Am Rande des „Wiener Kongresses zur Zukunft Europas” sprach Politikwissenschaftler Professor Carlo Masala im großen Militär Aktuell-Interview über den Krieg, in dem sich Europa befindet, kommende Krisen und sein neuestes Buch.
Herr Professor, der Krieg Russlands gegen die Ukraine begann zwar schon 2014, ist aber erst seit 2022 in dieser umfassenden Form als ein solcher für alle erkennbar. Warum aber herrscht Krieg in der Ukraine?
In der Ukraine herrscht Krieg, weil die russische Staatsführung ein dezidiertes Projekt der Machterweiterung verfolgt. Gekoppelt wird dieses Projekt mit einem Geschichtsbild, in dessen Kern die Annahme steht, dass die Ukraine ein Kunststaat wäre, den es so nie hätte geben dürfen. Damit wird der Ukraine sämtliche staatliche Souveränität abgesprochen.
Das klingt nach einem umfassenden Projekt.
Bereits 2021 veröffentlichte Wladimir Putin einen berühmten Aufsatz (-> zur Rolle der Geschichte im aktuellen Krieg), den er in mehreren Reden verkürzt wiederholte. Darin wirft er den Bolschewiki und Lenin eine Reihe von Fehlern vor, die – aus Sicht Putins – dazu führten, dass jener Teil Russlands, der heute die Ukraine ist, eine Art von staatlicher Souveränität bekam.
Wir haben es also mit Imperialismus zu tun?
Es ist ein neo-imperialistisches Projekt, das über die Ukraine hinaus geht, denn wir sehen in Ansätzen auch die Delegitimierung der staatlichen Souveränität der baltischen Staaten. Es bleibt noch offen, ob das auch politisch so verfolgt wird. Die Ideologie und die rhetorischen Figuren sind aber die gleichen.
Können also Sicherheitsinteressen Russlands gänzlich als Grund für den Krieg ausgeschlossen werden?
Diese Meinung wird auch diskutiert, ja. Die Klärung dieser Frage ist deshalb wichtig, weil man dann den Schlüssel zum Umgang mit Russland hat. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bis zum 24. Februar 2022, dem Tag der Kriegserklärung Russlands, das Sicherheitsargument sehr im Vordergrund stand. Interessanterweise änderte sich dies aber danach. Empirisch kann man einige Ereignisse beobachten, die eher darauf schließen lassen, dass das Sicherheits-Argument nur vorgeschoben ist und wir es im Kern mit einem neo-imperialistischen Projekt zu tun haben.
Beispielsweise?
Drei Punkte: Die Annäherung der Ukraine an die NATO lässt sich meiner Meinung nach so nicht empirisch feststellen. Seit dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest, wo unter anderem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy den sofortigen Beitritt Georgiens und der Ukraine zur NATO verhinderten, hat sich hinsichtlich des Beitritts nichts mehr bewegt. Weitere Beispiele finden sich in den von Russland seit 2022 besetzten Gebieten, wo Kinder entführt werden, Straßen umbenannt und Bibliotheken niedergebrannt werden. Wenn es ein Sicherheitsargument wäre, dann bräuchte es keine Russifizierung, sondern nur einen Cordon sanitaire, eine stabilisierte Bufferzone, zwischen NATO und Russland.
Und drittens?
Russland hat jetzt ein noch größeres Problem: Die 1.380 Kilometer lange Grenze zum jüngsten NATO-Land Finnland.
Wann beziehungsweise wo ist nun das Ende dieses „neoimperialistischen Projekts” erreicht, wie Sie es nennen?
Das Ende ist dort, wo die Russen die Möglichkeit des Endes sehen. Das bedeutet: Wenn wir annehmen, dass wir eine dauerhafte Stabilisierung der Front bekommen, dann glaube ich, wird das eine gute Gelegenheit für eine taktische Pause Russlands sein. Danach – wann kann keiner sagen – könnte versucht werden, den Rest der Ukraine zu erobern.
Räumlich ist also wo die Grenze erreicht?
