Kürzlich veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung Wien bereits zum fünften Mal die Konferenz „Wiener Dialog zur Zukunft Europas”. Ziel war es, Themen im deutsch-österreichischen Kontext zu diskutieren und konkrete Handlungsempfehlungen für die Außenpolitik in der Europäischen Union zu entwickeln. Militär Aktuell war zu Gast bei der Abschlusspräsentation und darf kleine Einblicke in die Welt der Think-Tanks geben.
Expertinnen und Experten beim Wiener Dialog
Geladene Expertinnen und Experten aus Universitäten, politischen und wirtschaftlichen Institutionen schlossen sich zu vier Arbeitsgruppen zusammen, um sich zu aktuellen Sicherheitsthemen im Kontext der Europäischen Union zu beraten. Im Fokus standen dabei Europas Rolle in der Welt, die Verteidigungsfähigkeit, Europas Nachbarschaft und die Energiesicherheit.
Was bei der Abschlusspräsentation und der Podiumsdiskussion sofort auffiel: Weder wird ein geschöntes, noch ein apokalyptisches Bild von der konfliktbehafteten Welt an die Wand gemalt. Divergierende Meinungen und unterschiedliche Perspektiven auf die Themen schärften den Diskussionsteilnehmenden zufolge den Zugang zu den Problemstellungen. Das kam auch der konstruktiven Diskussion zugute.
Die Arbeitsgruppe „Europas Rolle in der Welt: Umgang mit BRICS+” berichtet, dass man auf Ebene der Europäischen Union noch zu wenig über die aktuellen Intentionen der Staaten der BRICS+ weiß. Sie werden jedenfalls nicht als homogenes Gebilde wahrgenommen, geeint wären sie aber in einer aus Unzufriedenheit entwickelten anti-westlichen Positionierung. Auf bestehenden Kontakten zu einzelnen Staaten aufbauend, könnte aber ein Monitoring leichter fallen und sich Kooperationen etablieren.
Selbstkritisch fällt auch der Arbeitsbericht der Gruppe zur Verteidigungsfähigkeit europäischer Staaten aus. Die Frage, ob es sich um eine „Zeitenwende” oder eher nur ein „Zeitenwenderl?” handelt, der sich (nicht nur) Deutschland zu unterstellen versucht, wird schon lange nicht mehr nur auf Ebene der Ausrüstungsbeschaffung diskutiert. Tiefgreifender wurde gefragt, ob die EU überhaupt ein sicherheitspolitischer Akteur sei, wobei Sicherheitspolitik selbst nicht nur als militärisches Konzept begriffen wurde.
In Hinblick auf das Gastland durfte die Frage nach der Neutralität Österreichs nicht ohne Diskussion ausbleiben. Staatliche Neutralität wurde – inmitten der globalen Veränderungen der Machtstrukturen – als mit zugleich viel Folklore und Möglichkeiten besetzt verstanden. Eine Frage der Arbeitsgruppe blieb als Gedankenanstoß unbeantwortet: „Wie lange kann sich die Europäische Union ein neutrales Österreich leisten?”
Die Entmilitarisierung der vergangenen Jahrzehnte habe nun zur Folge, so ein weiteres Ergebnis der Diskussion, dass die Beschaffung beziehungsweise bereits die Organisation der Einkäufe sowie auch die Nutzung von Trainingskapazitäten eine Doppelung zur NATO-Struktur drohen lässt. Ein europäischer Verteidigungskommissar oder eine Verteidigungskommissarin könnte insbesondere hier auf eine Homogenisierung der Prozesse achten. Wünsche nach einer „industriellen Verteidigungskultur”, einer Fokussierung auf den Cyber-Bereich sowie auf die Aufklärung über Themen der Verteidigung auch abseits der Schulen wurden offen ausgesprochen.
Die Frage, ob Europa von einem „Ring of fire” oder einem „Ring of friends” umgeben ist (-> beim „Tag der Wehrpflicht” drehte sich heuer alles um das Thema „Ring of Fire – Europas Herausforderungen”), war rhetorisch, und doch: Die dritte Arbeitsgruppe erkannte als ein Problem außenpolitischer Beziehungen, dass die Europäische Union in den Balkan-Staaten an Glaubwürdigkeit verloren hat. Einig war man sich, dass die EU geopolitisch pro-aktiver handeln müsse, nicht festlegen wollte man sich aber auf die Form, wie im Detail Interesse für den europäischen Markt und an Investionen geweckt werden solle. Verschiedene Modelle der Aufnahme von Ländern als Mitgliedsstaaten – primär auf Basis des Handels – wurde diskutiert, sodass auch Zentral-Asien als ein Partnerland identifiziert wurde.
Komplex fällt der Sicherheitsbegriff in der Energiepolitik aus. Er schwankt gemäß der Arbeitsgruppe zwischen Resilienz und Klimaschutz. Zu bewerkstelligen und zu sichern wären jedenfalls drei Säulen der Energiepolitik: Verfügbarkeit von Technik, Leistbarkeit und Transport. Eine Risikodiversifizierung erfolgt im Transport beispielsweise durch die Aufrechterhaltung mehrerer Alternativen in der Logistik. Konstruktiv ist der Ansatz, Abhängigkeiten als auch mit Vorteilen behaftet zu sehen, beispielsweise in Bezug auf alte oder neue Handelsbeziehungen. Problematisch ist aber die Abhängigkeit von Strom, die die zunehmende Elektrifizierung mit sich bringt: Beginnend bei der Frage, ob in Europa eine Industrie im Bereich der Seltenen Erden überhaupt möglich sein könnte, um Abhängigkeiten zu entlasten, bis hin zu Fragen nach der Datensicherheit.
In den abschließenden Worten des Leiters der Konrad-Adenauer-Stiftung Wien, Sebastian Enskat und von Professor Daniel Göler, Universität Passau, trat klar die Notwendigkeit und der Nutzen hervor, das Format der „Wiener Dialoge” weiterhin zu pflegen und auch zu entwickeln. Militär Aktuell bleibt dran und beobachtet die weiteren Entwicklungen.