In der ausgezeichneten Zusammenfassung von Oberstleutnant Jörg Loidolt über die Möglichkeiten der (schon jahrelang) ausstehenden Modernisierung der Leopard 2A4 des Bundesheeres hat er mehrere Länder genannt, welche sich ebenfalls damit beschäftigen oder – im Unterschied zu Österreich – damit bereits in Umsetzung sind. Ein nicht genannter und wichtiger europäischer Nutzer des ausgezeichneten deutschen Basissystems ist aber auch Polen. Der „NATO-Fronststaat” erstreckt sich weitgehendst über die nahezu flache und damit gut panzergängige polnische Ebene zwischen Ostsee und den Sudeten – das Thema Kampfpanzer ist dort dadurch noch weit präsenter als bei uns.
Stets beidseits bedroht, besetzt und verraten
In seiner Geschichte dreimal geteilt, 120 Jahre ausgelöscht und einmal schlicht nach Westen „verschoben”, sah sich Polen stets von beiden Seiten gleich bedroht und tut das – der Autor war neulich im neuen (2017) und noch immer didaktisch diskutierten WK2-Museum in Danzig sowie auf der Westerplatte – heute strategisch und militärisch mit Blick auf Russland immer noch. Und wie der jüngst entfachte juristische Konflikt mit der Europäischen Union zeigt, traut Warschau auch Brüssel (trotz EU-Mitgliedschaft) nicht so recht über den Weg. Vor allem militärisch und was seine Rüstungsbeschaffungen angeht, orientiert sich Polen – wie im Museum von einer ambitionierten jungen Historikerin mit Semestern in den USA gut hergleitet wird – vielmehr an die NATO-„Schutzmacht” USA, wie die jüngst erfolgten Beschaffungen von F-16C/D- und F-35A-Kampfjets sowie UH-60-Transporthubschraubern zeigen. Den hiesigen Slogan „Kriege gehören ins Museum” kann die Historikerin übrigens als Wunsch verstehen, sie hält ihn aber humangeschichtlich bestenfalls für naiv und mit Blick auf ein Militärmuseum – was sie in Danzig aber nicht sein woll(t)en – für zumindest deplatziert. Kriege werde es immer geben, sie gehören – ausdrücklich „leider” – zum menschlichen Naturell. Es würde nichts bringen, sie sich „wegzuwünschen”.
250 neue Abrams-Kampfpanzer
Der Grundtenor jener historischen Abschweifung wurde erst kürzlich ein weiteres Mal bestätigt, als Verteidigungsminister Mariusz Blaszczsak am 14. Juli mitteilte, dass Polen im Rahmen des sogenannten „Wilk-Programms” vom US-Hersteller General Dynamics Land Systems (GDLS) 250 Kampfpanzer M1 in der Version A2SEPv3 kauft. Der Vertrag mit Polen umfasst die Fahrzeuge für mehrere Panzerbataillone, die Munition, die Tieflader und das Training. Minister Blaszczsak will eine zügige Lieferung, so sollen die ersten Panzer – das finanzielle Volumen soll sich bei rund 19 Milliarden Zloty (rund 4,15 Milliarden Euro) bewegen – schon 2022 in Polen eintreffen. Sie sollen zuerst im Osten zum Einsatz kommen, in der neuen 18. Mechanisierten Division östlich der Weichsel. Laut Blaszczsak muss Polen jeden möglichen Aggressor abschrecken und sein Territorium und seine Bevölkerung im Kriegsfall wirksam verteidigen können. Das in seinen Westbezirken kontinuierlich verstärkende und mit Blick auf seine Ausrüstung modernisierende Russland erwähnte der Minister dabei nicht – meinte es aber wohl.
Ebensoviele Leoparden sowie russische „Erbstücke”
Parallel zu neuen Abrams-Panzern wird Polen auch seine Leopard-Kampfpanzer weiter betreiben. 2002 übernahm Warschau 128 Leopard 2A4 von der deutschen Armee und 2013 nochmals 119 Stück A4 und weitere 105 Stück in der Version A5. Davon werden 142 2A4 ein sogenanntes 2PL/2PL1-Upgrade erhalten und 105 A5 den Standard 2A7PL – zusammen also 247 Stück (siehe weiterführende Informationen). Dazu werden 127 der insgesamt 301 noch aus der Sowjetzeit stammende T-72 auf den Standard T-72AR/T-72M1R gehoben, die restlichen T-72 werden ausgeschieden. Damit sollen längerfristig die 232 Stück PT-91 Twardy ersetzt werden. Dabei handelt es sich um 92 ab 1995 bei Bumar in Polen neu gebaute sowie 140 aufgewertete T-72A and T-72M1, lokal bezeichnet als PT-91M1 and PT-91MA1.
Das polnische Rüstungsunternehmen Huta Stalowa Wola (HSW) und Rheinmetall haben im Juli eine Lizenzvereinbarung über die Fertigung von Komponenten der 120-mm-Panzerkanone des deutschen Unternehmens in Polen geschlossen. Wie HSW in einer Mitteilung schreibt, umfasst der Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren auch die Herstellung des Rohres der L44-Glattrohrkanone. Mit den Waffen sollen den Angaben zufolge die polnischen PL-Serien ausgestattet werden (siehe Bericht).
