knapp 300 Millionen Euro. Zu dem Reparationsverzicht von 1953, der auch von der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik unterzeichnet wurde, behauptet die polnische Seite, dass dieser nur unter Zwang von Moskau zustande kam, da beide Nationen zu dieser Zeit nicht souverän und Teil des Ostblocks der Sowjetunion waren.

Etwaige darüber hinausgehende Forderungen betrachtet die Bundesregierung spätestens mit dem sogenannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag” als abgegolten. Dieses Abkommen, das 1990 zwischen der DDR, der Bundesrepublik und den vier Siegermächten USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien zur deutschen Wiedervereinigung geschlossen wurde, behandelt das Thema Reparationen und Wiedergutmachungen aber ebenfalls nicht explizit. In einem Papier der Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages von 2017 heißt es jedoch: „Nach Ansicht der Bundesregierung (…) regelt der Vertrag gleichwohl auch Reparationsansprüche. Denn mit dem ,Zwei-plus-Vier’-Vertrag sei das im Londoner Abkommen von 1953 vorgesehene Moratorium bezüglich etwaiger Reparationsansprüche ‚ausgelaufen’.”

@Soim
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit Jaroslaw Kaczynski, dem ehemaligen Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.

Im Jahr 2018 behauptete der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, Jaroslaw Kaczynski, Polen habe seinen Anspruch auf Reparationen aus Deutschland nie aufgegeben. In Polen gerne unerwähnt bleibt hier die Westverschiebung der polnischen Grenze nach Kriegsende 1945. Polen wurde von den Alliierten halb Ostpreußen, zwei Drittel Pommerns, 90 Prozent Schlesiens und die Neumark zugesprochen.

Das Trauma mehrerer Teilungen und Auslöschungen
Andererseits kontern hier Polen – wie beispielsweise eine Historikerin des neuen Danziger Weltkriegsmuseums im September gegenüber dem Autor erwähnte – sofort und leidenschaftlich, dass diese Gebiete bis zum polnischen Trauma der Teilungen von 1792 und 1795 sowie dem Verschwinden Polens ursprünglich polnische Gebiete gewesen wären. Hier ist ein kurzer Geschichtsexkurs nötig: Nach dem Sieg der Preußen über den vom litauischen Reitergeneral Tadeusz Kosciuszko geführten Aufstand (gegen die Realität der Teilung 1792) eroberten sie unter General Alexander Suworow am 8. November 1795 Warschau und richteten dort ein furchtbares Blutbad unter Armee und Bevölkerung an. Berichte sprechen von 8.000 getöteten Soldaten und 12.000 Zivilisten.

Russland, Österreich und Preußen nahmen den Aufstand zum Anlass für eine totale Teilung sowie Beseitigung polnischer Staatlichkeit. Russland bekam die Gebiete östlich von Bug und Njemen (Memelland), Kurland und Litauen zugesprochen und schluckte damit die ruthenisch-ukrainischen Teile Polens, 62 Prozent des Landes und 45 Prozent der Bevölkerung. Österreich erhielt (als Kompensation für das an Frankreich verlorene Belgien), den Hauptteil Kleinpolens (Westgalizien), 18 Prozent des Landes oder rund 84.000 Quadratkilometer und 32 Prozente der Bevölkerung (insgesamt 2,67 Millionen Menschen). Darunter die wichtigen Städte Krakau, Sandomir, Lublin, Radom. Für Preußen blieb der Rest Polens, 20 Prozent des Landes und 23 Prozent der Bevölkerung – Pommern beziehungsweise Neuostpreußen und Neuschlesien, einschließlich Warschaus, welches die anderen Mächte wegen dessen Aufsässigkeit nicht haben wollten.