Auf territorialer Ebene liegt die Grenze bei den baltischen Staaten. Sie sind ein potentielles Objekt russischer Begierde. Darüber hinaus wird es aber wohl nicht gehen. Ich halte es für eher ausgeschlossen, dass Russland versuchen würde, Polen anzugreifen, um dort Territorium zu erobern.
„Ich halte es für eher ausgeschlossen, dass Russland versuchen würde, Polen anzugreifen, um dort Territorium zu erobern.“
Gleich wer die US-Präsidentschaftswahlen 2024 gewinnen wird, ist wohl davon auszugehen, dass die USA aufgrund gesellschaftlicher Spaltungen mit sich selbst beschäftigt sein werden – in den USA ist schon des öfteren von einem drohenden Bürgerkrieg zu hören gewesen. Das ist doch der passende Zeitpunkt für Russland, um die territorialen Grenzen auszuweiten, oder?
Eine Instabilität ist möglich, ja. Die Wahl des Präsidenten wird für Russland von Bedeutung sein. Sollten die Wahlen überhaupt bis Jänner 2025 entschieden sein, könnte ein mögliches Chaos ausgenutzt werden.
Inwiefern?
Ich glaube nicht, dass wir eine große Offensive sehen werden. Momentan würde es Russland überfordern, eine Phase der Instabilität in den USA auszunutzen, um direkt nach Kiew vorzustoßen. Es ist aber davon auszugehen, dass es in diesem Chaos keine zusätzliche Hilfe der USA für die Ukraine geben wird. Sollte Europa bis dahin nicht in der Lage sein, die eigene Hilfe massiv hochzufahren – was ich annehmen muss –, dann wird sich die Ukraine in einer ähnlichen Situation wie heute befinden: Der Ukraine gehen Munition und Personal aus. Wir werden dann sicher den Versuch von Offensiven sehen, auch wenn sie nicht umfangreich sein werden.
Die Offensiven werden aber Territorium sichern, beispielsweise im Süden der Ukraine?
Genau. Wir sehen jetzt schon den Beschuss in Odessa, der wird verschärft werden. Der Versuch wird dann sein, vom Donbas bis Odessa alles einzunehmen, zu halten und dann Kräfte zu sammeln. Wenn man General Waleri Gerassimow (Anmerkung: Generalstabschef der russischen Streitkräfte) genau liest, wird das klar. Er sagt: Das Militär wird nur dann eingesetzt, wenn der hybride Krieg nicht zum gewünschten Erfolg führt. Und Russland braucht eine taktische Pause, das ist offensichtlich.
Welchen Effekt hätte eine solche Operation ganz konkret?
Das hätte einerseits eine Stabilisierung der eigenen Eroberungen zur Folge. Andererseits wäre die Ukraine ein nicht mehr aus eigener Kraft überlebensfähiger Staat. Danach könnte ein hybrider Krieg folgen, bis sich die eigenen Kräfte regeneriert haben, um dann allenfalls einen zweiten Schritt zu wagen.
Eher ist nicht mit einer großen Offensive zu rechnen?
Das Risiko wäre zu groß, wenn unter den aktuellen Bedingungen Richtung Kiew vorgestoßen werden würde. In den USA oder Europa könnte jetzt noch eine solche Bewegung in Kraft treten, die die russische Armee zu sehr in Bedrängnis brächte. Putin denkt in langen geschichtlichen Zyklen. Er muss keinen schnellen Erfolg haben. Die Probleme in der Ukraine, die im Winter wahrscheinlich noch deutlicher zu Tage treten werden, bieten sich für Russland als Einfallstor an, um das Land zu destabilisieren und dann gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt das Land territorial komplett zu übernehmen.
„Putin denkt in langen geschichtlichen Zyklen. Er muss keinen schnellen Erfolg haben.“
Stichwort „hybrider Krieg”: Ist mit diesem Krieg in der Ukraine auch Europa im Krieg?
Ja, natürlich. Wir sind im Krieg, das muss man so klar sagen. Völkerrechtlich nicht, aber Putin führt diesen hybriden Krieg auch gegen uns. Putin spricht seit Monaten vom „Krieg gegen den Westen”, seltener von einem „Krieg gegen die Ukraine”. Es ist ein Krieg gegen ein Gesellschaftsmodell, das der Westen repräsentiert. Und damit sind wir im Krieg gegen Putin.
