Die Verteidigungsminister der EU-Staaten haben am 20. November in einer Videokonferenz über die Fortschritte bei PESCO (Permanent Structured Cooperation), die EU-Missionen und Operationen im Rahmen der GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) sowie über den ersten „Meilenstein” des sogenannten „Strategischen Kompasses” beraten: Einer ersten Bedrohungsanalyse der EU als Grundlage für die weiteren Arbeiten am Kompass.

Anstelle des ursprünglich geplanten Treffens des Rates für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel fand pandemiebedingt eine informelle Videokonferenz der EU-Verteidigungsminister unter Leitung des Hohen Vertreters der Union für auswärtige Angelegenheiten Josep Borrell statt. Kurz unterbrochen, weil auf einem Tweet die Einwählcodes bis auf eine Ziffer zu sehen waren und sich ein holländischer Jorunalist „einklinkte”. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte danach in ihrem Beitrag: „Wir alle teilen das Ziel einer handlungsfähigen und resilienten Europäischen Union. Einer EU, die ein glaubwürdiger Akteur im globalen Krisenmanagement ist.”

Wie weit man in der Realität von diesem Ziel entfernt ist, wurde – und das war neu – danach öffentlich eingeräumt. Und zwar gleich durch den Vorsitzenden, den spanischen Sozialdemokraten Josep Borrell selbst. Vor Journalisten räumte er ganz offen ein, dass „der EU die erforderlichen militärischen Fähigkeiten fehlen, um ihre Ambitionen zu erfüllen, um – wie von ihren größten Mitgliedern und allen voran von Frankreich am stärksten vorangetrieben – eine eigenständige Militärmacht zu werden, die in der Lage ist, der NATO zu helfen oder Truppen rasch in regionale Krisen zu entsenden. Die europäische Verteidigung leidet unter Fragmentierung, Doppelgleisigkeiten und unzureichendem operativen Engagement.”

@SIPRIIn der – tatsächlich – ersten jährlichen Überprüfung der EU punkto Verteidigungsbereich, welche den Verteidigungsministern der Staatengemeinschaft vorgelegt wurde, wird festgehalten dass nur 60 Prozent der nationalen Truppen und Waffensysteme, die nominell zur Verfügung stehen, in einem Zustand sind, um eingesetzt zu werden. Auch zögerten die EU-Regierungen dem Bericht zufolge, diese Truppen dann auch zu entsenden. Formelle EU-Militärmissionen erhielten nur sieben Prozent des weltweiten Militärpersonals aller EU-Staaten, wobei Probleme bei der Generierung von Einsatzstärken auftreten. Macht bei einer der – noch nie eingesetzten – Battle Groups einer in einem scharfen Einsatz dann innenpolitisch doch nicht mit oder schafft es personell oder materiell nicht, oder immer noch nötige Antonows fallen aus, greift die interdepente Truppe nirgendwo ein.

Nun sind diese Schwächen der EU – zumindest bei den Militärs – weitgehend geläufig und wurden hinlänglich in Dutzenden Berichten und Weißbüchern thematisiert. Der Block hatte politisch nie die militärische Stärke entwickeln können – beziehungsweise auch gar nicht wollen – um seiner viel größeren wirtschaftlichen Macht zu entsprechen. Länder wie Belgien, Österreich oder das kleine Luxemburg erreichen in ihren Haushalten nicht einmal ein Prozent Anteil an Verteidigungsausgaben, Dänemark hat sich von EU-Verteidigungsinitiativen überhaupt ausgeschlossen. Kleinere Mitgliedstaaten wie Griechenland, Schweden oder Polen versuchen, die heimische Rüstungsindustrie zu schützen und zu stützen. Das wiederum führt zu Doppelgleisigkeiten bei der Waffenproduktion und einem Inventar aus kleinen Stückzahlen vieler ähnlicher Systeme, was eine Koordinierung zum übergreifenden Schutz des gesamten Kontinents be- oder verhindert.

@EU
Josep Borrell, hoher Vertreter der Europäischen Union für auswärtige Angelegenheiten.

Nun hoffen – wieder einmal – große EU-Regierungen wie Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, dass die detaillierte Überprüfung und das öffentliche Einräumen von Misserfolgen ein, ja der Wendepunkt sein werden. Gleichzeitig sind sich Frankreich und Deutschland aber uneins darüber, inwieweit die militärische Zusammenarbeit der EU überhaupt entwickelt werden soll. Und das unabhängig von den USA, der mit Abstand größten Macht in der NATO und bis vor wenigen Jahren Europas effektivem Sicherheitsgaranten seit 1945. Die USA werden diese Fakten in Hinkunft vielleicht höflicher, aber sicher ebenso hart verhandeln. „Amerika First” wird auch unter Joe Biden gelten, zudem sind die Briten als bisher militärisch stärkster EU-Partner kein solcher mehr. Die Nuklearmacht Frankreich sieht „Power Projection” und Rüstungsexporte – dort als Chefsache – fundamental anders als der bisherige Wirtschaftsmotor Deutschland. Dazu kommen die noch erwartbaren substanziellen Milliarden-Umschichtungen in allen Haushalten durch die Effekte von Covid-19.

