Es blühen Gerüchte und Spekulationen rund um Moskaus militärische Intervention in Syrien. Der österreichische Forscher Gustav C. Gressel, Visiting Fellow am European Council on Foreign Relations in Berlin, vermutet in Moskaus Engagement eine Umgehungstaktik der westlichen Isolationspolitik. Mithilfe der Luftangriffe will Wladimir Putin von den USA und von Europa wieder als Gesprächspartner anerkannt werden. Und politische Zugeständnisse erzwingen.
Der von Russland im Donbass geführte Abnutzungskrieg gegen die Ukraine endete im September 2015 in einer Sackgasse. Russland konnte weder den Willen Kiews nach Westorientierung brechen, noch konnte es die europäische Unterstützung für die Ukraine untergraben. Die Verluste Russlands im Donbass stiegen an, die ukrainische Armee wurde besser. Moskau konnte entweder den Krieg weiter eskalieren, oder sich über einen anderen Konflikt Verhandlungsmasse gegenüber dem Westen erspielen und ihn zu Zugeständnissen zwingen. Zweites geschah durch die Intervention in Syrien, zeitgerecht vor der UN-Generalversammlung inszeniert.
Die rein militärische Wirkung der Intervention wird sich in Grenzen halten. Russland stationierte zwei Staffeln Kampfflugzeuge und eine Staffel Kampf- und eine Transporthubschrauber in Syrien, hinzu etwa ein mechanisiertes Bataillon zu Trainingszwecken sowie Spezialkräfte zum Anfordern und Einweisen der Luftschläge. Die USA haben je nach Verfügbarkeit ihrer Flugzeugträger ein bis drei Geschwader in der Region – ohne dass die Luftschläge allein eine Wende im Krieg gebracht hätten. Russland konnte mit seinen Schlägen weitere Gebietsverluste des Regimes Assads verhindern, dessen Herrschaftsbereich da und dort arrondieren. Steigende Guerilla-Attacken im Rücken Assads Streitmacht machen aber ein Problem deutlich, das die USA bereits im Irak hatten: Gebiet erobern heißt noch nicht, Gebiet halten oder gar zu kontrollieren – vor allem wenn einen die lokale Bevölkerung nicht akzeptiert. Sollte Russland seine begrenzten Offensiven tatsächlich einmal auf das Territorium des Islamischen Staates (IS) ausweiten, wird sich dieses Problem noch vergrößern. Eine russische Einnahme der „IS-Hauptstadt“ Rakka würde Ähnliches nach sich ziehen wie die amerikanische Einnahme der irakischen Stadt Falluja: eine lange und blutige Stadtguerilla.
Um den Islamischen Staat nachhatig niederzuringen, bräuchte es einen sunnitischen Verbündeten, der IS-Territorien besetzen könnte, ohne auf konfessionelle Ablehnung zu stoßen. Faktisch haben nur die Türkei und Saudi-Arabien Streitkräfte, die dazu in der Lage sind. Beide fürchten eine gefestigte iranisch-russische Allianz mehr als den IS und reagierten deswegen durchwegs ablehnend auf Moskaus Vorgehen. Es wird vermutlich noch Jahre dauern, bis sich eine konstruktivere Linie durchsetzt. Das kann Moskau nur recht sein: Es hat sich nun so positioniert, dass der Westen es nicht weiter isolieren kann. Und da sich die Flüchtlingskrise in Europa und nicht in Russland abspielt, wird der Druck, Russland Zugeständnisse zu machen, steigen. Und auf diese Zugeständnisse ist Moskau aus. Nicht auf die Stabilisierung Syriens und schon gar nicht auf eine Niederlage des IS.