Wir müssten ihm aber gar nicht zustimmen.
Ich glaube, wir bewegen uns im Diskurs auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Auf der völkerrechtlichen Ebene befindet sich „der Westen” offensichtlich nicht im Krieg mit Russland. Putin bewegt sich hingegen auf einer rhetorischen Ebene, auf der er uns einfach zur Kriegspartei erklärt. Dieser Diskurs kommt schlichtweg nicht zusammen.
Entspricht das der „großen Konfrontation des globalen Südens mit dem globalen Norden”, auf die Bundesheer-Oberst Markus Reisner immer wieder hinweist?
Ich glaube, die Bruchlinie ist komplizierter. Im Kern geht es um eine neue internationale Ordnung, da haben wir die gleiche Meinung (-> Interview mit Oberst Markus Reisner). Was wir aber erleben, ist die Konfrontation um eine neue Weltordnung. Wir sehen, dass die liberale Weltordnung, so wie wir sie seit 1945 kennen, an vielen Fronten angegriffen wird, nicht nur militärisch. Wir befinden uns schon lange in diesem Kampf, jetzt aber erreicht er seinen Höhepunkt.
Kann man sich das so vorstellen, dass sich die Akteure abgesprochen haben, oder …?
Ich glaube nicht, dass das abgesprochen ist, man hat aber einen gewissen Konsens gefunden. Es haben sich jetzt ganz viele strategische Vakua ergeben, weil die USA so stark mit dem russischen Krieg gebunden sind, gleichzeitig auch auf Israel und die Hamas geblickt wird (-> Irans Großangriff auf Israel gescheitert) und so weiter. Andere Staaten stoßen nun vor, weil sie denken, sie können relativ risikolos handeln, da die USA weder die Kapazitäten noch den politischen Willen haben, sich auch noch um andere Konfliktherde zu kümmern.
Welches Europa könnte die Ausbreitung des russischen Krieges verhindern? Wie müsste dieses Europa letztlich beschaffen sein, um hier etwas zu bewirken?
Wir bräuchten ein Europa mit einem stärkeren politischen Willen und einem stärkeren Selbstbehauptungswillen, um Russland aufzuhalten. Europa hat irrsinnig viele Sanktionen gegen Russland verhangen, ist aber nicht in der Lage und politisch willens, politische Schlupflöcher, die in jedem Sanktions-Regime existieren, zu schließen. Die gestiegenen Exporte Deutschlands nach Kirgisistan sind ein gutes Beispiel. Wir alle wissen, wohin die Güter wirklich gehen.
„Was muss noch passieren, das dramatischer ist, als der 24. Februar 2022, damit Europa endlich sieht, dass es mit mehr Geschlossenheit und mehr Einigkeit auf solche Entwicklungen reagieren muss?“
Besteht denn überhaupt Hoffnung auf Veränderung?
Das politikwissenschaftliche Konzept der „Critical Juncture” ist für mich persönlich ein Puzzlestein. Dabei werden große Veränderungen und Ereignisse und ihre Folgen und Gegenreaktionen betrachtet. Dabei stellt sich mir die Frage: Was muss noch passieren, das dramatischer ist, als der 24. Februar 2022, damit Europa endlich sieht, dass es mit mehr Geschlossenheit und mehr Einigkeit auf solche Entwicklungen reagieren muss? Als Antwort fällt mir nur eine Sache ein, die ich aber gar nicht sehen möchte: Dass Putin gegen Europa militärisch reagiert.
In Ihrem neuen Buch „Warum die Welt keinen Frieden findet” (Brandstätter Verlag) schreiben Sie, dass wir lernen müssten, Kriege zu verstehen. Könnte das den Menschen klarer machen, was Kriege bedeuten und was nun, in der jetzigen Situation, getan werden müsste?
