Mit Ende Juni verabschiedet sich Generalstabschef Othmar Commenda in den Ruhestand. Im großen Abschieds-Interview haben wir mit ihm über den Stellenwert des Heeres, die Budgetsituation und seine Zukunftspläne gesprochen.
Herr General, Sie sind seit Mai 2013 Generalstabschef des Bundesheeres, nahmen die Funktion aber bereits seit November 2011 als Stellvertreter wahr. Wie hat sich die Wahrnehmung des Bundesheeres in diesen knapp sieben Jahren verändert?
Wir haben gerade heute bei einer Kommandantenbesprechung genau dieselbe Frage diskutiert, und auch wenn es im Zuge der Migrationskrise scheinbar einen Aufschwung gab, bin ich mir nach den fünf Jahren nicht sicher, ob sich die Wahrnehmung des Österreichischen Bundesheeres bei der Bevölkerung tatsächlich zum Positiven verändert hat.
Die tolle Performance des Heeres im Zuge der Migrationskrise ist also schon wieder vergessen?
Vielleicht nicht vergessen, aber in den Hintergrund gerückt. Ich glaube schon, dass der Ruf des Bundesheeres in der Bevölkerung ein prinzipiell sehr guter ist. Aber ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass jemand auf etwas im eigenen Bereich verzichten würde, damit das Bundesheer mehr bekommt.
Die finanzielle Ausstattung des Heeres wird also auch in Zukunft keine Jubelstürme zulassen?
Im Endeffekt wurde vieles versprochen, aber wenig gehalten – und dabei rede ich nicht nur von den vergangenen vier oder fünf Jahren, sondern von den vergangenen zwei Jahrzehnten. Bei der Gelegenheit möchte ich aber schon für unsere Minister in die Bresche springen. Sie übernehmen ein extrem schwieriges Ressort, werden dann aber von der Politik im Stich gelassen und müssen schauen, dass sie mit den wenigen Finanzmitteln irgendwie vorankommen. Sie müssen aus der Situation das Beste machen und das haben sie in der Regel auch. Ich kann da keinem Minister der vergangenen Jahre einen Vorwurf machen. Was immer gefehlt hat, war mehr Geld. Das wissen alle, aber es gibt nicht mehr – und das war über die Jahre immer so.
Gewöhnt man sich irgendwann daran?
Man lernt damit zu leben, leicht ist das aber nicht.
Hätten die Minister nicht mehr auf die Barrikaden steigen müssen, um Bewusstseinsbildung für das Heer zu betreiben und mehr Geld zu bekommen?
Es wurde uns ja immer etwas versprochen. Vermeintlich waren sie also erfolgreich, aber letztendlich ist das, was versprochen wurde, beim Militär so nie angekommen. Und jedes Mal, wenn das deutlich wurde, gab es wieder einen Ministerwechsel. Kein einziger hat ausreichend Zeit bekommen, um angestrebte Reformen ordentlich zu Ende zu führen.
Wie belastend sind diese ständigen Reformen für das Heer?
Der Aufwand ist personell wie finanziell natürlich enorm, aber wenn man permanent in einer Situation ist, in der viele Dinge nicht zusammenpassen, ist man zu Reformen regelrecht gezwungen. Es nützt nichts, einen Fußballverein zu gründen, wenn man keine Spieler, keinen Fußballplatz oder keinen Ball hat. Uns geht es aber genau so, uns fehlt immer irgendetwas und daher müssen wir permanent anpassen. Wenn unser Minister jetzt sagt, dass wir uns diese Strukturen nicht leisten können, dann ist das richtig. Man muss ihn seine Reform aber nun auch durchziehen lassen, damit wir davon profitieren können.
Wird er die notwendige Zeit dafür bekommen?
Ich hoffe es. Aber er braucht dazu auch Unterstützung anderer wie des Finanzministers, weil eine Reform, wie alles im Leben, Geld kostet. Man profitiert dann hinterher davon, in einem ersten Schritt muss man aber investieren. Und dabei wurden alle Minister, unter denen ich dienen durfte, von Scheibner angefangen, von den Regierungen im Stich gelassen.
Woran machen Sie die schlechte finanzielle Ausstattung des Heeres fest? Warum gibt es nicht mehr Geld, obwohl allen bewusst ist, dass es mehr brauchen würde?
Österreich ist in einer relativ komfortablen Position: Wir sind umringt von befreundeten Ländern, die alle EU-Mitglied oder EU-nahe sind und die zu einem großen Teil auch noch Mitglied der NATO sind. Die Bedrohungen, die der Österreicher fühlt, werden daher von Kriminalität bis Terrorismus der Polizei zugeordnet. Konventionelle militärische Bedrohungen, wie es sie früher gab, stehen derzeit nicht im Vordergrund.
