Fünf Jahre war es ruhig, seit Kurzem treiben im Golf von Aden vor der Küste Somalias aber wieder Piraten ihr Unwesen. Eine Analyse von Gerald Hainzl.
Die Besatzung des Öltankers „Aris 13” hat im März dieses Jahres wohl nicht schlecht gestaunt, als mehr als zwei Dutzend Piraten ihr Schiff kaperten. Der Tanker sollte Treibstoff von Dschibuti in die somalische Hauptstadt Mogadischu transportieren, als sich zwei kleinere Boote näherten, sagte der Direktor der Organisation Oceans Beyond Piracy, John Steed. Die Besatzung habe noch einen Notruf absetzen können, bevor die Piraten das Schiff unter Kontrolle brachten, danach sei der Funkkontakt abgebrochen.
Piratenüberfälle vor der Küste Somalias sind zwar grundsätzlich nichts Neues, bemerkenswert macht den aktuellen Vorfall aber die Tatsache, dass es sich dabei um den ersten gemeldeten Piratenangriff in der Region auf internationale Schiffe seit Mai 2012 handelte und bald darauf weitere Angriffe folgten. Die internationalen Missionen im Indischen Ozean einerseits und der Konflikt im Jemen andererseits – der den Piraten die Möglichkeit der Nutzung der Gegenküste nahm – hatten zuvor praktisch zu einem Erliegen der Piraterie am Horn von Afrika geführt.
Während der internationalen Aufschrei infolge des Überfalls auf die „Aris 13” groß ist, hält sich die Aufregung in Somalia selbst in Grenzen. Dort ist Piraterie nur ein sehr nachrangiges Problem. Da die Regenzeit Ende 2016 zum dritten Mal in Folge ausblieb, leidet das Land vielmehr unter einer verheerenden Dürre. Bis März waren innerhalb Somalias mehr als 600.000 Menschen auf der Flucht vor Hunger und Durst und nach Schätzungen von Hilfsorganisationen werden es täglich um 8.000 mehr. Der Wassermangel führt zudem dazu, dass immer mehr Nutztiere verenden und den Menschen dadurch die Lebensgrundlage entzogen wird. Krankheiten wie Cholera, die auf Mangelernährung zurückzuführen sind, breiten sich rasch aus und machen auch vor Staatsgrenzen nicht halt. Laut Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF werden heuer rund 275.000 Kinder an akuter Mangelernährung leiden, rund die Hälfte der Bevölkerung – etwa sechs Millionen Menschen! – ist derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese läuft allerdings nur sehr schleppend an, was die Fluchtbewegungen im Land, aber auch über die Staatsgrenzen hinaus weiter verstärkt.
Verständlich, dass da eine Handvoll Piraten, die irgendwo vor der Küste ihr Unwesen treibt, nicht für die ganz großen Schlagzeilen sorgt. Trotzdem soll nun ein Stabilisierungsabkommen eine Rückkehr zu geordneten politischen Verhältnissen und ein Ende der Gewalt ermöglichen. Große Hoffnung wird in diesem Zusammenhang sowohl in Somalia als auch von der internationalen Gemeinschaft in den neugewählten Präsidenten Mohammed Abdullahi Farmajo gesetzt. Eine wesentliche Herausforderung für ihn und seine Regierung wird es sein, der Bevölkerung zu zeigen, dass seine Regierung auch tatsächlich die Lebensumstände im Land verbessern kann. Gelingt das nicht, können große Hoffnungen auch rasch zu großen Enttäuschungen und zu weiterem Zulauf zu Gruppen wie al-Shabaab führen. Zudem sollte sich der Präsident auch mit dem Status von Somaliland auseinandersetzen, das sich vor rund 26 Jahren für unabhängig erklärt hat. Eine politische Lösung und Stabilisierung Somalias wird früher oder später auch die Frage wieder aufwerfen, wie Mogadischu mit der Somaliland-Frage umzugehen gedenkt.
Auch unabhängig davon versucht Präsident Farmajo seit seinem Amtsantritt politisch nicht nur nach innen, sondern auch nach außen zu wirken. Seine Reise nach Äthiopien ist ein erstes Indiz dafür, dass er die Kooperation mit den Nachbarstaaten sucht, wohl auch in dem Wissen, dass jede Lösung für die Konflikte in Somalia auch der Unterstützung der Nachbarstaaten bedarf. Der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta betonte beispielsweise, dass im Kampf gegen den Terrorismus enge Beziehungen der Schlüssel zum Erfolg sind. Durch die unterschiedlichen regionalen Dynamiken, aber auch im Kampf um regionale Vormachtstellung sowie eigene ökonomische und sicherheitspolitische Interessen der Nachbarstaaten dient Somalia zudem als Katalysator für deren Intentionen. Im Kampf gegen die Terrrorgruppe al-Shabaab konnten zwar in jüngster Zeit einige Erfolge verzeichnet werden.
Trotzdem kann die Gruppe noch große Gebiete kontrollieren und bleibt damit eine Herausforderung für die Sicherheit. Al-Shabaab ist nach wie vor in der Lage, auf mehreren Ebenen gegen die staatlichen Strukturen zu kämpfen. Das reicht von Angriffen auf militärische Stützpunkte über Terroranschläge in Mogadischu bis zur Verhinderung von internationaler Hilfe für die hungernde Bevölkerung. Diese Situation nutzen die Rebellen gezielt, um selbst Nahrungsmittel und andere Hilfen zu verteilen und damit Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen.
Um eine langfristige Stabilisierung zu erreichen, wird es daher notwendig sein, al-Shabaab in sämtliche Pläne und Überlegungen miteinzubeziehen. Dies gilt vor allem für die „einfachen“ Mitglieder der Gruppe sowie in Teilen auch für die somalischen Führungskader. Dabei sollte helfen, dass die Terroristen derselben Gesellschaft und somit dem somalischen Clansystem angehören und dadurch vermutlich leichter wieder integriert werden können. Bleibt die Frage, wie in diesem Fall mit ausländischen Kämpfern umgegangen werden soll. Neben der Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) sind auch die USA in Somalia nachhaltig involviert. Der Kampf gegen die Terrorgruppe al-Shabaab wird mit Drohnen und Luftschlägen geführt. Der Tod eines US-Soldaten Anfang Mai weist aber auch auf ein Engagement am Boden hin. Schon wenige Tage zuvor hatte ein Sprecher von US AFRICOM gegenüber der Zeitschrift Newsweek bestätigt, dass etwa 100 Soldaten in Somalia stationiert sind. Sie haben die Aufgabe, sowohl die Kräfte der Afrikanischen Union als auch die somalischen Streitkräfte auszubilden.
Am Horn von Afrika treten aber auch neue Akteure auf, die sich aus sicherheitspolitischen Interessen in dieser Region engagieren. Ein Beispiel dafür sind die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE), die neben einem Stützpunkt in Eritrea auch in der Republik Somaliland sogar mit Zustimmung der Regierung in Mogadischu einen Stützpunkt errichten. Gerade auch wegen der Vielzahl unterschiedlicher Player wird es für Somalia keine schnelle Friedens-Lösungen geben. Selbst bei gutem Willen aller Beteiligten wird es viele Jahre dauern, bis ein tragfähiges, stabiles politisches System errichtet ist, und dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass es immer wieder zu Rückschlägen kommen wird. Alternativen dazu haben sie aber kaum, der nun beschrittene Weg scheint der einzige Erfolg versprechende zu sein.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Stabilisierung, Terrorismus bekämpfen und Entwicklung” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.