Friedrich II. durfte sich speziell als Gewinner fühlen, hatte er doch die seit Generationen von den Hohenzollern angestrebte Landverbindung nach Ostpreußen erhalten, deren überwiegend deutschstämmige Bewohner auch leicht zu integrieren waren. Zudem gewann er mit den Weichselzöllen die Kontrolle über den lukrativen polnischen Außenhandel über die Ostsee. In einem Zusatzvertrag einigen sich die Teilungsmächte 1797, auch den Namen „Polen” abzuschaffen. Damit verschwand der Name von den Landkarten, bis zur Wiederentstehung 1918. Gleich danach musste sich der neue Staat – überraschend auch militärisch siegreich – bis 1920 gegen die Rote Armee der ebenso neuen UdSSR behaupten. 1939 beendeten dann Hitler und Stalin aber bereits wieder Polens Existenz.

Leid- versus Heldengeschichten
Das alles sollte man wissen, wenn man die Polen – und das bis hinein in heutige EU-Spannungen – verstehen will. Das erwähnte 2017 auf der Danziger Stara Stocznia (Alte Werft) eröffnete und wirklich sehenswerte Museum des Zweiten Weltkrieges hilft dabei sehr, spiegelt es doch – so seine ursprünglich angelegte gesamte ganzheitlich didaktische Grundkonzeption – das Leid des polnischen Volkes vom Überfall 1939 über die grausame Besatzung, Zwangsarbeit und Verschleppung bis hin zum Untergrundkrieg durch die polnische „Heimatarmee” wieder. Die zivile Erfahrung des Krieges für alle Polen sollten gezeigt werden, auch aber im europäischen Kontext. Das Projekt von Stararchitekt Daniel Liebeskind hat – wie in privater Führung erläutert – eine halbe Milliarde Zloty (mehr als 100 Millionen Euro) gekostet und ist um einen zentralen „Graben” auf 5.000 Quadratmetern Fläche großteils unterirdisch angeordnet. Es handelt sich dabei um eine der größten historischen Museumsausstellungen der Welt. Eine Outdoor-Ausstellung mit Lehrpfad verbindet das Museum mit der Halbinsel Westerplatte, dem Küstenabschnitt an dem mit Beschießung und Truppenlandung durch das alte deutsche Schlachtschiff „Schleswig-Holstein” am Morgen des 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Nur wenige Gehminuten statdeinwärts befindet sich zudem die berühmte „polnische Post”, aus welcher bereits in den ersten Stunden des 1. September 36 Stunden lang und bis zum Ausräuchern Widerstand gegen die Danziger SS geleistet wurde. Die nutzte damals übrigens zwei Steyr ADGZ-Radpanzer, welche die Deutschen im Jahr zuvor in Österreich (zwölf Stück waren damals beim Bundesheer aktiv, sechs bei der Sicherheitswache und acht bei der Gendarmerie) übernommen hatten.

@Georg Mader
Zweifelhafter Österreich-Bezug: Die SS brachte zu Beginn der Kämpfe in Danzig auch zwei Steyr ADGZ-Radpanzer aus alten Bundesheer-Beständen zum Einsatz.

Zurück ins Museum: Dort werden schon im Eingangsbereich die Aggression, Eroberung und Unterdrückung Polens sowohl durch Nazi-Deutschland als gleichzeitig auch durch die Sowjetunion sicht- und spürbar. Aktuell tobt rund um die Deutungshoheit im Museum eine harte innenpolitische Auseinandersetzung. Denn der Zweite Weltkrieg ist in Polen der Dreh- und Angelpunkt nationalpolnischer Geschichtspolitik, man kämpft stets um die Opferrolle Polens. Und das durchaus hart und nicht erst seit dem Machtwechsel 2015 zur heute regierenden PiS-Partei von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Jene hatte – auch persönlich seitens ihrer „grauen Eminenz” Jaroslaw Kaczynski – von Anfang an dem Gründer und ersten Direktor des Museums Pawel Machcewicz vorgeworfen, das polnische Volk zu spalten. Der gewählte Ansatz – der beispielsweise auch polnische Massaker an Juden mit deutscher Billigung inkludiert – sei „ein Schlag gegen die polnische Ausnahmestellung und gegen das polnische Heldentum”, so Kaczynski. Die heutige politische Führung will vielmehr die Leistungen polnischer Truppen wie der polnischen Jagdpiloten in der „Luftschlacht um England” gewürdigt wissen. Oder die Erstürmung des monatelang den Weg nach Rom versperrenden Monte Cassino durch polnische Soldaten, die polnische Luftlandebrigade bei Arnheim, das kriegsentscheidende (allerdings 30 Jahre geheim gehaltene) Knacken der deutschen Rotor-Schlüsselmaschine Einigma zuerst in Polen und dann in Bletchley Park.

