UAE-Jets in Griechenland
Neben Frankreich entsandten am 28. August auch die Vereinigten Arabischen Emirate vier F-16-Block-60 zu gemeinsamen Manövern über dem östlichen Mittelmeer nach Kreta. Der griechische Generalstab werte das als Zeichen der guten Kommunikation zwischen ihm und den VAE-Streitkräften und betont vertiefte gemeinsame Einsatzbereitschaft und -fähigkeiten. Die Verlegung nach Souda/Kreta reiht die – über keinerlei eigene Ansprüche in der Region habende – VAE in eine „Koalition” mit Israel (deren Jets schon mehrmals mit der griechischen Luftwaffe übten), Zypern, Ägypten und Frankreich, welche alle die Türkei aufforderten, die Suche nach Gasvorkommen unter umstrittenen Gewässern auszusetzen.

Im Gegensatz verlautete die Türkei laut der Plattform Al-Quds Al-Arab dass „wir nicht zögern werden, auch VAE-Flugzeuge abzuschießen wenn sie die türkische Souveränität im östlichen Mittelmeer verletzen sollten oder die Arbeit der ,Oruç Reis’ behindern. Die VAE versuchen eine Rolle zu spielen, die nicht ihrer Größe entspricht. Sie spielen mit dem Feuer. Wenn sie türkischen Luftraum und türkische Gewässer verletzen, werden sie eine harte Lektion lernen.”

@Hellenic Navy
Griechenland versetzte jüngst große Teile seiner Flotte – darunter auch diese Fregatte mit SH-60 Hubschrauber – in erhöhte Alarmbereitschaft.

Die neue Allianz ist auch ein Resultat der Aufnahme offizieller Beziehungen (inoffiziell gab es sie besonders auf Ebene der Dienste schon länger) zwischen Israel und den VAE. Die „Times” berichtete am 30. August, dass in einem Telefonat zwischen beiden Verteidigungsministern die VAE Israel zur Unterstützung und um Koordination auch mit Ägypten und Saudi-Arabien gegen die Türkei ersucht hätte, welche Israels Mossad-Direktor Jossi Cohen als „die größere Bedrohung” bezeichnet habe.

Tausende Luftraumzwischenfälle und Alarmstarts
Von frischen Spannungen und neuen Akteuren abgesehen, besteht in und über der Ägäis schon seit Jahrzehnten permanente Krise wegen der türkischen Nicht-Anerkennung der Athen-FIR (Flight Information Region, hier die türkische Position) über fast der gesamten Ägäis. Das habe aus griechischer Sicht Tausende militärische Luftraumverletzungen durch die THK (Turk Hava Kuvettleri = türkische Luftwaffe) pro Jahr (!) zur Folge, alleine in den letzten zehn Monaten 2019 sollen es 3.954 gewesen sein. Wie viele davon auf das Konto türkischer Kampfflugzeuge gehen, wird offiziell nicht angegeben, im Jahr 2014 sollen es Berechnungen der Universität Saloniki zufolge 2.244 gewesen sein. Im Zuge der gegenwärtig stark erhöhten Spannungen wird das wohl kaum weniger geworden sein – und selbst wenn die Zahlen gleich geblieben sein sollten, wären wohl viele europäische Luftwaffen mit der notwendigen Zahl an „Alpha”-Alarmstarts materiell, personell und vor allem finanziell überfordert. Folge davon sind immer wieder Mock-Dogfights (Militär Aktuell berichtete), die in der Vergangenheit auch schon zu Kollisionen mit tödlich verunfallten Piloten der griechischen Luftwaffe führten – trotz NATO-Mitgliedschaft beider Kontrahenten. Erst gestern hat wiederum die THK nach eigenen Angaben sechs griechische F-16 vor Zypern abgefangen und abgewehrt, jene hätten die Insel Kreta in Richtung Zypern verlassen, auf dem Weg in jenes Gebiet, in dem die „Oruc Reis” derzeit nach Erdgas sucht.

Vor dem Hintergrund dieser Konfrontationen wird das im Zuge der „EU-Griechenlandrettung” oft als überzogen kritisierte griechische Militärbudget von knapp fünf Milliarden Euro (weit über 2 Prozent des BruttonationalproduktsP), die kostspielige Modernisierung von 85 Stück F-16 oder das Interesse an F-35-Kampfjets zumindest aus griechischer Perspektive mehr als verständlich. Angesichts der wachsenden Spannungen visiert Griechenland nun sogar noch höhere Rüstungsausgaben an. Man sei bereit, Teile der Bargeldreserven für die Armee schon in diesem Jahr auszugeben, kündigte Finanzminister Christos Staikouras am 31. August an. Und Reuters meldete schon einen Tag später, dass sich Athen mit Frankreich in fortgeschrittenen Gesprächen um 18 Stück Rafále-Kampfflugzeuge befindet.

Militarisierung der Inseln
Bereits vor einigen Monaten hat der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar Griechenland beschuldigt, entgegen der Verträge von Lausanne 1923 und Paris 1947 die Dodekanes-Inseln zu militarisieren. Und nun beschweren sich türkische Medien und Politiker über die jüngste Entsendung griechischer „Marines” auf die Insel Kastellorizo (Megisti) per Fähren. Diesen Disput gibt es seit 1974, als Athen damit als Antwort auf die türkische Invasion Nordzyperns begann. Athen lehnt seitdem eine türkischerseits immer wieder geforderte Demilitarisierung mit Hinweis auf die (siehe oberhalb) täglichen Luftraumverletzungen durch die THK ab.

