Am 28. Februar kündigte Deutschlands Kanzler Olaf Scholz im „Schock” des russischen „Spezialoperations-Krieges” ein „Sondervermögen” von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an. Wegen der anhaltend hohen Inflation und dem starken US-Dollar dürfte die deutsche Ampel-Regierung nun allerdings mehrere mit dem Geld geplante Rüstungsprojekte für die Bundeswehr wieder streichen.
Das Handelsblatt berichtet aktuell mit Verweisen auf Quellen aus der deutschen Industrie und Politik, dass einige der geplanten Rüstungsbeschaffungen wieder abgeblasen werden müssten. Die genannten Projekte beträfen vor allem die See- und Luftstreitkräfte. Dies wird in erster Linie mit gewichtigen haushalts-buchhalterischen Einwänden des Bundesrechnungshofes begründet.
Jener hatte in seinem Bericht zum Entwurf des Wirtschaftsplans kritisiert, dass die vorgesehenen Gesamtausgaben der seit Beginn des Ukraine-Krieges als „Zeitenwende” bezeichneten deutschen Ausrüstungsoffensive über den 100-Milliarden-Euro-Finanzrahmen weit hinausgingen. Dies sei „unzulässig, weil die Gefahr besteht, dass das Bundesverteidigungsministerium eingegangene Verpflichtungen später nicht vollständig aus dem Sondervermögen bedienen könne”. Zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt wären die Folge”, heißt es in dem vom Handelsblatt zitierten Bericht. Jene Belastungen würden angesichts der Welt- und Bedrohungslage aber längerfristig in jedem Falle anstehen, so mehrere deutsche Industrievertreter erst dieser Tage. Die 100 Milliarden Euro wären demnach nur eine Anschubfinanzierung und für alle Wünsche wären laut Airbus-Rüstungschef Michael Schöllhorn und Rheinmetall-Chef Armin Papperger in Wahrheit eigentlich 200 Milliarden Euro nötig.
Inflation fraß „Sondervermögen”
Hintergrund für die nun vorderhand absehbare drastische „Wende von der Zeitenwende”, ist aber die rasant gestiegene Inflation. Diese verteuert geplante Anschaffungen und lässt von den ursprünglichen 100 Milliarden Euro inzwischen wohl nur mehr rund 90 Milliarden Euro übrig. „Da viele Projekte über fünf bis sieben Jahre laufen sollen, schafft die Inflation in der momentanen Dimension ein ernstes Finanzproblem”, sagte dem Handelsblatt eine mit den Vorgängen vertraute Quelle. Selbiges kann übrigens auch dem hierzulande beschlossenen Aufbauplan 2032 mit den geplanten Investitionen von 16,6 Milliarden Euro blühen.
Laut dem deutschen Medium stünden vor allem die geplante dritte Tranche der Korvette K130, die Eurofighter für die elektronische Kampfführung, neue Fregatten und neue Panzerhaubitzen, die als Ersatz für die an die Ukraine gelieferten Systeme bestellt werden sollten, auf der Kippe. Auch die Stückzahl des zweiten Loses des Schützenpanzers Puma, für das in diesem Jahr 304 Millionen Euro veranschlagt wurden, „reduziert sich wöchentlich”, sagte ein Koalitionspolitiker. Zu den inflationsbedingt gestiegenen Anschaffungspreisen kommen die wachsenden Zinsausgaben für das kreditfinanzierte Sondervermögen. Hier wird inzwischen mit sieben statt mit drei Milliarden Euro mit mehr als dem Doppelten kalkuliert.
Speziell die im Raum stehende Streichung der Eurofighter-Version als Ersatz für die ECR-Tornados zur Bekämpfung gegnerischen Luftabwehr (SEAD/DEAD) dürfte – als in die NATO eingemeldete Spezialrolle – schwer zu kompensieren sein. Schon hatte sich – diversen Airbus-Folien zum Trotz – abgezeichnet, dass man offenbar selbst keine geeignete, rechtzeitig verfügbare Komplettlösung im Sinne einer Vollversion wie bei der zuvor angedachten EF-18G Growler schafft und sich daher erst kürzlich beim EloKa-Behälter bei Hensoldt mit den israelischen Profis von Rafael zusammengetan hat. „Es geht um eine hochmoderne und ausgereifte Lösung für die luftgestützte elektronische Kampfführung, die im Jahr 2028 erstmals einsatzfähig sein wird”, so eine Aussendung erst am 19. Oktober. Beabsichtigt ist beziehungsweise war ein gemeinsames Projekt zur Integration und Verbesserung von Rafaels EloKa-Pod Sky Shield als ausgereifter serienmäßiger Escort Jammer (ESJ), mit der neuesten luftgestützten elektronischen Angriffstechnologie ‚alaetron Attack von Hensoldt. Vielleicht wird wenigst dieser Behälter für bestehende Eurofighter realisiert, aber was ersetzt HARM?
