Im Mittelmeer tobt zwischen Griechenland und der Türkei seit Monaten ein Erdgasstreit. Die Provokationen untereinander nehmen zu – nun droht die Türkei Griechenland sogar mit Krieg.
In der sich seit Monaten erhitzenden Auseinandersetzung um Wirtschaftszonen und Hoheitsgewässer im östlichen Mittelmeer hat Griechenlands Parlament nun am 27. August zwei Abkommen zur Festlegung der sogenannten „Ausschließlichen Wirtschaftszonen” (AWZ) mit seinen Mittelmeernachbarn Italien und Ägypten mehrheitlich ratifiziert. Damit erkennen die drei Staaten an, dass die griechischen Inseln einen Festlandsockel und eine Wirtschaftszone haben, was die Türkei heftig bestreitet. Geht es nach Ankara, dann haben Inseln – auch große wie Kreta und Rhodos – nur Hoheitsgewässer. Dies hat in den vergangenen Wochen zu einer der gefährlichsten Krisen im Mittelmeer seit Jahrzehnten geführt: Seit Anfang August bewegen sich zahlreiche Schiffe der türkischen Kriegsmarine südlich der griechischen Inseln Rhodos und westlich von Zypern und begleiten das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis” in der nicht zuletzt wegen – ursprünglich von Israel festgestellten – Erdgasvorkommen umstrittenen Region. Athen setzte seine gesamte östliche Flotte in Alarmbereitschaft und lässt deren Schiffe in seinen Gewässern patrouillieren.
Die Abkommen zwischen Athen und Rom sowie Athen und Kairo gelten als Reaktionen auf eine ähnliche Zusammenarbeit der Türkei mit GNA-Libyen. In dem Abkommen mit Tripolis hatte Ankara im vergangenen November Griechenland jedes Recht auf eine solche AWZ südlich von Kreta und anderer Inseln abgesprochen, wo reiche Erdgasvorkommen vermutet werden. Die EU verurteilte dies. Vor allem mit dem Abkommen zwischen Ägypten und Griechenland wird nun die libysch-türkische Zone durchkreuzt. die neue griechisch-ägyptische Zone ist mit ihr sogar größtenteils identisch.
Griechische und türkische Militärs veranstalten seit Wochen Seemanöver in umstrittenen Teilen des Mittelmeeres. Die Türkei gab am 29. August den Beginn von Schießübungen nördlich von Zypern bekannt. Ankara setzt zudem die Suche nach Erdgas unter dem Meeresboden fort. Die Drohung der EU mit Sanktionen hat bisher keine Wirkung gezeigt. Türkische Politiker werfen Europa vor, sich der griechischen Haltung kritiklos anzuschließen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt hatte, die EU solle „die griechischen Partner unterstützen, wo sie recht haben”, schimpfte Devlet Bahceli, Chef der rechtsnationalistischen türkischen Partei MHP und kleiner Koalitionspartner von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan’s AKP, die deutsche Kanzlerin habe „zu einem Kreuzzug gegen die Türkei aufgerufen”.
Athen weitete seine Wirtschaftszone aus – vorerst in Richtung Westen
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte am 27. August im Parlament erklärt, Griechenland dehne seine Hoheitszone im – Italien zugewandten – Ionischen Meer von sechs auf zwölf Seemeilen aus. In Seegebieten, wo andere Staaten mehr als 24 Seemeilen entfernt seien, könne dies möglicherweise ebenfalls geschehen. Über die Festlegung des Festlandsockels sowie der AWZ in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer sei Athen zum Dialog mit der Türkei bereit.
Die Türkei hat Griechenland für den Fall einer Ausdehnung seiner Territorialgewässer in der Ägäis offen mit einer militärischen Auseinandersetzung gedroht. „Wenn das kein Kriegsgrund ist, was denn sonst?”, sagte Vizepräsident Fuat Oktay der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Oktay erklärte, Ankara werde seine Rechte zur See ungeachtet aller Kosten verteidigen. Er rief zudem „die EU auf, fair zu sein. Die EU ist kein internationales Gericht, das bestimmt, was Recht und Unrecht sei.” Die EU-Außenminister hatten am Freitag Ankara ultimativ zum Dialog mit Griechenland aufgerufen. Andernfalls könnte der EU-Sondergipfel am 24. September über weitere Strafmaßnahmen gegen die Türkei diskutieren.
Bereits 1995 hatte das türkische Parlament eine Ausdehnung der griechischen Hoheitsgewässer in der Ägäis zum faktischen Kriegsgrund für die Türkei erklärt. Damit würde die Ägäis wegen der zahlreichen griechischen Inseln quasi zu einer griechischen See, zudem wirft Ankara Griechenland vor, die Türkei mit „überzogenen Ansprüchen an der eigenen Küste einschnüren“ zu wollen. Oktay, aber auch Außenminister Mevlüt Cavusoglu, bekräftigten dieser Tage erneut, diese Drohung sei weiterhin in Kraft. Sie sehen nun in dem griechischen Schritt – der aber zurzeit nicht die Ägäis betrifft – ihren Verdacht bestätigt.