Seit absehbar war, dass Großbritannien – welches eine solche Zusammenarbeit außerhalb der NATO aber ohnehin ablehnte – ausscheidet bzw. genauer seit Dezember 2017 arbeitet die EU angeführt von Frankreich daran, unabhängig von den USA mehr ‚Feuerkraft‘ zu entwickeln. Mit der Einrichtung eines Waffenentwicklungsfonds, der im nächsten Jahr erstmals mit 8 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt unterstützt wird, hat Emmanuel Macron mehr Souveränität in der Fähigkeit der EU gefordert, sich zu verteidigen bzw. europäische Interessen zu vertreten.

@Georg Mader
Die Eurodrohne gilt als eines der großen europäischen Kooperationsprojekte: Der Erstflug ist für 2025, die Lieferung an die Truppe für 2028 vorgesehen.

Die 27-Nationen-EU will nun bis 2022 eine Militärdoktrin ausarbeiten, um zukünftige Bedrohungen und folglich Ambitionen zu definieren. Der Bericht, der Teil einer EU-Strategie zur Entwicklung eigenständiger militärischer Kapazitäten im nächsten Jahrzehnt ist, forderte die EU-Regierungen auf, gemeinsam sechs Waffensystembereiche zu definieren und zu priorisieren, um kostspielige nationale Doppelgleisigkeiten zu beenden. Dazu zählen die Konzentration auf einen neuen EU-Kampfpanzer, ein EU-Patrouillenschiff und EU-Drohnenabwehrtechnologie.

Was das europäische Kampfflugzeug(system) der Zukunft betrifft, zeigt sich aber trotz großer Worte und Pläne bereits wieder das Verfolgen zweier multi-milliardenschwerer Wege. Während – unter Schmerzen durch Auffassungsunterschiede um künftig zwecks Finanzierung wohl nötiger Exporte – Frankreich, Deutschland und Spanien das FCAS-Projekt (Militär Aktuell berichtete) verfolgen, sind Italien und Schweden beim britisch geführten Tempest (Militär Aktuell berichtete) mit an Bord. Wenigst keine drei Designs mehr, die auf den Weltmärkten um kleine Stückzahlen gegeneinander antreten. Aber unter jenen ist der – in Österreich ungelittene – Eurofighter von den Stückzahlen her mit eben erfolgter deutscher Aufstockung fast schon wieder eine EU-Erfolgsgeschichte.

Kampfjet Tempest setzt zur Technologie-Revolution an

 

Auf der positiven Seite der letzten Tage ist zu vermerken, dass der Rat die Schlussfolgerungen zur strategischen Überprüfung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) 2020 genehmigte. Die Überprüfung bewertete die Fortschritte bei der im Dezember 2017 gestarteten PESCO und gibt Leitlinien für die nächste Phase 2021-2025 in Bezug auf das Gesamtziel, die politischen Ziele, Anreize und Projekte vor. Die Überprüfung unterstreicht – wenn auch in mühsam langen Zeiträumen – die Notwendigkeit, die verbindlicheren Verpflichtungen zu erfüllen. Bis 2025 sollen nun konkrete Ergebnisse erzielt werden. Die Überprüfung hebt auch eine Liste von 26 PESCO-Projekten hervor, die vor Ende 2025 konkrete Ergebnisse liefern sollen oder bereits die volle Einsatzfähigkeit erreichen könnten.

Bisher haben die 25 EU-Mitgliedstaaten – darunter auch Österreich – 46 Verbundprojekte in verschiedenen Bereichen eingereicht, von Ausbildungseinrichtungen, über abbildende Aufklärungsmittel, See- und Luftsysteme (unter anderem auch zur ABC-Erkennung), Cyberwarfare oder die Ermöglichung gemeinsamer weltraumbasierter Projekte. All jenen Ergebnissen ist hoffnungsfroh entgegenzusehen. Aber bis es soweit ist, stockt der „systemische Rivale” China – um ein paar Beispiele zu illustrieren – auf vier Flugzeugträger auf oder widmet sich Hyperschallwaffen, Stealth-Bombern und dem Ausbau ihrer künstlichen Inseln. Weitere Informationen dazu liefert auch dieser Beitrag.

Quelle@Elysee, SIPRI, EU, Georg Mader