Die Situation: An einem Bahnhof gibt es eine Explosion. Eine „schmutzige Bombe” wird vermutet. Unklar ist aber, wo genau der oder die Kampfmittel eingesetzt wurden, um welche es sich genau handelt und wie sie sich in der Umgebung durch Wind und bauliche Verhältnisse verbreiten. Die eingesetzten Kommandanten stehen nun vor mehreren Fragestellungen: Wie weitflächig muss die Umgebung evakuiert werden? Wie, wann und wo können die eigenen Truppen eingesetzt werden, ohne sich selbst zu gefährden? Welche Gegenmaßnahmen müssen getroffen werden?

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Die Übung beginnt: Eine Explosion zwischen den Gleisen setzt Ammoniak frei.

Ein solches Szenario wünscht sich niemand, dennoch kann es potentiell jederzeit so oder so ähnlich Realität werden. Darum schlossen sich in einem Projekt der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) und der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit PESCO (Permanent Structured Cooperation) 15 Unternehmen aus sechs Ländern der EU – unter Projektleitung Österreichs – zusammen, um technische und systemische Lösungen zu finden. Am Truppenübungsplatz Allentsteig wurden diese Woche die Ergebnisse der ersten Entwicklungsphase einem internationalen Publikum präsentiert.

Das eingangs geschilderte Szenario wurde am TÜPL Allentsteig im urbanen Trainingsgelände Steinbach als Ausgangslage herangezogen. Die Leitung übernahm das ABC-Abwehrzentrum des Österreichischen Bundesheeres unter Kommando von Oberst Jürgen Schlechter. In der ersten Phase startete der S-100 Camcopter von Schiebel und überflog das Gebiet. Hier zeigte sich bereits die erste Besonderheit des neuen Systems: Die große Drohne (Large UAS; Unmanned Aircraft System) gibt nicht nur die Geodaten an die Kontrollstelle weiter, sondern erkennt anhand der angebauten CBRN-Detektoren die Wirkstoffe in Echtzeit. Sowohl die Entsendung einer Mannschaft in den Gefahrenbereich, als auch der Weg ins Labor entfällt damit. Zugleich liefert der S-100 Camcopter die ersten Videoaufnahmen aus der Luft, ebenfalls in Echtzeit.

In der zweiten Phase startete die Drohne Tango VTOL von ElevonX. Sie überflog abermals das Gebiet und landete in nächster Nähe der Gefahrenquelle. Ihre Aufgabe ist es, die genaue Messung vor Ort zu übernehmen, was aufgrund der Verarbeitung – die Konstruktion im IP67-Standard erlaubt eine rasche Dekontamination ohne das Gerät zu schädigen – möglich ist.

In der dritten Phase begann der Einsatz eines echten Schwergewichts: Das unbemannte Landfahrzeug (UGV; Unmanned Ground Vehicle) der Firma Dok-Ing (-> Bericht über das neue funkferngesteuerte Löschfahrzeug MVF-5) fuhr direkt an die Quelle der Explosion heran und lieferte auf den Meter genaue Daten. Weitere Besonderheiten des Systems: Mit einer Video-Detektion wurde die Wolkenentwicklung live dokumentiert. Außerdem warf das UGV Markierungen mit Fähnchen aus, die vor Ort über Gefahren- und Sicherheitsbereiche informierten.

In der abschließenden Phase begann die Untersuchung des kontaminierten Sprengkörpers, ebenfalls durch das UGV und weiterhin aus dem sicheren Remote-Betrieb.

Im Hintergrund passierte aber noch einiges mehr: In der „Data Fusion Cell” von CNS (einer 100-prozentigen Tochterfirma von Frequentis) kamen in Echtzeit alle maschinell gesammelten Daten zusammen. Das System erlaubt, dass die Daten sowohl den Operators auf den robusten Tablets von Backbone (Muse Electronics) zur Verfügung stehen, als auch den Kommandeuren in der Einsatzzentrale. Den anfangs skizzierten Fragen kann damit in kürzester Zeit begegnet werden: Anhand fundierter Daten können Bevölkerung und Truppenteile informiert und Gegenmaßnahmen gezielt vorgenommen werden.

Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand: Die verbauten Sensoren – ganze elf (!) an der Zahl – detektieren gleichzeitig, rasch und verlässlich die verwendeten Kampfstoffe. Die UAS und das UGV unterstützen wiederum in Echtzeit und dynamisch die Erstellung eines Lagebildes. Zuletzt ist die Form der Zusammenarbeit der EU-Länder eine administrative und letztlich auch finanzielle Erleichterung.

Nachdem in Phase 1 des Projekts Prototypen entwickelt und getestet wurden, beginnt mit Juni die nächste Phase: Bis 2028 sollen alle vorhandenen Einzelsysteme für den fordernden militärischen Einsatzbereich zur Anwendung bereitstehen.

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Quelle@Militär Aktuell/Christian Bendl