Türkische Regierung beansprucht griechische Inseln und erneuert Kriegsdrohung
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht im Mittelmeer-Streit nun erstmals offen mit Krieg. Die Gegner der Türkei sollten sich vorsehen, sagte Erdogan am 30. August: „Wir schrecken vor einem Kampf nicht zurück.”
Erdogan hat jenen Tag nicht zufällig gewählt, er äußerte sich ausgerechnet am Jahrestag einer Schlacht gegen Griechenland vom 30. August 1922. Damals schlug die türkische Armee die griechischen Streitkräfte bei Dumlupinar im Westen Anatoliens – es war der Anfang vom Ende der griechischen Besatzung der heutigen Westtürkei, die nach dem Ersten Weltkrieg begonnen hatte. Der spätere Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk befehligte die türkischen Truppen in der Schlacht und gab den Soldaten nach dem Sieg den Befehl, die abziehenden Griechen bis zum Mittelmeer zu verfolgen. Der 30. August ist in der Türkei deshalb bis heute ein Staatsfeiertag.
Der Dodekanes – eigentlich an Italien verloren
Bisher bildeten revisionistischen Positionen den Stoff für nationalistische Feiertagsreden, hatten aber keine Folgen für die Real- beziehungsweise Außenpolitik der Türkei. Nun werden sie ein Teil des eskalierenden Streits um Gebietsansprüche und Gasvorräte in Ägäis und Mittelmeer – und einige türkische Politiker denken längst weiter, als nur bis zur Küste. MHP-Chef Devlet Bahceli fordert nun etwa auch die Rückgabe der zwölf heute griechischen Dodekanes-Inseln an die Türkei.
Italien hatte die Inseln, darunter Rhodos und Kos, im Mai 1912 während des italienisch-türkischen Krieges vom Osmanischen Reich erobert. Im Londoner Vertrag von 1915 sicherte die Tripelentente Italien bei – dann auch erfolgtem – Ausscheiden aus dem Dreibund den Dodekanes zu und im Friedensvertrag von Lausanne im Juli 1923 fiel er schließlich tatsächlich an Italien. Die Atatürk-Türkei erkannte die italienische Herrschaft erst 1923 beziehungsweise über Kastelorizo (Megisti) erst 1932 offiziell an. Bis zur deutschen Besetzung 1943 (Buchtipp) waren die Inseln italienischer Besitz (keine Kolonie), nach britischer Militärverwaltung ab 1945 übergab Italien – in Anwendung des Pariser Vertrags von 1947 – die Inseln an Griechenland. Damals wurden auch die aktuellen Seegrenzen zwischen Griechenland und der Türkei gezogen. Nun behauptet Bahceli, „die Inseln sind den Türken widerrechtlich abgenommen worden, ihr Status muss neu bewertet werden.”
„Falls jemand den Preis dafür zahlen will, kann er sich gern mit uns anlegen. Die Kernfrage ist ja, ob jene, die uns im Mittelmeer entgegentreten, zu denselben Opfern bereit sind. Ich bezweifle das.“
Recep Tayyip Erdoğan
Auch Vizepräsident Fuat Oktay will die Zugehörigkeit einiger Inseln zum Nachbarn und NATO-Partner nicht hinnehmen. „Türkische Bewohner von Küstenstädten an Ägäis und Mittelmeer müssen beim Anblick naher griechischer Inseln wie Chios und Kastellorizo bitterlich weinen”, sagte Oktay der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. „Sollen Staat und Nation der türkischen Republik das hinnehmen? Mein Land wird die Karte, die griechische Ansprüche in Ägäis und Mittelmeer zeigt, zerreißen und deren Befürworter falls nötig zerquetschen”. Erdogan selbst erklärte, die Türkei werde sich im östlichen Mittelmeer „der Sprache von Drohung, Terror und Erpressung nicht beugen”. Vielmehr sei die Türkei bereit, in einer möglichen Konfrontation ihre Soldaten sterben zu lassen. „Falls jemand den Preis dafür zahlen will, kann er sich gern mit uns anlegen. Die Kernfrage ist ja, ob jene, die uns im Mittelmeer entgegentreten, zu denselben Opfern bereit sind. Ich bezweifle das.” Neben Griechenland – das aber wohl ebenso dazu bereit wäre – kritisierte Erdogan besonders Frankreich, weil Paris in den vergangenen Wochen die türkische Politik in der Region als Aggression verurteilt und eigene Rafále-Kampfjets nach Zypern verlegt hatte.
Auf der nächsten Seite geht es weiter.