@Georg Mader
Polen stellte zahlreiche erfolgreiche Jagdflieger – zu ihnen zählte mit zwölf bestätigten Abschüssen auch Jan Zumbach (links im Bild), der hier vor seiner Spitfire mit Donald Duck-Symbol zu sehen ist.

Im Frühjahr 2017 feuerte der Kulturminister kurz nach der Eröffnung des Museums Direktor Machcewicz und tauschte seine Crew durch eine genehmere Mannschaft um Karol Nawrocki aus. Seitdem sind in der Schau auch die Heldentaten polnischer Soldaten inkludiert und in einem kleinen Animationsfilm wird das Selbstverständnis des Landes illustriert – als von zwei riesigen Pressen zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion zermalmter Staat, der der westlichen freien Welt im Krieg soviel geholfen hat und dann trotzdem hinter dem Eisernen Vorhang zurückgelassen wurde. Fazit: Der Krieg endete für Polen erst 1989!

„Battle of Britain” – die meisten Abschüsse erzielten Polen!
Apropos „Luftschlacht um England”: Es ist hierzulande wohl wenig bekannt, dass in der hochkritischen Phase der Luftkämpfe polnische Exil-Soldaten die erfolgreichsten Staffeln und Piloten mit den meisten Abschüssen deutscher Flugzeuge stellten. Nachdem sie in Polen selbst mit ihren veralteten PZL.11c 43 deutsche Maschinen (laut Bajan-Kommission) abgeschossen hatten und – nach ihrer Flucht mit 116 Flugzeugen nach Rumänien – im Kampf um Frankreich auf MS.406 nochmals rund 50 Maschinen, stellten die Polen im Sommer 1940 mit 149 – im Gegensatz zu vielen Briten – gut ausgebildeten Jagdfliegern in zwei Staffeln die zahlenmäßig stärkste Gruppe ausländischer Piloten in der britischen Tagjagd. Ihre in Northolt bei London stationierte Staffel 303 (polnische 303 Dywizjon Myśliwski „Warszawski im. Tadeusza Kościuszki”), durfte sich nach anfänglichem versnobten britischen Mißtrauen und zweifellos notwendigem Sprachtraining mit ihren Hawker Hurricane erst spät an den Kämpfen beteiligen – gerade zu jener Zeit (31. August bis 11. Oktober 1940), als die RAF in der entscheidenden Phase der Schlacht begann, personelle Schwäche zu zeigen. Die Staffel erzielte 126 Abschüsse, die mit Abstand höchste Zahl aller beteiligten englischen Jagdstaffeln. Davon alleine 14 am 7. September 1940. Sieben Polen und ein Tscheche fielen in den Luftkämpfen.

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Bis heute legendär und jährlich in Northolt geehrt (siehe auch hier und hier) werden Asse wie Cumbach, Frantisek (eigentlich ein Tscheche), Glowacki, Urbanowicz oder Paszkiewicz, alle mit zwischen 15 und 17 Luftsiegen. Der Oberbefehlshaber des RAF Fighter Command, Air Marshal Sir Hugh Dowding, musste danach zugeben: „Hätte es den großartigen Einsatz der polnischen Staffeln und ihre unübertroffene Tapferkeit nicht gegeben, würde ich zögern zu sagen, dass der Ausgang der Schlacht derselbe gewesen wäre.”

Quelle@WLZPA, EU Mediapool, Georg Mader, Soim