Ich plädiere mit diesem Gedanken für zwei Dinge: Das eine ist, Kriege als ein immer wiederkehrendes Momentum der Auseinandersetzung zwischen zwei sozialen Gruppen zu akzeptieren. Damit akzeptiert man auch, dass sich Kriege nicht immer verhindern lassen. Sie lassen sich zwar verhindern, aber nicht immer. Kriege zu verstehen bedeutet zum anderen auch, eine Idee davon zu bekommen, wie in Kriegen reagiert werden muss, damit sie möglicherweise enden können. Dennoch: Das wird Europa nicht einen. Es würde Europa aber von der Idee befreien, zu sagen, dass es immer nur eine Frage der Diplomatie und der Ökonomie sei, kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern. Der Wille zum Krieg war aber im Falle des Krieges gegen die Ukraine so stark, dass man ihn nicht verhindern hätte können.
Mit für uns allen zugänglichen Informationen aus der Open Source Intelligence (OSINT) können wir täglich den Krieg in der Ukraine auch auf einer tiefen, taktischen Ebene beobachten. Dadurch ergibt sich ein verhältnismäßig klares und aktuelles Lagebild, das sich durchaus von der in anderen Medien präsentierten Meinung unterscheiden kann.
Man darf natürlich nicht pauschalisieren, aber ich würde die Aussage sogar erweitern: Das gilt ja auch für Exekutiven, also für das, was Dienste ihren eigenen Regierungen über die Situation berichten. Manche Dienste haben bei diesem Krieg nur mit den sozusagen „roten Quellen” gearbeitet, also aus ihnen nahestehenden Quellen. Exekutiven wollten es nicht sehen. Und Medien haben es nicht gesehen. Aber der Krieg war im Vorfeld zu sehen. Man hätte auf diese ganzen russischen Versuche viel früher reagieren können. Ob das den Krieg abgewendet hätte, oder nicht, das ist eine andere Frage. Aber man hätte ein größeres Instrumentarium schon viel früher zum Einsatz bringen können, um die Russen daran zu hindern, die Ukraine zu überfallen.
Losgelöst von der Politisierung des Begriffs „Neutralität”: Gibt es eine Form der staatlichen Neutralität, die in dem aktuellen Gefüge aus Krisen und Kriegen bestehen und auch aktiv wirken kann?
Meines Erachtens würde Neutralität nicht bedeuten, einem eindeutig angegriffenen Staat, nicht Hilfe zu leisten, auch im letalen Bereich. Österreich leistet ja Hilfe, aber im nicht-letalen Bereich.
Befindet sich Österreich mit seiner Neutralität also in einer Art luftleerem Raum
Neutralität ist eine politische und völkerrechtliche Kategorie. Wenn das Völkerrecht – wie im Krieg gegen die Ukraine – relativ eindeutig ist, warum bedeutet Neutralität sich aus dem Konflikt rauszuhalten? Umgekehrt würde es bei einem Angriff auf Österreich völlig legitim sein, dass Österreich die Erwartung haben kann, verteidigt zu werden – sofern der Angriff nicht präemptiver Art ist, weil Österreich beispielsweise kurz davor steht, ein anderes Land anzugreifen. Warum hilft Österreich nicht, die Ukraine zu verteidigen, wenn es hier um das Gleiche geht? Das bedeutet ja nicht, dass sich Österreich in anderen Konflikten, die nicht so eindeutig sind, nicht heraushält. Es entscheidet dann eben „case to case”. Wenn der Fall aber so klar ist, wie er in der Ukraine ist, ist es – so glaube ich – wichtig, politische Führung zu zeigen.
Ist Österreich ein Sonderfall inmitten Europas?
Die österreichischen Streitkräfte arbeiten als „advanced partner” schon sehr eng mit der NATO zusammen (-> Österreich bei NATO-Treffen mit dabei; -> 25 Jahre NATO-Partnerschaft für den Frieden). Zwar nicht so wie Schweden und Finnland, aber doch. Im politischen Diskurs findet das aber keinen Niederschlag. Über Österreichisches Territorium werden Waffen in die Ukraine transportiert. Österreich investiert für den Fall eines möglichen Raketenbeschuss in Luftverteidigung (-> Das Bundesheer setzt auf Skyranger-Türme; -> Österreich plant Beteiligung an Sky Shield Initiative). Warum, wenn das Land neutral ist? (-> Gastkommentar von Ex-Verteidigungsminister Werner Fasslabend: Ist Sky Shield mit Österreichs Neutralität vereinbar?) Neutralität wird so zur politischen Folklore. Die Beziehungen Österreichs zur NATO sind letztlich so eng, dass man eigentlich nicht mehr sagen kann, dass Österreich neutral wäre. Österreich ist ein Quasi-Mitglied einer Allianz.
