Kehrwende der deutschen Bundesregierung: Nachdem der geplante Verkauf von bis zu 54 Eurofighter-Kampfjets an Saudi-Arabien jahrelang am Veto Berlins gescheitert war, zieht die deutsche Politik nun eine Lieferung doch in Betracht.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat im Ausland schon des Öfteren mit nicht leicht zu deutenden Äußerungen für Überraschung bis Ratlosigkeit gesorgt. Nicht nur ein Mal musste in Berlin nachgefragt oder eine Bundespressekonferenz abgewartet werden, um Klarheit zu erhalten, ob ihre Aussagen Regierungslinie oder ihre persönliche Meinung seien. Nun aber scheint sie sich im Vorfeld auch mit Bundeskanzler Scholz akkordiert zu haben, als sie während ihrer Reise durch Israel in Jerusalem ankündigte, dass Deutschland die Lieferung einer weiteren Tranche Eurofighter für die saudische Luftwaffe nicht länger blockieren werde.

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Damit geht die deutsche Ampelregierung nicht nur von einer Grundsatzvereinbarung in ihrem Koalitionsvertrag ab, keine Waffen an Teilnehmer am Jemen-Krieg zu liefern. Sie sorgt damit auch für Rumoren in den eigenen Linien, etwa von Grünen-Vorsitzender Ricarda Lang oder von SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner („Saudi-Arabien ist am Jemen-Krieg beteiligt und lässt Journalisten ermorden. Das ist kein Land, an das wir Waffen liefern sollten.”).

@Georg Mader
Saudi-Arabien verfügt aktuell bereits über 71 Eurofighter-Kampfjet (ursprünglich 72, eine Maschine ging im September 2017 bei einem Absturz im Jemen-Krieg verloren) – im Bild zu sehen sind einige Maschinen 2011 im Rahmen eines Besuchs am Fliegerhorst Hinterstoisser in Zeltweg.

Davon ungeachtet bekräftigte Kanzler Scholz die Aussagen seiner Außenministerin. Noch am 12. Juli 2023 hatte er eine Frage zu möglichen Waffenlieferung mit einem deutlichen „Nein” beantwortet und auf ein seit November 2018 bestehendes Embargo sowie die „Verständigung zum Umgang mit Genehmigungen von Rüstungsexporten und Gemeinschaftsprogrammen im Kontext des Jemen-Konflikts” verwiesen. Scholz damals: „Bis zum Ende des Jemen-Krieges werden Anträge auf Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für Saudi-Arabien zurückgestellt.”

@Georg Mader
Typhoon der saudischen Luftwaffe 2018 in Bahrain.

Die Beweggründe für die nun bekannt gegebene Kehrtwende dürften im Dreieck zwischen dem Druck enger Verbündeter, Wünschen der deutschen Rüstungsindustrie sowie vor allem einer seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober auf Israel deutlich härteren Geo- und Nahostpolitik zu suchen sein. Seit jenem Tag – so die Begründung Baerbocks in Jerusalem – fange Saudi-Arabien zur Unterstützung Israels Flugkörper ab, die von jemenitischen Houthi-Rebellen auf Israel abgeschossen werden. Zwar ist – im Gegensatz zu einem bestätigten Abschuss durch eine F-35 Adir der IAF – nicht bekannt, dass die RSAF zur Bekämpfung der Raketen Eurofighter einsetzt. Aber offenbar genügt, dass „aktuell saudi-arabische Abwehrraketen auch Israel schützen”, wie der deutsche Vizekanzler Robert Habeck betonte. Die Situation ist ambivalent, aber definitiv eine andere, als noch vor fünf oder sechs Jahren. Und die Friedensprozesse in der Region hängen auch davon ab, ob sich Saudi-Arabien gegenüber Israel weiter „wohlgesonnen” verhält, wie es heißt. Die deutsche Regierung dürfte jedenfalls zur Ansicht gekommen sein, dass man mit neuen Eurofightern vor Ort auch die stetig wachsende Anti-Iran-Achse stärke, die laut vielen Nahostexperten ein Schlüssel für nachhaltige Stabilität in der stets unruhigen Region sei.