@PA
Griechenland verlegte jüngst mit Fähren Soldaten auf die InselKastellorizo.

Athen weist türkische Kriegsdrohung als „veralteten Größenwahn” zurück
Das offizielle Athen – in Gestalt des für Rohstoffe zuständigen Energieminister Kostis Chatzidakis – spricht bezüglich der türkischen Kriegsdrohungen von einer „völlig veralteten Politik wie im 19. Jahrhundert. Der Größenwahn und die Wichtigtuerei auf der anderen Seite der Ägäis sind ein schlechter Berater.” Zudem verwies er auf den ernüchternden und eigentlich solche Abenteuer ausschließenden Zustand der türkischen Wirtschaft und Währung. In der Tat muss Erdogan diesbezüglich Schock-Zahlen verkraften. Die Coronakrise hat in der Türkei für einen historischen Konjunktureinbruch gesorgt, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel von April bis Juni um elf Prozent. Damit traf die Pandemie das lange Zeit boomende Schwellenland stärker als beispielsweise die deutsche Wirtschaft, die „nur” um 9,7 Prozent einbrach. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum ging die türkische Wirtschaftsleistung mit 9,9 Prozent so stark zurück wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr.

Das Land leidet unter anderem am Fernbleiben der Millionen Touristen wegen der Reisebeschränkungen. Zugleich macht der Türkei eine Währungskrise zu schaffen. Hohe Inflation, negative Realzinsen, sinkende Devisenreserven und die steigende Nachfrage der Türken nach anderen Währungen sorgen für eine kräftige Abwertung der Lira, die in den vergangenen Wochen auf immer neue Rekordtiefs zu Dollar und Euro fiel. Mitte August mussten für einen Dollar 7,4084 Lira gezahlt werden und damit so viel wie noch nie. Etwa zeitgleich wurde für einen Euro ein Spitzenwert von 8,7217 Lira gezahlt. Um die eigene Währung wieder attraktiver zu machen, könnte die türkische Zentralbank die Zinsen erhöhen. Dem steht allerdings Präsident Erdogan im Wege – er hat sich wiederholt als „Zinsenfeind” bezeichnet.

@HAF
Die griechischen Luftstreitkräfte betreiben neben 170 F-16-Kampfjets auch knapp drei Dutzend F-4 Phantom und mehr als 50 Mirage 2000 (Bild).

Fazit
Im Moment hören wir nur Rhetorik – und etliche Sicherheitspolitiker wie der frühere NATO-Sprecher Jamie Shea – glauben, daß sich Athen und Ankara letztlich an einen Tisch setzen und Förderrechte aushandeln werden. Aber was ist mit den anderen genannten Aktueren? Auf jeden Fall ist Europa Zeuge einer multinationalen Machtprobe auf diplomatischem Neuland, der mit bisherigen Lösungsmechanismen offenbar nicht beizukommen ist. Weder die EU noch die NATO – Frankreich positioniert sich in beiden als stärkster Widersacher des türkischen Kurses – lassen ein tragfähiges Konzept zur Krisenbewältigung oder -entschärfung erkennen. Aufgrund der ermutigenden Erfahrungen, die die türkische politische und militärische Führung in Syrien, im Irak und zuletzt in Libyen gemacht hat, ist nicht auszuschließen, dass den Drohungen und Ankündigungen militärische Aktionen folgen könnten.

Das Problem ist, dass es sich dabei nicht bloß um einen Gasstreit handelt, wie die Konfrontation zwischen der Türkei, Griechenland und Zypern öfter flapsig bezeichnet wird. Der türkische Anspruch geht klar über den Streit um Ressourcen hinaus, er ist eingebettet in ein nationalistisches Großprojekt, das einen historischen Führungsanspruch reklamiert. Dass im Mittelmeer militärische Marine-Manöver abgehalten werden und dass sich auch im Himmel darüber aggressive Szenen abspielen, sind Zeichen eines Trends zur weiteren Militarisierung. Das bereitet vielen EU-Politikern generelles Unbehagen, illustriert durch einen Satz in der Presse vom 1. September: „In der Türkei genießt die Armee eine Art ‚Heldenstatus’, eine natürliche Skepsis gegenüber Streitkräften (also auch den eigenen!?) wie in vielen westeuropäischen Staaten ‚üblich‘, ist nicht existent.”

Update vom 4. September
Athen: „NATO-Meldung über Gespräche Griechenlands mit der Türkei entspricht nicht der Realität!” Mittlerweile ist es bereits zu einer Kollision zwischen einem griechischen und einem türkischen Kriegsschiff gekommen.

Hören Sie dazu weiterführend auch Folge 32 des Podcasts „Sicherheitshalber” (siehe unten), in dem die Experten Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und Thomas Wiegold über die Sicherheitslage im östlichen Mittelmeer sprechen.

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Quelle@Amy Humphries on Unsplash, Anadolu, IISS, PA, HAF, Hellenic Navy