Wie beantworten Sie vor diesem Hintergrund die Sinnfrage? Braucht es das Bundesheer in dieser Situation noch?
Unbedingt! Weil wir wesentliche Beiträge zum Umgang mit Bedrohungen leisten, die der Bürger auf den ersten Blick nicht sieht, wie das etwa auch bei der Migrationskrise deutlich wurde. Das Thema wird uns auch die nächsten 25 bis 30 Jahre beschäftigen. Wenn sich in Afrika nur ein kleiner Teil der Menschen in Bewegung setzt, reden wir von einigen Hundert Millionen Menschen. Die werden nicht alle nach Europa kommen, aber diese Massenbewegung wird für Probleme sorgen, die eigentlich nur vor Ort gelöst werden können, indem man dort Sicherheit produziert. Das ist eine wesentliche Aufgabe von Armeen und deshalb sind wir derzeit auch in Mali im Einsatz und waren im Tschad.
Was sind weitere Bedrohungsszenarien, die eine Armee rechtfertigen?
Allen voran Terrorismus. Dessen Quellen und Ressourcen liegen meist außerhalb Österreichs und auch diese können nur dort bekämpft werden. Auch wenn es zu einem größeren terroristischen Akt in Österreich kommen sollte, wird die Polizei sehr rasch überfordert sein, weil sie gar nicht über ausreichende Mengen von Schutzelementen verfügt. In diesem Zusammenhang fällt auch der Schutz kritischer Infrastruktur in unseren Aufgabenbereich. Im Cyberbereich sind wir alle zusammen gefordert und wir vergessen auch, was es bedeuten würde, wenn es zu einem Blackout kommt, da wäre die Polizei ebenfalls sehr rasch überfordert. Vor diesem Hintergrund haben wir mit der Jahrtausendwende mit der umfassenden Landesverteidigung übrigens sehr leichtfertig etwas aufgegeben, das wir nun schleunigst wieder einführen sollten, weil die zukünftigen Bedrohungen direkt auf die Gesellschaft abzielen. Und um diese abzuwehren, braucht es das Bundesheer.
Diese Inhalte hat der Generalstab vor einem halben Jahr auch in einem Positionspapier zusammengefasst. Was ist dabei herausgekommen?
Es gibt niemanden, der gesagt hat, dass es ein schlechtes Papier wäre. Für mich sehr enttäuschend war aber die geringe Rückmeldung. Wir haben das Positionspapier mit einem persönlichen Begleitschreiben an 1.000 Meinungsbildner in ganz Österreich geschickt und wir haben nur zwei Handvoll Antworten bekommen. Da bekommt man das Gefühl, das Bundesheer ist vielen egal, was meinen eingangs erwähnten Eindruck wohl noch verstärkt hat.
Hat das bei Ihnen einen Umdenkprozess ausgelöst?
Das war letztendlich sicher der Punkt auf dem „i”. Uns wurde immer vorgeworfen, dass sich der Generalstab nicht positioniert und keine Forderungen stellt, was natürlich nie gestimmt hat. Wir haben unsere Meinung sehr wohl kundgetan – aber eben intern und nicht über die Medien. Nichtsdestotrotz haben wir die Neuwahlen zum Anlass genommen, unsere Meinung zusammenzufassen und öffentlich zu machen und dann kommt nahezu keine Reaktion.
Hätten Sie mehr Rückmeldungen erwartet?
Von Länderseite, vor allem von vielen Landeshauptleuten, kam noch die eine oder andere Antwort, aber von Bundesebene fast gar nichts. Was mich auch enttäuscht ist, dass alle der mehr als 350 Absolventen unseres Strategischen Führungslehrgangs vom Angebot begeistert sind. Ich hatte aber noch nie das Gefühl, dass die Absolventen nun als Lobbyisten auftreten und ihre Stimme für das Bundesheer erheben würden. Vielleicht muss man sich einfach damit abfinden, dass in Österreich das Heer nicht die Bedeutung hat, die es eigentlich brauchen würde. Und auch wenn durch Hilfseinsätze und Assistenzeinsätze das Ansehen des Bundesheeres gestiegen ist, „money makes the world go round”. Solange es für das Heer kein vernünftiges Budget gibt, wird sich an der Situation nichts ändern. Gerätschaften kosten. Personal kostet. Und gutes Personal kostet mehr.
Was ist ein „vernünftiges Budget´”? Das viel zitierte 1 Prozent des BIP?
Davon reden wir schon gar nicht mehr, bereits 0,8 Prozent wären ein großer Fortschritt – aber auch davon sind wir weit entfernt.
Wie kann man nun ansetzen? Was kann ihr Nachfolger tun, um das Budget zumindest in diese Richtung zu entwickeln?
