Ein kürzlich veröffentlichter Bericht einer Expertengruppe der Schweizer Regierung sorgt für Aufsehen: Denn nach mehr als 500 Jahren Bündnislosigkeit und Neutralität wird darin angesichts der aktuellen Sicherheitslage in Europa (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) eine weitere und vertiefte Zusammenarbeit mit EU und NATO empfohlen. Ziel müsse der Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit und eine echte Verteidigungszusammenarbeit sein, heißt es.
Die Experten, die den Bericht vorbereiteten – darunter Diplomaten, hochrangige Beamte, ein ehemaliger Chef der Schweizer Armee (-> aktuelle Meldungen rund um die Schweizer Streitkräfte) und Wolfgang Ischinger, der ehemalige Direktor der Münchner Sicherheitskonferenz – übergaben ihre Ergebnisse an die Schweizer Verteidigungs- und Sicherheitsministerin Viola Amherd (die auch Bundespräsidentin für 2024 ist). Die Empfehlungen fließen nun in die Sicherheitsstrategie der Schweiz 2025 ein.
Neupositionierung notwendig
Die Experten schlagen wohlgemerkt nicht vor, dass die Schweiz ihre Neutralität ganz aufgibt und der NATO beitritt, wie das zuletzt Finnland und Schweden gemacht haben. In jedem Fall müsse die Verteidigungshaltung der Schweiz aber gründlich überdacht und an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Teil dieser politischen Debatten sollte auch das zuletzt oft kritisierte Wiederausfuhrverbot von Rüstungsgütern sein. „Der Druck auf die Schweiz, ihre Position klarzustellen, wächst”, heißt es in dem Papier. Insgesamt empfehlen die Experten mehr als 100 „Überarbeitungen” in sieben Bereichen.
Im Zentrum steht dabei eine Vertiefung der Beziehungen mit der NATO und der EU bei der gemeinsamen Ausbildung, der Abwehr ballistischer Raketen sowie bei bilateralen und multilateralen Übungen. In weiterer Folge wird auch gefordert, dass die Militärausgaben bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen sollen. Aktuell steckt die Schweiz – bei einem allerdings im Vergleich zu Österreich weit höheren BIP – nur 0,76 Prozent seines BIP in die Armee. Weit weniger als alle NATO-Mitglieder, mit Ausnahme Islands, das kein Militär hat.
Widerstand zu erwarten
„Der Bericht macht deutlich, dass die Schweiz ein westliches Land ist und deshalb westliche Werte mitträgt”, sagt Jean-Marc Rickli, Leiter der Abteilung für globale und neu entstehende Risiken beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. Aber der Bericht ist dennoch schon heftig umstritten, da Oppositionsparteien Amherd vorwerfen, hauptsächlich ‚NATO- und EU-Enthusiasten’ in den Expertenausschuss berufen zu haben. Es ist erwartbar, dass die Empfehlungen im Berner Bundeshaus auf Widerstand stoßen werden, insbesondere von pazifistischen linken Parteien aber – hier ist punkto Russland europaweit ein sonst undenkbarer „Spagat” festzustellen – und auch der nationalistischen extremen Rechten. Ministerin Amherd steht von beiden Seiten bereits wegen der enger werdenden Beziehungen des Landes zur NATO in der Kritik – auch weil man jüngst erst die Sanktionen gegen Russland verschärft hat.