Zum Vergleich (nicht mit Österreich): Zählt man alles zusammen (250 neue Abrams, insgesamt 247 modernisierte Leoparden, 127 modernisierte T-72 und für absehbare Zeit auch die 232 PT-91 Twardy) wächst die Flotte in den kommenden Jahren auf insgesamt 856 polnische Kampfpanzer. Das sind mehr als die beiden europäischen „Hauptstütze” der NATO zusammen: Frankreich betreibt mit 222 Leclerc und wenn man – großzügig – die 247 schwächeren Leichtpanzer AMX-10RC addiert, insgesamt 469 Tanks. Deutschland – im Kalten Krieg das Bollwerk der ersten Linie gegen die potenzielle gepanzerte Lawine des Warschauer Pakts – verfügt gar nur über 225 Leopard 2A5/A6 und im Moment etwa 20 von 100 bestellten Leopard A7. Zusammen kommen Paris und Berlin damit auf 714 Panzer.
Ursprünglich beabsichtigte Polen den Aufbau einer modernen Panzerstreitmacht via deutsch-europäischem Pfad. Der Ansatz dazu sollte eben der Leopard 2 sein. Über den Nutzerverbund „LEOBEN” beabsichtigten diverse Nutzerstaaten Logistik und Weiterentwicklungen abzugleichen, in Europas Panzerflotten hat der deutsche Panzertyp mit 48 Panzer immerhin den größten Anteil. Also ein vermeintlich idealer Ansatzpunkt für das Postulat der NATO-Europäer, der Allianz schlagkräftige Großverbände zu stellen, um die schon jahrelang murrenden USA zu entlasten.
Polen versuchte folglich in den vergangenen Jahren (letztlich vergeblich) seine Panzerflotte über den Zukauf weiterer Leopard 2 zu erweitern. Ältere spanische Versionen waren zu abgenutzt und die Bundeswehr wollte keine Fahrzeuge mehr abgeben. Die selbst ernannte „Rahmennationenarmee” verfügt selbst über zu wenige Panzer. Vor der letzten militärpolitischen Zeitenwende – Russlands Annexion der Krim von 2014 – sollte die deutsche Panzerflotte von 350 auf 225 Panzer reduziert werden. Nun plant die Bundeswehr immerhin mit 328 modernisierten Leopard 2, aufgeteilt auf sechs Panzerbataillone. Das deutsche Heer sieht den Bedarf von mindestens 80 weiteren Panzern, aber deren Finanzierung wurde bislang versagt. Währenddessen dauert der Umbau von 104 Panzern auf den neuesten Rüststand A7V ganze sieben Jahre. Fast ebenso lange muss übrigens Dänemark auf die Kampfwertsteigerung seines Mini-Kontingents von 44 Stück warten und ebenso lange Ungarn auf dieselbe Anzahl neugefertigter Leopard 2A7. Abgestimmte Investitionen in industrielle Kapazitäten wurden auf Seiten der Europäer jedenfalls kaum oder nicht angegangen.
Das „Smolensker Tor”
Der üppige polnische Panzerbedarf leitet sich vom Verteidigungskonzept gegen Russland ab. Wie bei der Bundeswehr während des Kalten Krieges soll eine bewegliche und kampfstarke Vorwärtsverteidigung über Panzer eine russische Attacke bereits in Grenznähe auffangen – und dabei gibt es aktuell erheblichen Nachholbedarf, wie jüngst eine Stabsübung zeigte. Dabei wurde ein russischer Angriff durchsimuliert, mit einem alarmierenden Ergbnis: Im Fall einer Konfrontation ohne US- oder NATO-Unterstützung hätten russische Truppen schon nach fünf Tagen Warschau eingekesselt (siehe nachfolgenden Link).
Das vorgelagerte Weißrussland ist in der polnischen Wahrnehmung das perfekte Einfallstor für den alten Gegner aus dem Osten. Wie sehr, zeigte eine Unachtsamkeit des polnischen Wehrressorts bei der Twitter-Kommunikation des M1-Vertrages. Ein alsbald gelöschter Eintrag nannte als künftigen Stationierungsort der Abrams das sogenannte „Smolensker Tor”. Bei dieser russischen Grenzmetropole öffnet sich zwischen zwei Flüssen eine Ebene nach Westen, die bis Warschau kaum natürliche Hindernisse kennt. Für einen Angriff das ideale Terrain, um rasch auf Polens Hauptstadt vorzustoßen. Ob russische Heere gen Westen, oder Napoleon und Deutsche Wehrmacht nach Osten – über Jahrhunderte liefen Feldzüge über diesen Korridor.
Geetrübte Zukunft
Auch die kampfwertgesteigerten Leopard 2 sind – wie der deutsche Reservistenverband diesen August feststellte – nur eine Übergangslösung bis in die 2030er-Jahre. Für die „Nach-Leopard-Zeit” sieht es düster in Europa aus. Beim deutsch-französischen Projekt für ein Landkampfsystem der Zukunft, dem Main Ground Combat System (Militär Aktuell berichtete), drängte Polen auf eine frühe und umfassende Beteiligung – erhielt aber keinen Zugang. Das Vorhaben stockt zurzeit, aktuell wird um das Kaliber der Kanone debattiert. Die Franzosen wollen 140 Millimeter, die Deutschen lieber 130 Millimeter …
Hier geht es zu weiterführenden Informationen rund um die Zukunft der mechanisierten polnischen Streitkräfte.