Spatenstich für Erweiterung des Fliegerhorsts Brumowski

Klausel bindend oder doch nicht?
Für die britische Seite hatte Deutschland mit seiner Blockade ohnehin die ursprünglichen Vereinbarungen des Eurofighter-Projekts gebrochen: Laut der Absichtserklärung, die die vier Partner Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien 1986 geschlossen hatten, „wird keines der beteiligten Länder den Verkauf oder die Genehmigung des Verkaufs von Produkten oder Systemen des Programms an Dritte verhindern”. London gab dieser Klausel eine breite Bedeutung: Wenn einer der Partner die Ausfuhrgenehmigung verweigert, kann ein anderer die von demjenigen, der sein Veto eingelegt hat, entwickelten Komponenten selbst herstellen. Dagegen hat das deutsche Kanzleramt argumentiert, dass diese (alte) Klausel ausschließlich in die Willenserklärung und nicht in den Produktionsvertrag eingefügt wurde und daher keinen Bindungswert habe. Und die Ersetzung deutscher Baugruppen im Eurofighter durch britische, spanische oder italienische Komponenten kann angesichts der heutigen Kosten ausgeschlossen werden.

@RSAF
Saudi-Arabien könnte nun bis zu 54 weitere Eurofighter-Kampfjets beschaffen, der Auftragswert liegt bei rund fünf Milliarden Euro.

54 Stück für rund fünf Milliarden Euro
Schon seit Monaten haben die Eurofighter-Partnerländer Großbritannien und Italien deutlich, wiederholt und auf höchster Ebene Druck auf Berlin gemacht, die mit dem Jemen-Krieg, der Menschenrechtslage und dem wohl von der saudischen Führung verübten Mord an Regimekritiker Jamal Khashoggi begründete Blockadehaltung aufzugeben. Zuletzt berichtete die „Times” am 26. September des Vorjahres, dass der britische Premier Rishi Sunak Deutschland drängte, „den Folgevertrag über 54 Eurofighter” an die Saudis zu genehmigen. Die Blockadehaltung Berlins war und ist übrigens nur möglich, weil bei Airbus Aerostructures in Augsburg die Rumpfmittelstücke aller Eurofighter gefertigt werden, welche danach an die jeweiligen Endmontagelinien in den Partnerländern gehen, die für einen bestimmten Export zuständig sind. In diesem Fall würden die Teile an die britische Linie bei BAE-Systems in Warton gehen. Von dort stammen auch die bis Juni 2017 (nach einem 2006 unter Tony Blair eingestellten Korruptionsverfahren des britischen Special Fraud Office) bereits an die RSAF ausgelieferten 72 Typhoons der Tranchen-2 und -3 (die letzten 24 Maschinen).

@Georg Mader
Blick auf einen saudischen Eurofighter in Bahrain.

Und dann ist da noch die deutsche Industrie
Für das angesprochene Werk an der irischen See steht mit dem Auftrag ebenso viel auf den Spiel wie für das deutsche Zulieferer-Werk in Augsburg. Die Fertigung von Baugruppen für neue Eurofighter muss rund drei Jahre vor einer geplanten Auslieferung beginnen. Samt der 38 Eurofighter Tranche-4 für Deutschland aus Quadriga sowie den zwei Mal 20 Stück für Spanien kämen die rund 120 deutschen Lieferanten ohne Folgeaufträge spätestens 2027 in Turbulenzen.