Der Soldat kann das überhaupt nicht, weil er immer in der öffentlichen Wahrnehmung ein Prophet in eigener Sache ist. Letztendlich wäre das auch nicht eine Aufgabe der Regierung oder des Ministers, sondern der Politik im Ganzen. Man müsste sich über alle Parteigrenzen hinweg dazu entscheiden eine angemessene Armee zu wollen.
Wie soll ein derartiger Schulterschluss gelingen, wenn schon Versuche wie das Positionspapier kaum gewürdigt werden?
Das ist genau die Frage, die ich nicht mehr beantworten kann. Und eigentlich ist es auch der falsche Weg, dass der Arbeiter für seine eigene Firma argumentieren muss. Sie kommen auch nicht auf die Idee, dass Sie Ihre Kinder bitten, Sie zu überzeugen, sie in die Schule zu schicken. Das würde nicht funktionieren. Der Ansatz ist ein falscher und das gilt für uns auch: Es kann nicht sein, dass wir uns permanent rechtfertigen müssen, warum es uns gibt.
Wer soll das dann tun?
Eigentlich wählen wir dafür Volksvertreter, die genau wissen sollten, warum man eine Armee und diese Geld braucht, damit sie funktioniert. Die globale Sicherheit entwickelt sich derzeit aus meiner Wahrnehmung heraus sehr stark zum Negativen. Die Zeit des langen Friedens ist leider vorbei. Es wird jetzt nicht eine Panzerwalze auf uns zurollen, aber wir sind mit neuen Bedrohungen konfrontiert, die unsere Gesellschaft in Europa vor gewaltige Herausforderungen stellen werden und derer sollten wir uns annehmen.
Welche Herausforderungen sehen Sie da vor allem?
Da reden wir von Konflikten in und im Umfeld von Europa, von Migration, von Bedrohungsformen verursacht durch die Globalisierung, transnationalem Terrorismus und vielem mehr. Darauf muss man die Bevölkerung vorbereiten. Man muss den Bürgern erklären, was es heißt, etwa bei einem Blackout tagelang ohne Strom zu sein. Die Bevölkerung erwartet sich Lösungen, aber dafür braucht es ein Gesamtkonzept und das sehe ich derzeit nicht. Der Ansatz mit den nun präsentierten Sicherheitsinseln ist dahingehend ein sehr guter, aber auch zu deren Umsetzung braucht es wieder Geld.
Was schlagen Sie vor?
Der geistigen Landesverteidigung und dem Zivilschutz gehören wesentlich mehr Bedeutung zugemessen. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen, aber dahingehend geschieht aktuell wenig bis gar nichts. Wir können mit Krisen nicht mehr umgehen. Es scheint ganz so, als hätten wir unseren Überlebensinstinkt komplett abgebaut, das ist blauäugig. Und gerade in so einer Situation braucht es das Bundesheer.
Kommen wir zu etwas Angenehmerem: Wie werden Sie dem Bundesheer nach ihrem Abschied verbunden bleiben?
Natürlich werde ich dem Österreichischen Bundesheer aus tiefster Überzeugung immer verbunden bleiben. Jedoch habe ich für mich beschlossen, dass ich sicherlich kein pensionierter General sein werde, der überall ungefragt seine Meinung anbringt. Ich hatte meine Zeit, und diese endet mit 30. Juni 2018.
Können Sie so einfach einen Schlussstrich ziehen?
Ob es einfach wird, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin mir sehr sicher, dass mir das gut gelingen wird.
Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre?
Ich habe mir schon eine schöne To-do-Liste zusammengestellt. Ich will den Segelschein machen, Kochen lernen, mich mit Fotografieren beschäftigen, weiter viel Sport treiben, Modelle bauen und mich mit meinen immens vielen Büchern beschäftigen, Filme schauen, mit meiner Frau Zeit verbringen und reisen. Langweilig wird mir also nicht.
Angenommen, Sie hätten zu ihrem Abschied drei Wünsche offen – welche wären das?
(lacht) Ich würde mir wünschen, dass man dem Bundesheer tatsächlich den Stellenwert gibt, den es verdient, und nicht nur so tut, als ob es den hätte. Der zweite Wunsch wäre, dass man es den Ministern endlich ermöglicht, die Arbeit zu machen, die notwendig ist, und sie nicht zu Masseverwaltern macht, die von der ersten Minute an in Troubles versetzt werden.
Und der dritte Wunsch?
Der wäre, dass man den Entwicklungen in die Augen schaut und dass man die neuen Bedrohungen und Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, erkennt und Werkzeuge und Tools entwickelt, um diesen zu begegnen. Wenn man damit wartet, bis die Krise da ist, ist es zu spät.