Frau Lamprecht „mauert”
Das Bundesverteidigungsministerium schreibt dazu in seiner Stellungnahme an den Rechnungshof, dass es gemeinsam mit dem FDP-Bundesfinanzministerium den Entwurf des Wirtschaftsplans mit Blick auf die abschließenden Haushaltsberatungen noch überarbeite. Von Streichungen einzelner Projekte sei noch gar keine Rede, es gebe vielmehr noch immer Gespräche zwischen der Politik und der Industrie über diverse Projekte. Als gesetzt gelten aber die Anschaffung des Kampfjets Lockheed-Martin F-35A sowie des schweren Transporthubschraubers Chinook. Beim F-35A gebe es kein Zurück mehr, da die Maschine für die – nunmehr auch von den deutschen Grünen nicht mehr thematisierte – nukleare Teilhabe Deutschlands unverzichtbar sei, hieß es. Zudem seien die Gespräche mit der US-Regierung über die Anschaffung der Flugzeuge gut vorangekommen. Allerdings steht beim F-35A offenbar doch wieder die geplante Stückzahl von 35 Maschinen zur Disposition. Ein Grund sei, dass – so ein Abgeordneter der Ampelkoalition – die Bundesregierung bei der Anschaffung mit einem Dollarkurs von 1,1 zum Euro kalkuliert habe. Durch den inzwischen erstarkenden Dollar verteuern sich aber die Importe aus den USA deutlich.
Die finale Größe der zukünftigen deutschen Kampfflugzeugflotte beschäftigt Gerhartz offenbar aber darüber hinaus. Bis zu diesen jüngsten vom Handelsblatt gemeldeten Anpassungen, plante die Luftwaffe die Beschaffung von 15 Eurofighter Tranche 5-Flugzeugen für EloKa beziehungsweise SEAD/DEAD, um einen Teil ihrer 93 Tornados zu ersetzen – in Summe mit dem F-35A also insgesamt 50 neue Flugzeuge. Auch ohne der noch im Raum stehenden „Umwandlung” der 15 Eurofighter-Zellen in die angesprochenen Rafael-Hensoldt-Behälter, „sendet die Reduzierung der Stärke möglicherweise um etwa 40 Maschinen das falsche Signal an Gegner wie Russland”, sagte er und erläuterte: „Die alternde Tornado-Flotte wird bis 2030 vollständig ‚durch’ sein, und ich denke, auf meiner Ebene müssen wir bei 200 Flugzeugen bleiben. Denn wir müssen beispielsweise auch der Marine etwas Unterstützung geben.”
Die der soliden Haushaltspolitik verpflichteten Rechnungshof-Wächter kritisieren jedenfalls unabhängig davon, dass Ausgaben wie für F-35 oder die 60 schweren Transporthubschrauber CH-47F im Wirtschaftsplan nicht als einzelne Posten veranschlagt werden, sondern mit anderen Projekten in einem Sammeltitel „Dimension Luft” zusammengefasst sind. So bestehe die Gefahr, dass Mittel für andere (Luft)Projekte verwendet würden und die Finanzierung der F-35 oder des Hubschraubers am Ende nicht gesichert sei.
Ministerium von Geld überfordert?
In starkem Kontrast zu den nun vom Handelsblatt berichteten „Ernüchterungen”, bemängelte erst am 20. Oktober Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, dass bald acht Monate nach Scholz’Ankündigung des Extra-Etats Unklarheit darüber herrsche, wofür das Geld ausgegeben werden soll. „Das Verteidigungsministerium war gar nicht darauf vorbereitet gewesen, mit einer solchen Summe umzugehen, die gab es ja in einem solchen Schwall bisher nie. Und bis heute gibt es im Ministerium keine abgestimmte Liste mit den konkreten mehreren Hundert Einzelprojekten, die aus dem Sondervermögen finanziert werden sollen”, sagte Strack-Zimmermann der Süddeutschen Zeitung. „Das muss sich schnell ändern. Ich erwarte, dass Entscheidungen getroffen werden.” Frau Strack-Zimmermann ist übrigens aus der FDP, der Partei von Finanzminister Christian Lindner, der erst Ende Mai noch erfreut war, die Zeitenwende des Kanzlers nun mit konkreten Taten befüllen zu können.
„Munition” für Kreml-Propaganda
Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang auch klar: Wenn die Wende von der Zeitenwende nun so kommt, wie befürchtet und haushaltsbedingt durchschlägt, wird dies sicherlich von der Kreml-Propaganda und in den schrägen russischen TV-Talks sehr bald als Beweis dafür bejubelt werden, wie sehr der „verweichlichte” Westen keine Schmerzen und nicht einmal finanzielle Opfer verkraftet und so den Stellvertreter-Konflikt mit Russland ohnehin nicht durchhalten wird können.
Noch vor einem Monat sah der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, „die deutschen Streitkräfte trotz der beschlossenen zusätzlichen 100 Milliaden Euro noch nicht auf dem Weg zum Besseren. Momentan sind wir noch im freien Fall”, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Auch beklagte er, die Bundeswehr sei – trotz dem neuen Beschaffungsbeschleunigungsgesetz – total überreguliert. Auch sei weiterhin die Nachwuchsgewinnung schwierig, weil die Menschen längerfristige Perspektiven bräuchten, wenn sie sich für zehn oder zwölf Jahre bei der „größten Zeitarbeitsfirma im Land” verpflichteten.