Die einst enge Partnerschaft zwischen Europa und den USA schlitterte unter Donald Trump in eine veritable Krise. Wird es Neo-Präsident Joe Biden gelingen, die transatlantischen Beziehungen wie angekündigt wiederzubeleben? Eine Analyse der sicherheitspolitischen Auswirkungen der US-Wahlen auf Europa und Österreich von IFK-Expertin Leyla Daskin.

Abgeleitet aus dem Risikobild Österreichs ist die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen und somit die außen- und sicherheitspolitische Vorgangsweise der USA von zentraler Bedeutung für die europäische und damit auch für die österreichische Sicherheit. Unabhängig vom Sieg Joe Bidens bei den US-Präsidentschaftswahlen am 3. November ist in Bezug auf die US Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin mit selektivem, interessensgeleiteten Engagement zu rechnen.

Die „America First”-Politik wird also fortgesetzt werden, nicht zuletzt aufgrund des immer geringer werdenden Interesses der US-Bevölkerung für Außenpolitik. Die Schwergewichtsverlagerung nach Asien und die Erwartung, dass Europa mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernimmt, werden bestehen bleiben. Trotzdem wird es unter Joe Bidens Führung einige konkrete Haltungsänderungen geben, die erhebliche Auswirkungen auf alle sicherheitspolitischen Bereiche haben werden, sei es der Westbalkan, Klimapolitik, internationale Rüstungskontrolle oder Terrorismus. Für die Europäische Union wird die von den US-Demokraten geleitete Administration bedeuten, dass all jene EU-Mitgliedsstaaten, die unter der Regierung Donald Trumps bilaterale Sonderbeziehungen verfolgt haben, sich mangels Alternativen wieder einer pro-europäischeren Politik zuwenden könnten. Sofern dies eintritt, könnten die US-Demokraten letztlich zu einer Stärkung der EU-Integration beitragen.

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Donald Trump und Joe Biden lieferten sich in den vergangenen Monaten ein teils erbittert geführtes Wahlduell. Das Ergebnis stand erst einige Tage nach dem Voting fest.

Es gibt im Wesentlichen drei Entwicklungsszenarien für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen:

1. Europäische Autonomie
Im sicherheitspolitischen Bereich bedeutet das, eigenständig in der Lage zu sein, Entscheidungen zu treffen und ein Ende des Auslagerns von strategischem Denken nach Washington. Der institutionelle Fokus läge daher klar auf der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU in Relation zur NATO. Um strategische Autonomie erreichen zu können, muss die Verteidigungszusammenarbeit erheblich vertieft werden. Das wäre mit einer massiven Stärkung gemeinsamer europäischer Fähigkeiten und einer wesentlichen Erhöhung der Verteidigungsbudgets der EU-Mitgliedsstaaten verbunden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Szenarios hängt weniger von der Frage der Finanzierbarkeit als von der politischen Willensbildung ab.

2. Strategische Komplementarität
In diesem Szenario bleibt die USA Führungsmacht und die EU wirkt ergänzend, beziehungsweise ordnet sich ein. Die EU ist in diesem Szenario jedoch nicht in der Lage, europäische Interessen notfalls eigenständig zu sichern. Sowohl im Szenario eins als auch zwei bleibt das „westliche Lager“ sehr wohl erhalten, insbesondere gegenüber den großen globalen Akteuren Russland und China. Das Grundmodell bei der strategischen Komplementarität wäre institutionell de facto eine revitalisierte NATO mit einem starken europäischen Pfeiler unter US-Führung. Ein Kennzeichen in diesem Kontext wäre eine gut abgesprochene Arbeitsteilung zwischen den USA und Europa, wobei die Europäer mehr Verantwortung bei der Stabilisierung des eigenen strategischen Umfelds übernehmen und die USA sich auf die Sicherstellung des globalstrategischen Ordnungsrahmens fokussieren.

3. Transatlantische Desintegration
Hier gehen die Europäische Union und die USA unabgestimmt vor. Dadurch verlieren beide an globalem Gestaltungs- und Durchsetzungsvermögen.

In welche Richtung es gehen wird, entscheidet sich anhand von konkreten außenpolitischen Grundsatzentscheidungen. Positive Erwartungen seitens der EU an Bidens Präsidentschaft sind die von ihm angekündigte Rückkehr der USA zum Atomabkommen mit dem Iran und dass der Austritt der USA aus dem Pariser Klima­abkommen wie von Biden angekündigt gleich am ersten Tag seiner Präsidentschaft wieder rückgängig gemacht wird. Biden wird auch eine Verlängerung des Atomwaffen-Abrüstungsvertrags New-START aktiv verfolgen und versuchen, diesen als Grundlage für neue Rüstungskontrollregelungen zu verwenden.

Ein kontroverses Thema zwischen den USA und Europa, insbesondere Deutschland, bleibt die in Bau befindliche Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland, wobei auch die Biden-Administration einen strikt ablehnenden Kurs beibehalten wird. Ein weiteres heikles Thema betrifft die Fortsetzung des Einsatzes in Afghanistan. Biden hat bereits kommuniziert, dass er plant, die überwiegende Mehrheit von US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen und die Mission vor Ort auf den Kampf gegen Terrorismus, gegen El Kaida und den Islamischen Staat zu konzentrieren.

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Truppenreduktion: Neo-Präsident Joe Biden hat einen Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan als eines seiner außenpolitischen Vorhaben benannt. Allerdings scheint ihm Noch-Präsident Donald Trump dabei zuvorzukommen. Er kündigte Mitte November einen Teilabzug des US-Kontingents an. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten soll noch vor der offiziellen Amtsübergabe auf etwa 2.500 reduziert werden.

In seinen bilateralen Beziehungen hat sich Österreich die Entwicklung einer strategischen Partnerschaft mit den USA zum Ziel gesetzt. Diese umfasst primär eine politische, wirtschaftliche, technologische Dimension, hat aber auch eine verteidigungspolitische Dimension erhalten. Dies wurde zuletzt durch die Unterzeichnung des bilateralen State Partnership Program zwischen der US National Guard und dem Bundesheer anlässlich des Besuchs von US-Außenminister Mike Pompeo am 14. August in Wien zum Ausdruck gebracht. Die Details werden zurzeit noch ausverhandelt, ein Schwerpunkt des Programms soll jedoch auf der Gebirgskampfausbildung liegen. Ziel des Programms ist neben gemeinsamen Übungen und Ausbildungen auch der Austausch von Experten. Neben den unmittelbaren militärischen Erwägungen kann dieses Programm auch als Ausdruck der Vertiefung der außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen gewertet werden. Neben dem Know-how im Gebirgskampf ist Österreichs Expertise am Westbalkan und die österreichische Einschätzung zu Entwicklungen in der EU-GSVP von großem Interesse für die USA.

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