Um weiter in Betrieb und Beschäftigung zu bleiben, wird das saudische Geld dringend benötigt, auch um darüber hinaus das FCAS-Megaprogramm (für UK GCAP) zu finanzieren. Zudem soll der französische Rivale des Typhoon, die Rafale „gestoppt” werden, bevor – wie Dassault-Chef Eric Trappier im Dezember andeutete – in Riad eine ernsthafte kommerzielle Kampagne zur Bestellung des französischen Kampfflugzeugs beginnt. Die VAE – auch auf deutscher Sanktionsliste wegen des Jemen-Krieges – haben inzwischen für 80 Maschinen von Dassault optiert.

Jenes Embargo war übrigens schon früher Thema – und das auch wegen Saudi-Arabien. Im Dezember 2019 urteilte das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, dass ein Einfrieren von Exporten an Riad nicht legal beziehungsweise zu schwach begründet sei. Gewinner des Verfahrens war damals die Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH (RMMV) in Wien/Liesing, die Berlin geklagt hatte, weil die deutsche Regierung die Ausfuhr von 90 HX81 aus einem Auftrag von 110 Logistikfahrzeugen aus 2016 blockiert hatte. Jene wären seit Jänner 2018 produziert gewesen und mussten bis zum Urteil eingelagert werden.

Ein Blick auf die Lage: „Katerstimmung“ für die Ukraine?

Natürlich sind Kampfflugzeuge keine Lastwagen. Aber seit Monaten fahren die deutschen Flugzeugbauer – allen voran Airbus-Chef Michael Schöllhorn – eine massive Lobby gegen das bisherige Ampel-Exportveto. Erst vergangenen November kam beim Rellinger Rüstungszulieferer Autoflug, der unter anderem Sitze für Militärflugzeuge und Panzer baut, ein Bündnis aus Politik, Gewerkschaft und Flugzeugbauern zusammen, um für neue Eurofighter-Aufträge zu demonstrieren. Der Export an die Saudis wäre da von Anfang an ein Teil dieses Puzzles gewesen, weil er viele High-Tech-Jobs und Wertschöpfung bedeutet.

„Die frühere Weigerung der Regierung in Berlin Exportlizenzen für weitere Eurofighter-Verkäufe nach Saudi-Arabien zu genehmigen hat angesichts des Ukraine-Krieges nachgelassen.“

Eurofighter-CEO Giancarlo Mezzanatoo

Und dann ist da noch die ab 2030 aus Sicht der Industrie nötige Tranche-5 als Ersatz für einen Teil der noch 85 deutschen Tornados. Dafür gibt es noch keine Zusage oder Absichtserklärung der „Ampel”, weswegen im Werk von Airbus Defence & Space in Manching am 15. November eine Kundgebung mit rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stattfand. Dort forderten IG-Metall-Betriebsräte und das Management gemeinsam die Bundesregierung auf, zügig weitere Eurofighter zu bestellen.

@Georg Mader
Eurofighter CEO Giancarlo Mezzanatto im Gespräch mit MIlitär Aktuell-Redakteur Georg Mader.

Zuletzt sah übrigens auch Eurofighter-CEO Giancarlo Mezzanatto im Gespräch mit Militär Aktuell steigende Chancen für eine Lieferung der Maschinen in den Nahen Osten: „Die frühere Weigerung der Regierung in Berlin Exportlizenzen für weitere Eurofighter-Verkäufe nach Saudi-Arabien zu genehmigen hat angesichts des Ukraine-Krieges nachgelassen. Erst Ende 2022 ist ein dreijähriger Ersatzteil- und Reparaturvertrag für Riads bestehende Flotte unterzeichnet worden, unter der aktuellen deutschen Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz. Das politische Szenario hat sich also ziemlich dramatisch verändert, Deutschland ist jetzt viel engagierter als zuvor. Ich bin optimistisch, dass die Entwicklung in diese Richtung weitergeht und auch das Vereinigte Königreich – als führende Nation für Saudi-Arabien – ist bereits sehr aktiv in diese Richtung.”

Hier geht es zu weiteren Eurofighter-Meldungen.

Quelle@Georg Mader, RSAF