Da wäre dann auch noch die EU und die Beistandsklausel.
Ja, die kommt noch dazu. Momentan stellt ja Österreich den Chairman of the European Union Military Committee (-> Österreicher wird höchster General der EU). Mehr Ehrlichkeit wäre die Antwort.
Damit gäbe es ja dann doch noch eine Form der Neutralität, auf die wir bauen könnten.
Genau. Neutralität heißt nicht, dass wir uns aus allem raushalten. Man hält sich dann aus Konflikten heraus, die nicht eindeutig und klar sind. Das trifft sogar auf die meisten Konflikte zu, Aggressor und Opfer sind nicht immer leicht zu benennen. Aber im Falle der Ukraine ist es relativ klar, wer Aggressor und Opfer ist. Der Punkt ist: Österreich hat die Entscheidung getroffen. Indem der Ukraine – als Opfer – schon geholfen wurde, können ebenso auch letale Mittel, wie Munition oder einzelne Systeme, zur Verfügung gestellt werden.
Welche Rolle spielt letztlich die Zivilgesellschaft, die im Sinne der geistigen Landesverteidigung ein Verständnis von Krieg bekommen muss?
Am Beispiel Deutschlands: Der Fehler der bisherigen „Zeitenwende” war (-> Droht nun eine „Zeitenwende light”?), dass man sich auf die Bundeswehr und die Ausrüstung konzentrierte. Aber man begriff nicht, dass letzten Endes selbst eine voll ausgerüstete Bundeswehr im Falle einer Bündnisverteidigung ihren Auftrag nicht umfänglich erfüllen kann, wenn die Gesellschaft nicht hinter ihr steht. Wenn die Gesellschaft nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, den diese Bundeswehr dann zahlen müsste, wenn sie im Bundesfall wäre, dann kollabiert alles nach wenigen Wochen. Deshalb muss die Gesellschaft resilient, also wehrhaft werden. Wir stehen gerade an einer Weggabelung. Wir müssen realisieren, dass Staaten wie China und Russland schon seit Jahren einen hybriden Krieg gegen uns führen. Wenn wir Gesellschaften haben, die nicht die Einsicht in die Notwendigkeit des Preises haben, den die Verteidigung freiheitlich-demokratischer Gesellschaften kostet, dann werden die Streitkräfte ihre Aufträge nicht erfüllen können. Im Kontext Deutschlands zu bleiben, ist das die eigentliche „Zeitenwende”, die wir brauchen.
„Wir müssen realisieren, dass Staaten wie China und Russland schon seit Jahren einen hybriden Krieg gegen uns führen.“
Das heißt, wir müssen uns um einen wehrhaften Frieden kümmern?
Ja, definitiv. Ich zögere aber immer beim Begriff „wehrhaft”, da er sich sehr auf den militärischen Teil bezieht. Ich würde eher sagen, wir brauchen resiliente Gesellschaften, die bei einem Anschlag auf die kritische Infrastruktur nicht zusammenknicken. Die Frage muss also lauten: Wie können wir die zentralen Funktionsfähigkeiten des gesellschaftlichen Lebens garantieren, auch wenn wir angegriffen werden, und zwar auch mit nicht-militärischen Mitteln? Konkret bedeutet dies, den Leuten zu sagen, dass Krieg nicht nur mit Waffen im Osten Europas stattfindet. Wir hatten ja schon Cyber-Angriffe auf deutsche Kommunen und Sprengstoff wurde neben NATO-Pipelines aufgefunden. Darüber hinaus werden auch extremistische Parteien finanziert und Desinformationskampagnen durchgeführt. Das muss die Politik klarer ansprechen, auch wenn es sich gerade schon ändert. Zentral bleibt aber: Ohne resilienter und robuster Gesellschaften werden wir diesen Krieg nicht gewinnen können.