Militärische Auseinandersetzungen nehmen weltweit zu. Und dabei geraten nur allzu oft Zivilisten in die Schusslinie. Um Kollateralschäden bestmöglich zu vermeiden, braucht es im Gefecht präzise Waffen, die feindliche Ziele punktgenau erfassen und treffen, wie Morten Jensen, Director Marketing and Sales GLSDB beim schwedischen Rüstungskonzern Saab, im Interview mit Militär Aktuell erklärt.

@Saab
Morten Jensen ist bei Saab als Director Marketing und Sales GLSDB tätig.

Herr Jensen, Sie arbeiten bei Saab als Director Marketing and Sales der Langstreckenwaffe GLSDB. Mit Blick auf die Artillerie galt es lange Zeit eine möglichst große Flächenwirkung zu entfachen. Ist das immer noch so? Oder ist es mittlerweile wichtiger, möglichst präzise zu treffen?
Lassen Sie mich die Frage mit einem Beispiel beantworten: Bodentruppen, die Gefahren aus allen Richtungen ausgesetzt sind, benötigen für ihre Einsätze Ausrüstung und Munition, die vielseitig einsetzbar ist, leicht transportierbar und agil. Rüstungskonzerne investieren gewaltige Ressourcen, um ihnen diese Mittel zur Verfügung zu stellen. Allerdings werden die Soldaten mit den genannten Komponenten nur dann den multiplen Anforderungen moderner Kriegsführung gerecht, wenn sie damit auch präzise Treffer erzielen können. Ohne Präzision ist jede Bemühung zur Optimierung eines Waffensystems und seiner Munition vergebens. Es bringt schließlich nichts ganze Landstriche zu bewirken, das eigentliche Ziel aber zu verfehlen oder möglicherweise nur zu beschädigen.

Ohne Präzision ist also alles nichts?
Ja, und um dieses Ziel zu erreichen, muss man oft auch neue Wege gehen. Wir bei Saab haben beispielsweise vor mehr als zehn Jahren die damals für Kampfjets entwickelte Small Diameter Bomb (SDB) gemeinsam mit Boeing auf den Prüfstand gestellt, um sie für den Bodeneinsatz zu adaptieren und damit für die Artillerie verwendbar zu machen.

@Saab
Die von Boeing und Saab entwickelt Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) hat eine Reichweite von bis zu 150 Kilometer.

Warum?
Weil sie eine sehr hohe Reichweite hat und dabei ihr Ziel bis auf einen Meter exakt trifft. Fähigkeiten, die insbesondere für Soldaten am Gefechtsfeld Sicherheit bedeuten. Wir haben die SDB daher zur Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) mit einer Reichweite von bis zu 150 Kilometer entwickelt und ermöglichen der eigenen Artillerie dadurch einerseits einen besonders großen Abstand zu gegnerischen Truppen und Bedrohungen. Andererseits stellen wir damit aber trotzdem sicher, dass Ziele punktgenau bekämpft und Kollateralschäden weitgehend vermieden werden können.

Aber erhöht sich bei Raketen, die aus größerer Distanz abgefeuert werden, nicht die Gefahr der feindlichen Detektion und Störung? Gehen Präzision und Sicherheit damit nicht auf Kosten einer möglichst hohen Trefferrate?
Das könnte man vermuten und ist bei vielen ähnlich gelagerten Systemen auch so. GLSDB schneidet in Bezug auf die Störanfälligkeit aber sowohl in sämtlichen Tests als auch im tatsächlichen Einsatz erstklassig ab. Verantwortlich dafür ist die verwendete Technologie: GLSDB verfügt über sieben Satellitenkanäle zwecks Navigation sowie über Trägheitsnavigation und ein Anti-Störsystem und ermöglicht Armeen zudem auch noch maximale Flexibilität.

„Die Kämpfe in der Ukraine zeigen ganz klar: Jede Sekunde, die es länger braucht, um ein Waffensystem feuerbereit zu machen und jeder Meter, den man dafür näher an die Frontlinie heranrücken muss, erhöhen die Wahrscheinlichkeit selbst zum Ziel zu werden.“

Inwiefern?
Wir haben bei Saab natürlich eine eigene Abschussplattform entwickelt, können also Plattform und Munition aus einer Hand anbieten. GLSDB kann aber auch mit anderen, in Armeen möglicherweise bereits eingeführten Abschussplattformen wie Himars, M270 mit Eigenantrieb oder Chunmoo-Systemen integriert werden. So lassen sich vorhandene Ressourcen nutzen und im Falle von Himars und M270, die normalerweise GLMRS-Raketen verwenden, die Reichweiten und die Einsatzgeschwindigkeiten deutlich vergrößern und beschleunigen. Das sind neben der Präzision eines Systems weitere ganz entscheidende Faktoren, die in modernen Konflikten über Erfolg oder Misserfolg, punktgenaue Treffer oder Kollateralschäden entscheiden. Die Kämpfe in der Ukraine zeigen ganz klar: Jede Sekunde, die es länger braucht, um ein Waffensystem feuerbereit zu machen und jeder Meter, den man dafür näher an die Frontlinie heranrücken muss, erhöhen die Wahrscheinlichkeit selbst zum Ziel zu werden.

Die Ukraine ist vom Terrain her deutlich flacher als das alpine Gelände in der Schweiz, in Österreich, in Süddeutschland, Norditalien oder Südwestfrankreich. Die klassische Artillerie stößt dort vielfach an natürliche Grenzen, gilt das auch für Langstreckenraketen wie GLSDB?
Mit einem verbundenen Missionsplanungssystem kann der Eintrittswinkel individuell und 360 Grad umfassend festgelegt werden und durch Korrekturmechanismen können während des Fluges auch Manöver durchgeführt werden, um etwa Hindernissen auszuweichen. Das erhöht das Anwendungsspektrum enorm, kompensiert Nachteile der klassischen Artillerie und ermöglicht auch das sogenannte Militärmanöver „reverse slope engagement”.

„Dann sind wir in Europa ganz vorne dabei“

Also den taktischen Angriff von der Rückseite eines Hanges.
Unter dem Strich ist die Lenkrakete damit auch in gebirgigen und schwer zugänglichen Regionen sehr gut einsetzbar. Dank der hohen Einschlagskraft und einem Mehrzwecksprengkopf mit Spreng- und Splitterwirkung können damit sogar Höhlen und Verstecke im Untergrund durchbrochen und bekämpft werden. Darüber hinaus gibt es auch eine Laser-Variante, die sich für die Bekämpfung mobiler Ziele besonders gut eignet. Ein programmierbarer Aufschlag- und Verzögerungszünder sorgt zudem für tiefe Penetration oder auch den Nahbereichsbeschuss. Übrigens schwächt alleine die Anwesenheit von Präzisions-Langstreckenwaffen am Gefechtsfeld die gegnerische Kampfkraft unmittelbar an der Front.

Weil sich der Gegner darauf einstellen muss?
Genau. Damit lassen sich Ziele aus weiter Distanz mit hohem Gewinn treffen, was den Gegner zwingt, seine Einheiten und Munitionslager weiter weg zu verlegen. Das schwächt Nachschubwege und die Fähigkeit eines Gegenübers, als kombinierte Streitmacht zu operieren, was am Ende des Tages wiederum den Schutz der eigenen Truppen und den der Zivilisten erhöht, die in Krisengebieten leben.

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Quelle@Saab